Hochkomplexe Hitserie Sexroboter und Sinnfragen – will «Westworld» zu viel?

Von Lukas Rüttimann

21.3.2020

Was führt sie im Schilde? Evan Rachel Wood spielt Roboterfrau Dolores. 
Was führt sie im Schilde? Evan Rachel Wood spielt Roboterfrau Dolores. 
Bild: HBO

Abtauchen in eine faszinierende Zukunft: Die Serie «Westworld» bietet spektakuläre Science-Fiction-Unterhaltung, lässt aber auch die Köpfe rauchen.

«Geh’ nicht nach draussen, es ist nicht sicher», schnauzt ein arroganter Tech-Milliardär (gespielt von «Dauer-Nazi» Thomas Kretschmann) seine Gattin an, und irgendwie passt diese Szene am Anfang der neuen Staffel von «Westworld» in die aktuelle Zeit. Denn draussen gibt es zwar keine Coronaviren, dafür eine Gefahr anderer Art: Menschen, die eigentlich Maschinen sind – und die ihren Schöpfern an den Kragen wollen.

Wenig später stöckelt eine attraktive junge Blondine in abenteuerlich hohen High Heels und perfekt sitzendem schwarzem Kleid auf das Anwesen. Fans wissen: Es ist Roboterfrau Dolores (Evan Rachel Wood), die Hauptfigur der Serie.

Sie dringt in das Haus ein, führt dem Tech-Guru per Augmented Reality seine Gewaltausbrüche gegen frühere Partnerinnen vor, knöpft ihm das Vermögen ab und lässt ihn nach einer misslungenen Attacke ohne mit der Wimper zu zucken im Pool ertrinken.

Geklotzt, nicht gekleckert

Willkommen in der Welt von «Westworld» – einer Serie, in der die Grenzen zwischen Gut und Böse, Natur und Technik, Realität und Fiktion verschwinden. Unter den vielen aktuellen TV-Shows ist «Westworld» zweifellos eine der aufregendsten.

Und: eine der teuersten. Immerhin soll die Serie jene Lücke füllen, die das Fantasy-Epos «Game of Thrones» beim Bezahlsender HBO hinterlassen hat. Und das ist bis auf die unrühmliche letzte Staffel die vielleicht beste, mit Sicherheit aber die erfolgreichste Serie aller Zeiten.



Um diese Vorgabe erfüllen zu können, wird in «Westworld» nicht gekleckert, sondern geklotzt. Allein die Titelsequenz dürfte so viel gekostet haben wie bei anderen Serien eine ganze Staffel; die Melodie stammt vom gleichen Komponisten wie bei «Game of Thrones», die Spezialeffekte sind durchs Band weg atemberaubend, und mit Anthony Hopkins, Ed Harris, Thandie Newton, Jeffrey Wright oder neu «Breaking Bad»-Star Aaron Paul wurden ausschliesslich Namen aus Hollywoods Top-Garde aufgeboten.

Jede Menge Futter fürs Hirn

Doch was nützt das schöne Drumherum, wenn der Inhalt nicht stimmt? Auch in dieser Hinsicht haben die Macher nichts dem Zufall überlassen und Jonathan Nolan, den kongenialen Bruder von Star-Regisseur Christoper Nolan («Interstellar», «The Dark Knight»), als Drehbuchautor und Produzent engagiert.

Nolan motzte die Buchvorlage von «Jurassic Park»-Autor Michael Crichton (†) mit einer seiner typischen Handlungen samt ineinander verwobener Erzählstränge auf verschiedenen Zeitachsen auf. Mit der Folge, dass «Westworld» ein Erlebnis nicht nur fürs Auge, sondern auch fürs Hirn ist.

Der Trailer zur neuen «Westworld»-Staffel.

Youtube

Das Problem ist bloss: Mittlerweile kommt kaum jemand noch richtig draus. Schon Staffel eins war stellenweise anspruchsvoll. Staffel zwei wurde dann richtig kompliziert.

Doch wie verloren man ist, wird einem jetzt, zu Beginn der dritten Staffel, erst richtig bewusst: Wer ist Mensch, wer Maschine? Was ist Realität, was nicht? Was wollen die Roboter? Was ist mit den Figuren aus den vergangenen Staffeln? Was ist mit den Toten? Mit dem Park? Der bösen Firma? Man kommt sich gerade super-ahnungslos vor. Nicht ohne Grund laufen auf Youtube aktuell Erklärvideos zu «Westworld» rauf und runter.

Eigentlich ein B-Movie

Ein Grund dafür ist, dass das anspruchsvolle Nolan-Konzept auf einen eigentlich simplen B-Movie-Stoff  gestülpt wurde. 1973 verfilmte Michael Crichton seinen eigenen Roman fürs Kino, mit dem Schweizer Schauspiel-Export Yul Brynner in der Rolle des Roboter-Revolverhelden, der in einem Vergnügungspark Amok läuft. Sein Chip hat einen Kurzschluss, er ballert die Gäste mit starrem Blick über den Haufen und jagt einen armen Typen bis in die Wüste.

Auch in der Mittelalterwelt geht’s drunter und drüber, die holde Androiden-Maid ersticht ihren Lover aus Fleisch und Blut, die Sexorgien im alten Rom laufen komplett aus dem Ruder. Das alles ist knallig, bunt, verrückt, unterhaltsam, lustig und grossartig – aber kaum Stoff für «Sternstunde Philosophie» auf SRF.

Auch im 1973er-B-Movie «Westworld» geht's ordentlich zur Sache.

Youtube

Die TV-Version jedoch könnte man dort tatsächlich thematisieren. Vor allem in der zweiten Staffel tangiert «Westworld» immer wieder pseudo-philosophisches Terrain, stellt Sinnfragen, spielt mit religiösen Gleichnissen und bewegt sich auf der Metaebene. Beim Finale etwa laufen die rebellischen Roboter durch eine Art Himmelspforte ins vermeintliche Paradies, während ihre Körper in der Realität eine Klippe herunterstürzen und kaputt gehen. Das hätte Yul Brynner kaum mitgemacht.

Übers Ziel hinausgeschossen?

Nicht wenigen war die letzte Staffel denn auch zu viel des Guten. Die Meinung, dass «Westworld» übers Ziel hinausschiesst, ist inzwischen bei Fans und Kritiker gleichermassen verbreitet. Und offensichtlich scheinen sich die Macher das zu Herzen genommen zu haben. Zumindest die erste Folge der dritten Staffel überrascht mit einem vergleichsweise simplen Plot (und einigen erstaunlichen Logiklöchern).

Dolores hat inzwischen den Park verlassen und tritt in einer futuristischen Welt als Mischung aus Terminator und Captain Marvel auf. Sie ballert haufenweise böse weisse Männer über den Haufen, versucht einen Supercomputer zu hacken und setzt Sex als Mittel zum Zweck ein. Das alles ist grossartig gemacht, toll anzusehen und kommt zumindest bislang noch ohne die für die Serie typischen WTF-Momente aus.

Wobei: Nach dem Abspann sieht man plötzlich die andere aus dem Wildwest-Park geflüchtete Roboterfrau Maeve ­–­ als Widerstandskämpferin in Nazi-Deutschland. What the ...?! So ganz aus ihrer Haut können die «Westworld»-Macher also offenbar doch nicht.

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