TV-Kritik «Gott»: Lächelnd in den Tod

Von Gion Mathias Cavelty

24.11.2020

Den ganzen Abend ging es auf SRF1 am Montag ums Sterben. Zum Glück gibt's Barbara Lüthi, findet TV-Experte Gion Mathias Cavelty erleichtert.

Gestern Abend durfte der Fernsehzuschauer im deutschsprachigen Raum ein bisschen Gott spielen: Gehört einem Menschen sein eigenes Leben – und darf er es auch beenden, wenn er will?

«Gott» hiess dann auch der 90-minütige Fernsehfilm, in dem obige Frage von allen Seiten beleuchtet wurde; die Versuchsanordnung stammte vom Schriftsteller Ferdinand von Schirach.

Ausgangslage: Ein kerngesunder Bürger eines europäischen Rechtsstaats (dargestellt von Matthias Habich) will sterben. Er will nicht Gefahr laufen, bei einem Selbstmordversuch zu scheitern und bittet seine Hausärztin (Anna Maria Mühe), ihm ein tödliches Medikament zu verschreiben.

Darf sich der Staat da überhaupt einmischen?

«Es gibt keine Rechtspflicht zu leben. Wenn man den freien Willen ernst nimmt, kann man den Suizidwunsch eines gesunden, jungen Menschen und den eines kranken, alten Menschen rechtlich nicht unterschiedlich beurteilen. Aber natürlich muss überprüft werden, ob überhaupt ein freier Willensentschluss vorliegt», äussert sich eine Professorin für Verfassungsrecht (gespielt von Christiane Paul) im Film.

Freier Wille? Da kommt man nie weiter

An dieser Stelle wusste ich: Die ganze Diskussion wird nirgendwohin führen. Der freie Wille! Oha! Da kommen wir nicht weiter. Da ist noch nie jemand weitergekommen. Gibt es den freien Willen überhaupt? Oder ist nicht alles Vorherbestimmung?

Und selbst, wenn man sich selbst einen freien Willen attestieren möchte: Wie kann man (als Sterbewilliger) «überprüfen», ob der Arzt, der einem die tödlichen Medikamente besorgen will, wirklich aus freiem Willen handelt? Wenn er das nicht täte, würde man ihn ja missbrauchen und in Kauf nehmen, dass er sich aus möglichen Reuegefühlen heraus plötzlich selbst umbringen will. Aber natürlich nur, wenn dies auch ganz, ganz, ganz sicher (= wahrscheinlich) sein freier Wille wäre. Was wiederum zur interessanten Frage führt: Dürften sich – um ganz, ganz, ganz, ganz sicher zu sein (= wahrscheinlich sicher zu sein) – nur Ärzte selbst umbringen? Und wenn sich irgendwann alle Ärzte umgebracht hätten: dann hätten wir das Geschenk!

Generell hatte das Televoting-Kammerspiel etwas unangenehm Voyeuristisches an sich, wie so ein Daumen-Senken- resp. Daumen-Heben-Spektakel aus dem alten Rom; was mich daran allerdings am meisten störte, war seine komplette Humorlosigkeit. Humorlosigkeit ist immer schlimm, aber vor allem im Zusammenhang mit Fragen zum Tod.

Nobel und kalkuliert

Das wusste der grosse Matthias Habich übrigens schon vor 38 Jahren. 1982 lief die ZDF-Weihnachtsserie «Jack Holborn», und alle in meinem Alter (46) können sich bestimmt noch an die Zwillingsbrüder Kapitän Sharingham und Richter Sharingham erinnern, die Habich beide grandios verkörperte. Was macht Habich, als ihm am Schluss die Schlinge des Galgens um den Hals gelegt wird? Er lächelt. Diese Szene hat sich mir als Achtjährigem tief in die Seele eingebrannt.

Mit 68 zu 32 Prozent stimmten die Schweizer Zuschauer übrigens dafür, dass das tödliche Medikament an den Sterbewilligen abgegeben werden soll. Wie nobel (und bestimmt auch wohlüberlegt).



Im anschliessenden «Club-Spezial» wurde dann noch weiterdiskutiert. Aber noch einmal 75 Minuten Leute über das Sterben reden zu hören, war dann doch etwas viel verlangt. Auch wenn ich beim Anblick von Moderatorin Barbara Lüthi sofort allerbeste Laune bekam (wie immer). Beneidenswert, diese geballte Energie! Die Frau ist das blühende Leben. Und die Art, wie sie das Wort «sterben» aussprach («stärrrrrrrrrrbä»), hätte schlagartig jeden Lazarus aus seiner Gruft geholt und Cha-Cha-Cha tanzen lassen, bis der Arzt kommt.

Von den Diskussionsteilnehmern würde jedenfalls Onkologe Franco Cavalli einem Sterbewilligen ein tödliches Medikament verschreiben (und hat das auch schon getan, wie er in der Runde erzählte); der Psychiater und Psychoanalytiker Mario Gmür hingegen nicht. Und brachte einen hervorragenden Punkt dafür ins Spiel: den Druck auf die Alten («Wann entscheidet sich der Grossvater doch noch für Exit, damit man endlich die Wohnung umbauen kann?»). In einer Schaltung nach Deutschland konnte Barbara Lüthi von Frank Plasberg erfahren, dass die deutschen Zuschauer sogar mit 70,8 Prozent Ja zur Medikamentenabgabe an einen Sterbewilligen gesagt hatten.

Nun, vielleicht kann man ja eines Tages zu 70,8 Prozent tot und gleichzeitig zu 29,2 Prozent am Leben sein – ehrlich gesagt kenne ich schon heute ein paar Leute, die das sind ...

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