Interview Emilie Léchot: «Nahrungsergänzungsmittel pauschal zu verteufeln wäre falsch»

Von Malin Mueller

22.5.2020

Sind Nahrungsergänzungsmittel wirklich nur Geldmacherei – oder vielleicht doch gar nicht so sinnlos?
Sind Nahrungsergänzungsmittel wirklich nur Geldmacherei – oder vielleicht doch gar nicht so sinnlos?
Bild: Getty Images

Nahrungsergänzungsmittel – für die einen sind sie die Lösung aller Ernährungsprobleme, andere halten sie für pure Abzocke und überflüssig bei einer ausgewogenen Ernährung. Was nun stimmt? Wir haben bei einer Expertin nachgefragt.

Wie sieht euer morgendliches Frühstück so aus? Liebevoll selbst gemachtes Oatmeal mit Beeren? Oder seid ihr mehr so der Typ Kaffee plus Gipfeli und 13 verschiedene Pillen, die euch mit den nötigen Vitaminen für den Tag versorgen sollen?

Was in Amerika auf dem Speiseplan fast jeder Familie steht, spaltet bei uns noch immer die Gemüter. Was ist also dran an der Gesundheit in Pillenform?

Wir haben bei einer nachgefragt, die es wissen muss: Emilie Léchot ist diplomierte Ernährungsberaterin und diplomierte Fachfrau für holistische Gesundheit. Sie hat mit uns Klartext über Nahrungsergänzungsmittel geredet.

Frau Léchot, die wichtigste Frage zuerst: Braucht der Mensch tatsächlich Nahrungsergänzungsmittel?

Nein. Wer die Zeit und Energie aufwendet, um sich mit seiner Ernährung zu beschäftigen und saisonal, frisch und regional einkauft, kann problemlos ohne Zusätze auskommen. Wichtig ist dann einfach, die Lebensmittel schonend zuzubereiten und darauf zu achten, dass genug Abwechslung ins Spiel kommt. Und hier ist auch schon der Haken: Die Gruppe der Menschen, die diesen Aufwand betreibt, ist ziemlich klein.

Kann man Vitamine und Nährstoffe denn wirklich durch Pillen zu sich nehmen?

Ja. Auch wenn Nahrungsergänzungsmittel tatsächlich immer wieder in der Kritik stehen: Sie pauschal zu verteufeln, wäre falsch. Gerade, wenn sich jemand nicht die Zeit nimmt, sich selbst gesund und ausgewogen zu ernähren, können sie Sinn machen.



Und vorausgesetzt wir leben alle vorbildlich und gesund: Woran erkenne ich, dass ich trotzdem einen Nährstoffmangel habe?

Bei einem einfachen Nährstoffmangel leidet die Leistungsfähigkeit des Körpers – die lebenswichtigen Grundfunktionen bleiben aber erhalten. Wir spüren das durch Schwäche, Schwindel, Müdigkeit, brüchige Fingernägel, Haarausfall, spröde Lippen oder Kopfschmerzen. Sobald die Nährstoffe wieder zugeführt werden, verschwinden die Anzeichen wieder. Was genau fehlt, kann der Hausarzt mit einem Test herausfinden.

Bei welchen Nährstoffen macht es Sinn, sie zu supplementieren?

Im Winter ist es sinnvoll, Vitamin D zu sich zu nehmen. Es wird normalerweise über die direkte Sonneneinstrahlung auf unsere Haut aufgenommen – aber das ist bei uns in der Schweiz gerade in kalten Monaten nunmal kaum der Fall. Auch im Sommer kann es noch Sinn machen. Besonders, wenn wir immer mit hohem Lichtschutzfaktor unterwegs sind, tut Vitamin D als Nahrungsergänzungsmittel gut, ohne unsere Haut zu gefährden.

Brauchen Vegetarier oder Veganer spezielle Ergänzungsmittel?

Ja. B12 sollte unbedingt supplementiert werden. In nennenswerten Mengen findet man es sonst nur in tierischen Produkten. Auch die Omega-3-Fettsäuren EPA & DHA kommen in pflanzlicher Nahrung kaum vor. Der Körper kann sie zwar aus anderen Stoffen herstellen, jedoch nur in unzureichender Menge.

Wie sieht es mit speziellen Gruppen wie Sportlern oder Schwangeren aus?

Schwangeren, Stillenden und Frauen, die schwanger werden wollen, wird in der Regel Folsäure und Jod empfohlen, da diese Nährstoffe für die Zellteilung und eine gesunde Entwicklung des Kindes sehr wichtig sind. Da der Bedarf bei ihnen stark erhöht ist, sind Nahrungsergänzungsmittel sinnvoll. Bei Leistungssportlern sieht es ähnlich aus: Da sie viel mehr schwitzen als andere, verlieren sie mehr Mineralstoffe. Oder sie trainieren auf ein bestimmtes Gewicht hin und haben durch die reduzierte Nahrungszufuhr nicht die Möglichkeit, die Empfehlungen für eine ausgewogene Ernährung einzuhalten. Nahrungsergänzung kann das ausgleichen.



Können Nahrungsergänzungsmittel Nebenwirkungen haben?

Die Dosis macht das Gift: Wer sich an die Vorgaben hält, geht kein Risiko ein. Wenn Nahrungsergänzungsmittel aber überdosiert werden, kann es zu Nebenwirkungen kommen. Bei einem Überschuss von fettlöslichen Vitaminen sprechen wir zum Beispiel vom Hypervitaminose. Das kann zu Kopfschmerzen, Schwund von Zahnschmelz oder einem erhöhten Risiko für Knochenbrüche bei älteren Menschen führen. Auch Überschüsse von anderen Nährstoffen wie etwa Kalzium können gefährlich werden. Ein Zuviel kann zu Gefässverschlüssen und Herzinfarkten führen. Um auf der sicheren Seite zu sein, sollte man darauf achten, dass sich die Nährstoffe in den Mitteln nicht doppeln. Oft ist nämlich mehr als nur ein Vitamin enthalten. Auch bei zusätzlich angereicherten Lebensmitteln (z.B. Drinks mit Calcium) sollte man vorsichtig sein, wenn man bereits Nahrungsergänzungsmittel zu sich nimmt.

Wenn ich mich zum Kauf solcher Mittel entscheide: Worauf sollte ich achten?

Man sollte darauf achten, dass nur die Stoffe drin sind, die wir unserem Körper auch wirklich zuführen wollen. Billige Produkte enthalten oft billige Füllstoffe, die für die Aufnahme der Vitamine nicht nötig sind. Gut nachzuforschen ist deshalb extrem wichtig. Qualitätssiegel und unabhängige Laborresultate sprechen für den Hersteller – und wer direkt in der Schweiz bestellt, ist bei Sicherheits- und Qualitätsstandards sowie bei Höchstgrenzen von Wirkstoffen auf der sicheren Seite.

Dieser Text erschien zuerst in der «SI Style».

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