Mann mit Frauenberuf «Ich wurde auch schon mit ‹Herr Doktor› angesprochen»

Runa Reinecke

21.3.2019

Blut abnehmen, danach das Telefon bedienen und Termine abklären: In Alis Beruf ist Multitasking gefragt.. 
Blut abnehmen, danach das Telefon bedienen und Termine abklären: In Alis Beruf ist Multitasking gefragt.. 
Bild: Praxis Dr. Ferdinand

Suleiman Ali macht eine Ausbildung zum Medizinischen Praxisassistenten (MPA). «Bluewin» hat mit ihm über das Klischee Mann mit Frauenberuf, seine syrischen Wurzeln und eine wunderliche Patientin gesprochen.

Laut dem Schweizerischen Verband Medizinischer Praxis-Fachpersonen gibt es hierzulande etwa 12'000 berufstätige MPA. Männer findet man kaum in diesem, von Frauen dominierten Beruf. 

Suleiman Ali ist eine dieser seltenen Erscheinungen: Der 21-Jährige aus Wetzikon absolviert gerade sein drittes Lehrjahr in der Hausarztpraxis Dr. Ferdinand/Dr. Lange in Meilen (ZH). Mit seinen Arbeitskolleginnen und Mitschülerinnen versteht er sich gut. Trotzdem wünscht er sich manchmal, nicht der einzige Mann in seiner Berufsschulklasse zu sein. 

Herr Ali, was haben Sie heute schon alles in der Praxis gemacht?

Ich war hauptsächlich mit administrativen Arbeiten beschäftigt, habe mich um die eingegangene Post gekümmert, Rechnungen bearbeitet und Arztberichte zugeordnet. Zwischendurch habe ich Blut abgenommen und das Telefon bedient.

Was gefällt Ihnen gut, was weniger?

Der Beruf ist sehr vielseitig, und ich habe mit ganz unterschiedlichen Menschen zu tun. Genial finde ich, dass ich jeden Tag etwas dazulerne; auch, mit welchen Medikamenten bestimmte Krankheiten behandelt werden. Manchmal wird es sehr stressig, besonders dann, wenn wir viele Notfälle haben. Da muss man an so viele verschiedene Sachen gleichzeitig denken und darf nichts vergessen. Wenn den ganzen Tag sehr viel los ist, bin ich abends schon ziemlich erledigt.

Suleiman Ali: "Genial finde ich, dass ich jeden Tag etwas dazulerne".
Suleiman Ali: "Genial finde ich, dass ich jeden Tag etwas dazulerne".
Bild: Praxis Dr. Ferdinand

Als männlicher MPA sind Sie immer noch eine Ausnahmeerscheinung. Wie reagieren die Patientinnen und Patienten auf Sie?

Oft höre ich, dass sie es «mega cool» finden, dass es einen männlichen MPA in der Praxis gibt. Manche Männer sind sehr erleichtert, wenn sie sich nicht vor einer weiblichen MPA für ein EKG obenherum frei machen müssen. Es ist auch schon mal vorgekommen, dass mich jemand mit «Herr Doktor» angesprochen hat. Das habe ich natürlich sofort aufgeklärt und gesagt, dass ich MPA in Ausbildung bin. Nur einmal ist etwas passiert, was mich sehr traf …

«De da, de gfallt mir gar nöd»

Was war geschehen?

Ich sass konzentriert am PC und arbeitete an einem Pult hinter der Rezeption. Eine Patientin zeigte auf mich und sagte zu meiner Arbeitskollegin: «De da, de gfallt mir gar nöd!»

Wie haben Sie reagiert?

Damals war ich im ersten Lehrjahr und völlig perplex, also sagte ich nichts dazu. Heute würde ich sie wohl darauf ansprechen und fragen, warum sie so denkt.

Haben Sie jemals bereut, dass Sie sich für diesen Beruf entschieden haben?

Nein, ganz im Gegenteil. Das ist genau mein Ding. In meiner Berufsschulklasse bin ich der einzige Mann. Das stört mich zwar nicht, aber es wäre trotzdem schön, wenn ich auch einen männlichen Kollegen in der Klasse hätte, mit dem ich mich unterhalten könnte.

Sie stammen aus einem muslimischen Kulturkreis. Stösst es bei Ihrer Familie auf Unverständnis, dass Sie diesen Beruf erlernen?

Nein, gar nicht. Meine Eltern haben sich sehr darüber gefreut, dass ich die Lehrstelle bekommen habe. Einerseits bin ich gläubig, anderseits lebe ich in der Schweiz und bin hier sehr gut integriert. Für mich sind alle Menschen gleich, egal ob Frau oder Mann. Ich finde es deshalb auch sehr schade, dass viele denken, dass MPA ein klassischer Frauenberuf ist.

Suleiman Ali am Vormittag  an der Rezeption der Praxis.
Suleiman Ali am Vormittag an der Rezeption der Praxis.
Bild: Praxis Dr. Ferdinand

Wie kam es bei Ihren Freunden an, dass Sie diese Ausbildung machen?

Sehr gut, sie haben sich für mich gefreut. Es ist eher so, dass ich von ihnen Sprüche höre wie: «Ich mues mich da uf em Bau abrackere, und du hocksch gmüetlich i diim Büro.» Mehr so in die Richtung.

«Wir bekamen Probleme mit der syrischen Polizei, weil wir Kurden sind.»

Sie stammen ursprünglich aus Syrien. Was bewegte Ihre Familie vor zehn Jahren dazu, das Land zu verlassen?

In Syrien lebten wir in einem kleinen Dorf mit nicht einmal 100 Einwohnern. Wir bekamen Probleme mit der syrischen Polizei, weil wir Kurden sind. Die Polizisten kamen immer wieder zu uns nach Hause und wollten meinen Vater mitnehmen. Wir hatten grosse Angst, deshalb sind wir in die Schweiz geflüchtet.

War das für Sie nicht ein Kulturschock?

Ein Kulturschock vielleicht nicht unbedingt. Aber na ja, die Schweiz war für mich eben schon eine ganz andere Welt: die vielen Autos, die modernen, schönen Häuser. Ich weiss noch, dass ich mich damals sehr klein fühlte, weil um mich herum alles plötzlich so gross war. In unserem Heimatdorf in Syrien war alles überschaubar. Smartphones und solche Sachen – das gab es dort nicht.

Sie sprechen akzentfrei Züritüütsch. Als Sie in die Schweiz kamen, sprachen Sie vermutlich noch kein Wort Deutsch …

Das stimmt, damals konnte ich nur Arabisch. Ich musste die deutsche Sprache erst lernen, die lateinische Schreibweise und natürlich auch das Schwiizertüütsch. Am Anfang wunderten sich meine Lehrer darüber, dass ich immer von rechts nach links geschrieben hatte, weil ich das vom Arabischen her gewohnt war. Beim Deutschlernen hatte mir geholfen, dass ich gerne lese. Sehr gut gefallen hat mir «Siddhartha» von Hermann Hesse und «Der Alchimist» von Paulo Coelho.

Sprache und Kommunikation sind für Ihre Tätigkeit natürlich wichtig. Apropos: Wie kamen Sie eigentlich dazu, eine Ausbildung als MPA zu beginnen?

Als ich noch die Sekundarschule besuchte, kannte ich diesen Beruf noch gar nicht. Ich erzählte meinem Schulleiter, dass ich gerne etwas mit Medizin machen möchte. Er bekam den Kontakt zur Hausarztpraxis von Dr. Ferdinand und Dr. Lange in Meilen. Dort durfte ich eine Schnupperlehre absolvieren, und ich fand das alles sehr spannend. Danach klappte es mit einer Lehrstelle.

«Man sollte mehr dafür werben, ganz besonders in den Schulen.»

Warum, glauben Sie, gibt es immer noch so wenige männliche MPA in der Schweiz?

Mmh, vielleicht denken viele junge Männer gar nicht daran, dass dieser Beruf auch für sie attraktiv sein könnte. Ich finde, man sollte mehr dafür werben, ganz besonders in den Schulen.

Bilder des Tages

Zurück zur Startseite