Interview Spa-Experte: «Man lebt nicht länger, aber stirbt gesünder»

Von Bruno Bötschi

3.7.2019

Im Victoria-Jungfrau Grand Hotel in Interlaken kann man lernen, gesund zu altern.
Im Victoria-Jungfrau Grand Hotel in Interlaken kann man lernen, gesund zu altern.
Bild: zVg

Wie kann man lange leben, ohne körperlich und psychisch abzubauen? Ein Gespräch mit Spa-Experte Hans-Peter Veit über einen neuen Wellness-Trend.

Herr Veit, Sie helfen den Gästen im Spa Nescens im Victoria-Jungfrau Grand Hotel in Interlaken, sich maximal zu entspannen. Wann haben Sie das letzte Mal durchgeatmet und lagen selber auf einer Massagebank?

Ich besuche regelmässig andere Spas. Kürzlich war ich Gast im Wellnesshotel Bollants im deutschen Bad Sobernheim. Ein Familienbetrieb, den es seit über 100 Jahren gibt.

Grundsätzlich: Nehmen wir Menschen uns zu wenig Zeit für die Erholung?

Ja, ich glaube, dem ist leider so.

Das Victoria-Jungfrau ist die Pionierin unter den Schweizer Wellnesshotels. Bereits 1991 wurden ein Bad im römischen Stil, Saunen, Whirlpools, ein Solebad im Freien und zahlreiche Treatmenträume eröffnet. Konnten Sie sich den Vorreiterstatus bewahren?

Wir bieten nach wie vor Verwöhnangebote an, die dazu einladen, mal für ein paar Stundenden Alltag zu vergessen. Paare können sich bei uns gemeinsam massieren lassen. Diese Angebote sind aber nicht mehr der Hauptgrund, warum ein Gast zu uns kommt. In den letzten Jahren ist die Zusammenführung von Wellness und Medizin immer wichtiger geworden. Das sogenannte «Better Aging» verbindet klassische Angebote von Saunen über Massagen bis hin zu Kosmetikbehandlungen mit medizinischen Dienstleistungen.

Hanspeter Veit, Spa-Manager: «Das ‹Better Aging›-Programm wird für jeden Gast individuell zusammengestellt, deshalb können wir nicht mehr als zehn Gäste beherbergen.»
Hanspeter Veit, Spa-Manager: «Das Better Aging-Programm wird für jeden Gast individuell zusammengestellt, deshalb können wir nicht mehr als zehn Gäste beherbergen.»
Bild: zVg

Unsere Grosseltern fuhren noch jedes Jahr zur Kur nach Leukerbad oder Rheinfelden: viel baden, täglich eine Massage und Spaziergänge im Kurpark.

Sie haben recht, oft sind es die kleinen Auszeiten, die einem guttun.  Deshalb gehen wir mit unseren Gästen auch regelmässig raus in die Natur – nirgends erholt man sich so gut wie während einer entspannten Wanderungen entlang der Aare. Aber viele unserer Gäste suchen nicht nur die Erholung, wollen nicht nur die Seele baumeln lassen, sondern wünschen sich sichtbare Effekte, die sich durch unsere Behandlungen erzielen lassen.

Um was geht es bei den «Better-Aging-Programmen»?

Unsere Gäste werden von verschiedensten Fachleuten – Präventionsmedizinern, Körpertherapeuten, Osteopathen, Sportwissenschaftlern und Kosmetikerinnen – beraten, untersucht und behandelt. Viele unserer Gäste sind gestresst und schätzen es, dass sie dieses ganze Programm, das sich zu Hause über Wochen hinziehen würde, während eines überschaubaren Zeitraums absolvieren können, das heisst innerhalb von sieben bis 14 Tagen.

Wie viele «Better Aging»-Gäste weilen zurzeit im Victoria Jungfrau?

Das Programm wird für jeden Gast individuell zusammengestellt, deshalb können wir nicht mehr als zehn Gäste beherbergen. Als Erstes fragen wir den Gast immer: «Was ist Ihr Ziel?» Zehn Kilo an Gewicht in zwei Wochen abzunehmen, das ist weder realistisch noch gesund. Gerne beraten wir den Gast und stellen gemeinsam mit ihm ein Programm zusammen, das auf ihn zugeschnitten ist.

Reichen einige Tage im Victoria-Jungfrau wirklich, um das Leben eines Menschen, der vielleicht jahrelang Raubbau an seinem Körper betrieben hat, zu verändern?

Mit einem «Better Aging»-Programm wird das Leben eines Gastes nicht komplett verändert. Wir geben ihm aber Inputs, damit er zukünftig gesünder leben kann. Ich sage immer: Man lebt nach einem Aufenthalt bei uns nicht länger, dafür stirbt man gesünder.

Das Victoria-Jungfrau gilt als Pionierin unter den Schweizer Wellnesshotels.
Das Victoria-Jungfrau gilt als Pionierin unter den Schweizer Wellnesshotels.
Bild: zVg

Ist es wahr, dass jeder Gast vor Beginn des «Better Aging»-Programms einen 14-seitigen Fragebogen zum eigenen Gesundheitszustand ausfüllen muss?

Das stimmt. Bevor ein Gast zu uns kommt, telefoniere ich mit ihm, damit ich ihn ein wenig kennenlernen kann. Während des Telefonats besprechen wir zum Beispiel, welchen Freizeitbeschäftigungen er nachgeht, welchen Sport er treibt oder ob er morgens gern länger schläft. Danach schicken wir ihm den Fragebogen. Je mehr wir über einen Gast wissen, desto gezielter können wir für ihn ein Programm zusammenstellen. Nachdem der Gast bei uns eingecheckt hat, beginnen wir mit einer Körperanalyse …

… und spätestens auf der Waage merken Sie, wenn ein Gast bei seinen Lebensgewohnheiten und dem Essverhalten geschummelt hat.

So ist es.

Vor den Behandlungen kommt zudem eine Pflegefachfrau aufs Zimmer und nimmt dem Gast Blut ab. Fühlt man sich da nicht eher wie ein Patient im Spital?

Das Programm während eines «Better Aging»-Aufenthaltes ist ziemlich umfangreich und – wie bereits erwähnt – eng getaktet. Pro Tag sind vier bis fünf Stunden Programm angesagt. Wer ein Ziel erreichen will, muss einiges dafür investieren. Aber ganz wichtig ist: Der Genuss soll dabei nicht zu kurz kommen. Beim Essen wollen wir erreichen, dass der Gast Fehler bei der Ernährung zu vermeiden lernt, ohne dabei zu stark leiden zu müssen.

Wenn Fitsein nicht mehr nur als Zeichen der Schichtzugehörigkeit, sondern als Tugend an sich gilt – was heisst das?

Fit und schön zu sein, das ist heute das Ziel von vielen Menschen. Es sollte jedoch nicht das Einzige im Leben sein, was einen glücklich macht. Wenn ein Gast zwei, drei Kilo zu viel auf den Rippen und damit kein Problem hat, dann ist das doch okay. Ein bisschen abzunehmen, das macht aus ihm keinen besseren Menschen.

Das Spa im Victoria-Jungfrau ist inzwischen zu einem 5500 Quadratmeter grossen Gesundheitspark angewachsen.
Das Spa im Victoria-Jungfrau ist inzwischen zu einem 5500 Quadratmeter grossen Gesundheitspark angewachsen.
Bild: zVg

Für die US-amerikanische Autorin Barbara Ehrenreich gehören Wellness-Tempel zur Hurra-Industrie. Sie schrieb darüber das Buch «Smile or Die». Darin heisst es unter anderem: «Zwischen Gesundheit und Wellness besteht ein entscheidender Unterschied: Gesundheit ist die Voraussetzung für ein gutes Leben. Wellness ist ein Luxus.»

Die Gesundheit ist Voraussetzung für ein gutes Leben, dem stimme ich zu. Hingegen ist Wellness schon länger kein Luxus mehr. Das war vielleicht in den 1990er Jahren noch so. Heute gibt es aber sehr gute Spas, in denen man sich auch für wenig Geld entspannen kann.Zudem gibt es auch immer mehr öffentliche Bäder, die über einen Wellness-Bereich verfügen.

In einem Interview sagten Sie einmal, in Ihrem Spa werde mehr gelacht als in anderen. Was ist so lustig an Ihren «Better Aging»-Programmen?

Ein Grund ist sicher, dass bei uns nicht diese vornehme Zurückhaltung herrscht, die man in vielen anderen Spas findet. Mir ist ein gutes Klima extrem wichtig, denn die Therapeutinnen und Therapeuten sind oft stundenlang mit den Gästen zusammen. Wenn unsere Mitarbeiter Freude haben, dann überträgt sich diese Fröhlichkeit auch auf die Gäste.

Welche Wellness-Trends gibt es noch neben den medizinischen Spas?

Sport wird noch wichtiger werden. Vor zehn Jahren hätte keine Schweizerin, kein Schweizer viel Geld für einen Personaltrainer ausgegeben – dafür hätten sich die meisten wohl eher eine teure Flasche Wein gekauft. Heute investieren immer mehr Menschen in einen Coach. Sehr angesagt ist zudem das Functional Training.

Was ist das?

Diese Trainingsform war schon vor 30 Jahren einmal aktuell. Fans der Rocky-Balboa-Filme mit Sylvester Stallone erinnern sich vielleicht daran – bloss werden heute keine Fleischstücke, sondern zum Beispiel Medizinbälle gestemmt. Mit Functional Training soll nicht nur der einzelne Muskel, sondern der gesamte Körper gefordert werden.

Victoria-Jungfrau

Das «Victoria-Jungfrau» in Interlaken war anfangs der 1990er Jahre schweizweit das erste Hotel mit einem Spa. Inzwischen ist dieser Bereich zu einem 5'500 Quadratmeter grossen Gesundheitspark angewachsen. Schon fast eine Fügung des Schicksals war, dass das Fünfsternhaus vor vier Jahren eine neue Besitzerin erhielt – die Aevis Victoria, die im Kerngeschäft Privatkliniken (Genolier, Bethanien) betreibt. Sie liefert die medizinische Kompetenz für die «Better Aging»-Programme und eine eigene Kosmetiklinie.

Karlheinz Weinberger – der Fotograf für das Ungewöhnliche
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