Seit 50 Jahren dabei Seit 50 Jahren keinen Lauf verpasst: «Engadiner»-Legenden erzählen

sda

5.3.2018

Sie sind Dinosaurier des Skilanglaufs und für den Engadin Skimarathon lebende Legenden. Françoise Stahel und Ueli Lamm haben in den vergangenen 50 Jahren keines der Skirennen verpasst - sie erzählen von Blessuren, Ingwertee und dem schönen Stil.

Gefrorene Ohrläppchen, schmerzhafte Blasen, gebrochene Ski. All das kann Françoise Stahel nicht aufhalten. Denn seit nunmehr 50 Jahren hat sie am zweiten Sonntag im März nur ein Ziel:

Sie will auf Langlaufskiern den Engadin Skimarathon bewältigen. Keine andere Frau hat es vor ihr geschafft, so oft am Langlaufklassiker teilzunehmen. Dieses Jahr findet das Rennen am 11. März statt.

Die gebürtige Französin Stahel kam erst relativ spät zum Langlauf. Bei ihrer ersten Teilnahme war sie schon 30, letztes Jahr feierte sie ihren 80. Geburtstag.

«Im Jahr 1969 war es als Frau sehr schwer, überhaupt Langlaufen zu können», sagt die 80-Jährige. Der befreiende Wind der 68er-Bewegung war auf den Loipen des Landes noch nicht angekommen. Wenn es überhaupt gespurte Loipen gab. «Wir sind am Anfang nur mit den Skiern durch den Schnee spaziert», so Stahel.

Vom Rand an die Spitze

Bevor sie bei der Premiere des Engadin Skimarathons an den Start gehen konnte, sei eine ärztliche Untersuchung nötig gewesen. «Frauen traute man nicht zu, die Strecke bewältigen zu können», sagt die Athletin. 20 Jahre später ertönte dann aber beim Rennen zum ersten Mal die Durchsage: «Eine Frau führt.»

Als einziger Frau überhaupt kann es der 80-jährigen Françoise Stahel gelingen, am 13. März zum 49. Mal beim Engadin Skimarathon an den Start zu gehen. Ihr «Giubiler»-Kollege Ueli Stamm kratzt ebenfalls an dieser symbolischen Marke.
Als einziger Frau überhaupt kann es der 80-jährigen Françoise Stahel gelingen, am 13. März zum 49. Mal beim Engadin Skimarathon an den Start zu gehen. Ihr «Giubiler»-Kollege Ueli Stamm kratzt ebenfalls an dieser symbolischen Marke.
SDA

Aber auch sie selbst sei sich manchmal im Weg gestanden: «Am Anfang habe ich geraucht.» Dann habe ihr eine befreundete Elite-Langläuferin geraten, das Laster aufzugeben. «Zuerst dachte ich, es liege an den schlechten Skiern, dass ich langsamer war als sie», scherzt die quirlige Rentnerin. Heute hält sie sich mit Yoga-Einheiten fit, die ihr bei der Atemtechnik helfen.

Einzige Frau im erlesenen Kreis

«Giubilers» ist das romanische Wort für Jubilare. Beim Engadin Skimarathon bekommen diese Auszeichnung alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die mindestens 40 Mal den Marathon oder Halbmarathon gelaufen sind. Zu ihnen zählt auch Ueli Lamm, der im Vergleich zu Françoise Stahel noch ein Jungspund ist.

Der heute 70-Jährige ist im Engadin aufgewachsen und war bereits als 20-Jähriger beim ersten «Engadiner» an der Startlinie. Seitdem hat er keinen Lauf ausgelassen. Er habe mehr Freude daran, einen schönen harmonischen Stil zu laufen, als mit Hochleistungsmaterial nach den perfekten Resultaten zu streben, erklärt Lamm.

Er lief schon als Schuljunge auf Langlaufski von St. Moritz zum Lyzeum nach Zuoz - 15 Kilometer weit. Auch wenn es damals im Engadin noch keine zusammenhängenden Loipen gab und die Reise ein kleines Abenteuer war.

Er sei ein Gentleman des Langlaufs, sagt Stahel über ihren jüngeren Giubiler-Kollegen. Bei der gemeinsamen Trainingsausfahrt in Klosters trägt der hochaufgeschossene Lamm elegante Wollsocken und ein Retro-Tenue. Einmal legte er die 42 Skikilometer im Engadin sogar in einem Anzug mit Krawatte zurück. Ein anderes Mal traf er Arm in Arm mit seinem Bruder im Ziel ein.

Die Langlauf-DNA

Dass Françoise Stahel im März wirklich zum 49. Mal - und damit ohne Unterbruch - beim Engadiner an den Start gehen kann, liegt auch an ihrer Familie. Denn sie ist vom Langlauffieber ebenso angesteckt: «Sogar meine Tochter und Enkeltochter haben letztes Jahr am Lauf teilgenommen», sagt Stahel. Der zweite Sonntag im März sei immer heilig gewesen und es konnten dann nie Familienanlässe stattfinden. Ein Skirennen als Treffpunkt der Generationen.

Die ausdauernde Sportlerin hatte Mitte der 1990er Jahre auch schon überlegt, eine Edition des Skimarathons auszulassen. Sofort hätten die Leute aus ihrem Wohnort Klosters aber gesagt: «Das kannst du nicht machen.»

Da sei ihr bewusst geworden, wie bedeutend ihre Serie sei. Als Fernziel gibt sie nun die 50. Teilnahme im März 2019 aus. Weil ein Rennen 1991 abgesagt werden musste, kann sie dieses runde Jubiläum noch nicht in diesem Jahr feiern.

Mit verletztem Arm am Start

Wer die 80-Jährige in gleichmässigen Zügen über die Piste gleiten sieht, hat nur wenig Zweifel, dass sie auch diese Marke erreichen kann. Ihr Geheimrezept um fit zu bleiben, sei neben dem Yoga täglich ein frischer Ingwertee.

Auch den jüngeren Ueli Stamm scheint nur wenig aus der Loipe werfen zu können. Einmal rutschte er vor dem Start aus und riss sich Sehnen in der Schulter. Trotzdem schaffte er es, den Skimarathon «einarmig» zu absolvieren.

Eine Hüft-Operation konnte ihn ebenfalls nicht stoppen, allerdings kehrte er vom Skating zum klassischen Stil zurück. Selbst mit 70 Jahren versucht er noch an seiner Technik zu feilen: «Gerade vor zwei Wochen habe ich eine Langlauflektion genommen», berichtet er. Auch nach 50 Jahren «Engadiner» kann man also noch etwas lernen.

Bilder aus der Schweiz
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