Krise als Chance Die Suters leben dort, wo andere die Ferien verbringen

Marianne Siegenthaler

19.7.2018

Kurt Suter: «Wir waren schon ziemlich ratlos, wie es weitergehen soll. Kein Job, kein Haus, keine Perspektive. Meine Frau Marlies liess sich aber nicht entmutigen.»
Kurt Suter: «Wir waren schon ziemlich ratlos, wie es weitergehen soll. Kein Job, kein Haus, keine Perspektive. Meine Frau Marlies liess sich aber nicht entmutigen.»
Bild: zVg

Seit elf Jahren leben Kurt Suter (69) und seine Frau Marlies (68) auf dem Campingplatz im aargauischen Mumpf direkt am Rhein. Für das Paar war es der perfekte Ausweg aus einer schwierigen Lebenssituation.

Die «Bluewin»-Kolumne «Hört endlich auf, auf den Alten rumzuhacken!» hat viele Reaktionen ausgelöst. Fast 100 Leserinnen und Leser schrieben E-Mails, erzählten teils sehr berührende Gedanken und Geschichten. So auch Kurt Suter, der einen Einblick in seine ganz persönliche Lebensgeschichte gegeben hat.

Auf dem Campingplatz im aargauischen Mumpf ist das ganze Jahr über viel los. Ein Viertel der Chalets und Wohnheime ist ständig bewohnt. Auch Kurt und Marlies Suter leben dort, wo andere ihre Ferien verbringen. Das Ehepaar, das einst in Kanada wohnte, zog vor elf Jahren nicht ganz freiwillig in den Trailer.

Bluewin: Herr Suter, Sie leben das ganze Jahr auf dem Campingplatz. Das ist in der Schweiz eher ungewöhnlich. Wie ist es dazu gekommen?

Kurt Suter: Das ist eine längere Geschichte. Begonnen hat es damit, dass ich Ende 2006 meine Stelle als Produktionsleiter einer Präzisionsschleiferei in Kanada verloren habe, weil die Firma an US-Amerikaner verkauft wurde.

War das eine Überraschung?

Und wie. Es gab zuvor keinerlei Anzeichen dafür, dass die aufstrebende Firma innert weniger Monate verkauft und wir Mitarbeitenden arbeitslos werden könnten. Es war ein Schock. Ich war damals bereits 59 Jahre alt und wusste, dass die Stellensuche sehr schwierig sein würde.

Und gab es keine Aussicht auf Weiterbeschäftigung?

Doch. Wenn ich bereit gewesen wäre, für zwei Drittel meines bisherigen Lohnes zu arbeiten, hätte ich eine Stelle bei neuen US-amerikanischen Firmeneigentümern bekommen. Aber so wenig Geld reichte nicht für den Lebensunterhalt. Zumal meine Frau und ich uns über die vielen Jahre einen gewissen Lebensstandard geschaffen hatten.

Beim Komfort müssen die Suters auf dem Campingplatz kaum Abstriche machen: Küche, Wohn- und Schlafzimmer, Bad – es ist alles da.
Beim Komfort müssen die Suters auf dem Campingplatz kaum Abstriche machen: Küche, Wohn- und Schlafzimmer, Bad – es ist alles da.
zVg

Eine ziemlich aussichtslose Situation. Wie ging es weiter?

Zum Glück tat sich eine neue Chance auf. Wir bekamen das Angebot, auf Hawaii für sieben Jahre ein Bed & Breakfast zu führen. Wir waren begeistert, weil wir die wunderschöne Insel Maui bereits von einer früheren Ferienreise kannten.

Dann wurde alles gut?

Eben nicht. Wir hatten uns bereits darauf eingestellt, die nächsten Jahre auf Maui zu verbringen und deshalb auch unser Haus in Kanada verkauft. Doch dann kam ein E-Mail, das unsere Zukunft zunichte machte: Es würde nun aus verschiedenen Gründen doch nichts mit dem Bed & Breakfast, hiess es. Das war ein ziemlicher Schlag, denn gerade erst hatten wir doch unser Haus mit einem grossen Teil unseres Hab und Guts verkauft. Da war ich schon ziemlich ratlos, wie es weitergehen sollte. Kein Job, kein Haus, keine Perspektive. Meine Frau Marlies liess sich aber nicht entmutigen.

Wie hat sie reagiert?

Sie setzte sich an den Computer – was nicht allzu häufig vorkommt – und recherchierte im Internet. Schliesslich fand sie ein Wohnmobil in der Schweiz, das unser zukünftiges Zuhause werden sollte.

Was meinten Sie dazu?

Ich fand die Idee gut. Einerseits hoffte ich, in der Schweiz bessere Chancen auf einen Job oder zumindest Unterstützung bei der Stellensuche zu bekommen. Anderseits kann man in einem gemütlichen Trailer viel Geld sparen, ohne dass man auf Komfort verzichten muss.

Aber das ganze Jahr über auf dem Campingplatz, ist das nicht hart?

Nein. Unser Trailer ist sehr gut ausgebaut und isoliert, wir haben fliessendes Wasser, Strom und sogar einen Internetanschluss. Natürlich interessiert uns das Wetter mehr als jemanden, der in einer Wohnung lebt. So ein richtiger Hagelsturm beispielsweise kann einiges Unheil anrichten. Aber die Natur hat vor allem auch ihre schönen Seiten. Hier gibt es viel Grün, wir können im Rhein baden gehen – wir leben da, wo andere Ferien machen. Nicht zuletzt haben wir aber auch sehr nette Nachbarn. Man kennt sich, hält einen Schwatz, und mit einigen sehr guten Freunden gehen wir regelmässig Dart spielen. Es ist vielleicht wie in einem Wohnquartier, nur dass der Umgang einiges persönlicher ist. Was will man mehr?

Wie ist es mit der Jobsuche weitergegangen?

Die Arbeitslosigkeit belastete mich auch nach der Rückkehr in die Schweiz sehr. Zum Glück fand ich mit Hilfe des RAV schliesslich eine Anstellung als Hauswart, mal 50 Prozent, zwischendurch auch 70 Prozent. So habe ich wieder ein festes Einkommen. Seit wir aber auf dem Campingplatz leben, brauchen wir sehr viel weniger Geld als früher.

Was heisst das konkret?

Wir bezahlen monatlich weniger als 400 Franken für Platzmiete, Strom, Wasser und so weiter. Wo bekommt man dafür eine Wohnung mit Schlafzimmer, Stube, Bad, Küche und schönem Sitzplatz?

Wie haben Ihre Freunde und Bekannten auf Ihren Entscheid reagiert, in Zukunft auf dem Campingplatz zu leben?

In Kanada hatten wir nicht so enge Freundschaften. Dafür hatte ich gar keine Zeit, weil die Wochenarbeitszeit häufig 50 bis 60 Stunden betrug. Die Freundschaften hier in der Schweiz haben wir aber immer gepflegt und so freuten sich alle, als wir wieder zurückkamen – ganz egal, ob wir in einer Wohnung oder einem Trailer leben.

Sie waren 25 Jahre lang im Ausland. Haben Sie sich schnell wieder eingelebt?

Die Schweiz ist unsere Heimat und so ist uns vieles sehr vertraut. Aber durch die Begegnungen mit anderen Mentalitäten kam uns manches auch etwas befremdlich vor. Hierzulande wird halt gerne auf sehr hohem Niveau gejammert, statt dass man die Dinge etwas gelassener sieht. Oder auch einfach dankbar ist, für das, was man hat.

Wie sehen Sie Ihre Zukunft?

Ich hoffe, dass wir noch viele Jahre gesund hier in unserem Trailer leben dürfen. Wir geniessen jeden Tag und möchten auf keinen Fall mit jemandem tauschen.

Zurück zur Startseite