Die Kolumne Expats und die Schweiz – es bleibt eine Liebe mit Hindernissen

Marianne Siegenthaler

22.9.2018

Der Beliebtheitsgrad unseres Landes bei der wachsenden Expat-Community sinkt. Woran liegt das? Unsere Kolumnistin Marianne Siegenthaler glaubt, die Gründe zu kennen.
Der Beliebtheitsgrad unseres Landes bei der wachsenden Expat-Community sinkt. Woran liegt das? Unsere Kolumnistin Marianne Siegenthaler glaubt, die Gründe zu kennen.
Bild: iStock

Expats fühlen sich hier in der Schweiz nicht so wohl wie andernorts. Das zeigt eine aktuelle Studie des Expat-Netzwerkes InterNations. Unsere Kolumnistin Marianne Siegenthaler ist überzeugt, daran sind nicht allein wir Einheimischen Schuld.

Liebe Expats,

Vor fünf Jahren war alles gut. Da war die Schweiz das viertbeliebteste Land bei Ihnen. Nun stehen wir gerade mal noch auf Platz 44. Warum? Fast zwei Drittel von Ihnen klagen, dass es in der Schweiz schwierig sei, Freunde zu finden. Es ist schon so, dass viele Schweizerinnen und Schweizer eher zurückhaltend, gar verschlossen sind. Aber sicher nicht unfreundlich.

Doch wenn Sie wirklich Leute kennenlernen möchten, die vielleicht zu Freunden werden, dann müssen Sie sich auch unters gemeine Volk mischen. Es ist schon erstaunlich: Ich kenne keinen einzigen Expat. Und das obwohl ich im Bezirk Meilen wohne, wo auch eine ständig wachsende Expat-Gemeinschaft lebt.

Aber Sie, liebe Expats, trifft man eben nicht beim Plüschbärli-Nähen im Chindsgi. Weil Ihre Kinder die Dayschool besuchen. Wo schon Dreijährigen Unterricht in Deutsch, Englisch und Französisch angeboten wird. Und auch nicht am Elternabend der öffentlichen Primarschule. Weil Ihre Kinder in einer privaten internationalen Schule lernen.

Und weder in der Feuerwehr noch im Turnverein sind Sie anzutreffen. Auch nicht am Quartierfest. Weil Sie nicht in einem Quartier wohnen, in welchem gemeinsam Würste gebraten und Bier getrunken wird. Kein Wunder. In Villenquartieren ist das nicht üblich. Wenn Sie andere Leute treffen, dann bleiben Sie unter sich in Ihren englischsprechenden Communities.

Wen erstaunt’s, dass Sie unter diesen Umständen keine Freundschaften mit Einheimischen schliessen können? Zumal sich viele von Ihnen nicht mal die Mühe machen, unsere Sprache zu lernen. Da überrascht es nicht, dass manche Schweizerinnen und Schweizer dies als Zeichen dafür deuten, dass Sie mit uns gar nichts zu tun haben wollen. Und deshalb auch keinen Schritt in Sachen Freundschaft auf Sie zumachen.

Klagen auf hohem Niveau

Ja, und teuer sei es hier auch. Zwei Drittel von Ihnen halten die Lebenshaltungskosten für zu hoch. Wem sagen Sie das! Dabei werden Sie als Expats gut bis sehr gut bezahlt. Gemäss SRF hatte 2016 ein Drittel von Ihnen ein Haushalteinkommen zwischen 100‘000 und 150‘000 Franken, ein Sechstel über 200‘000 zur Verfügung. Zudem kommt bei manchen von Ihnen der Arbeitgeber für die Privatschule der Kinder auf. Manchmal werden auch die Wohnkosten übernommen. Jetzt stellen Sie sich mal vor, wie wir hier über die Runden kommen, wenn wir nur gerade einen Durchschnittslohn erhalten – oder noch weniger.

Einzig in der Kategorie «Lebensqualität» kann sich die Schweiz seit Jahren in den Top 10 halten.
Einzig in der Kategorie «Lebensqualität» kann sich die Schweiz seit Jahren in den Top 10 halten.
Infografik: internations.org

Raus aus der Expat-Blase …

Über ein Drittel von Ihnen gibt an, dass Sie sich in der hiesigen Kultur nicht zu Hause fühlen. Das erstaunt mich überhaupt nicht. Jede unbekannte Kultur bzw. Mentalität fühlt sich fremd an. Sie könnten sich aber damit beschäftigen. Das heisst nicht zwingend, dass Sie Fondue essen müssen. Ich mag Fondue auch nicht. Aber wenn Sie sich regelmässig ausserhalb Ihrer Expat-Blase bewegen, lernen Sie schnell auch einen Teil unserer Kultur kennen.

Also zum Beispiel, dass viele hier Wert auf Präzision und Pünktlichkeit legen. Beobachten Sie das Verhalten der Leute am Bahnhof, wenn der Zug mal zwei Minuten Verspätung hat. Dann verstehen Sie auch, weshalb man es Ihnen übel nimmt, wenn Sie ohne triftigen Grund eine Viertelstunde zu spät an ein Treffen kommen. Und nur wenn Sie den Kontakt mit uns nicht scheuen, lernen Sie typisch schweizerische Eigenheiten kennen. Dass Schweizer beispielsweise immer fragen, ob ein Platz im Bus oder Restaurant noch frei ist – auch wenn offensichtlich niemand drauf sitzt.

… oder ab nach Bahrain

Also raus aus Ihrer geschützten Community. Kommen Sie in die Quartierbeiz. An den Wochenmarkt. Auf den Kinderspielplatz. An die Chilbi. Oder an irgendeinen anderen Ort, wo garantiert Einheimische anzutreffen sind. Sie werden sehen: Auch hier gibt es viele freundliche Menschen. Sicher fast so viele wie in Bahrain. Ja, Bahrain, das Königreich im Persischen Golf wurde 2018 zum besten Ort für Expats gekürt. Obwohl es dort die Todesstrafe gibt, die auch vollstreckt wird, und Nicht-Expats unter übelsten Arbeitsbedingungen krampfen müssen. Und gemäss EDA immer mal wieder mit Attentaten gerechnet werden muss. Also wenn Ihnen, liebe Expats, das wirklich besser gefällt – dann sagen wir «Ufwiederluege».


Als Expats bezeichnet man hochqualifizierte Arbeitskräfte, die von ihren Mutterfirmen rund um den Globus zu befristeten Arbeitseinsätzen (Assignments) geschickt werden.


Hier finden Sie die ausführliche Studie 2018 des internationalen Expat-Netzwerkes InterNations.

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In der Rubrik «Die Kolumne» schreiben Redaktorinnen und Redaktoren von «Bluewin» regelmässig über Themen, die sie bewegen. Leserinnen und Leser, die Inputs haben oder Themenvorschläge einreichen möchten, schreiben bitte eine Mail an: redaktion2@swisscom.com

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