Die Kolumne Vaterschaftsurlaub: Die Rechnung ohne die Männer gemacht

Marianne Siegenthaler

2.9.2018

Neun von zehn Männern behaupten, dass sie zugunsten der Familie ihre Erwerbstätigkeit reduzieren wollen, aber nur gerade einer von 10 tut das dann auch tatsächlich. (Symbolbild)
Neun von zehn Männern behaupten, dass sie zugunsten der Familie ihre Erwerbstätigkeit reduzieren wollen, aber nur gerade einer von 10 tut das dann auch tatsächlich. (Symbolbild)
Bild: Keystone

Mit dem Vaterschaftsurlaub soll der Staat nachhelfen, damit die Papis sich mehr um ihre Kinder kümmern. Ein teurer und vergeblicher Versuch.

Jetzt sollen auch die Papis «ad Seck» oder besser an die Windel. Dank bezahltem Vaterschaftsurlaub könnten sie das frischgebackene Mami in der ersten Zeit unterstützen. Und damit tun sie ganz viel Gutes, wenn man den Studien der Befürworter glauben will: Die Kleinen sind gesünder, die Mütter zufriedener, und nicht zuletzt soll dank dem Papi-Urlaub die  traditionelle Rollenverteilung überwunden werden.

Da haben aber die Initianten der Vaterschaftsurlaub-Initiative die Rechnung ohne die Väter gemacht. Die fühlen sich nämlich ganz wohl in ihrer Ernährerrolle. Und das lässt sich mit Zahlen belegen, die die Forschungsstelle Sotomo in Zürich gesammelt hat:

Zwar behaupten neun von zehn Männern, dass sie zugunsten der Familie ihre Erwerbstätigkeit reduzieren wollen, aber nur gerade einer von 10 tut das dann auch tatsächlich. Aktuelle Zahlen zur Erwerbssituation von Vätern zeigen denn auch, dass die meisten Männer während der gesamten Familienphase Vollzeit arbeiten.

Aber das ist noch nicht alles: Der Umfang der Erwerbsarbeitszeit von Vätern steigt oft noch mit der Geburt eines Kindes an und liegt höher als der von Männern ohne Kinder.

In Zahlen: Während fast neun von zehn Väter im Alter von 35 bis 54 Jahren vollerwerbstätig sind, sind es bei den gleichaltrigen Männern ohne Kinder nur acht von zehn.

«Maternal Gatekeeping»: Mütter werden Glucken

Es scheint fast, die Väter sind auf der Flucht. Lieber Büro statt Babygeschrei, lieber Konferenzen statt Koliken. Aber natürlich dürfen Männer hierzulande niemals laut sagen, dass sie das Kind vor allem in der Baby- und Kleinkindphase noch so gerne der Mutter überlassen.

Da würden sie doch vom gesamten Umfeld als Anhänger eines konservativ-reaktionären Familienbildes angefeindet. Und so schieben sie allerhand Ausreden vor, weshalb sie ihr Pensum nicht reduzieren. Teilzeit soll in ihrem Job nicht möglich sein, das Einkommen wäre zu tief, die Karriere würde leiden und so weiter. Und so bleibt denn die Babybetreuung den Müttern überlassen.

Was übrigens vielen von ihnen ganz recht ist. «Maternal Gatekeeping» nennt man das Phänomen, dass Frauen nach der Geburt zu Glucken werden, die niemanden mehr an ihre Brut ranlassen – auch die Väter nicht.

Rund ein Viertel der Mamis soll gemäss US-amerikanischen Untersuchungen in dieses Verhalten verfallen und so das väterliche Engagement behindern oder gar verhindern. Was machen dann die Väter in ihrem Vaterschaftsurlaub? Ferien? Vom Staat, beziehungsweise uns allen bezahlt?

Billig wird die Auszeit der Väter nicht

Denn billig wird diese väterliche Auszeit ganz sicher nicht. Ginge es nach der Eidgenössischen Koordinationskommission für Familienfragen (EKFF), wäre eine 38-wöchige Elternzeit ideal.

Kostenpunkt: Rund eine Milliarde jährlich – oder auch mehr, so genau weiss man das ja im vornherein nie. Die Volksinitiative  «Für einen vernünftigen Vaterschaftsurlaub – zum Nutzen der ganzen Familie» verlangt vier Wochen, die nach Berechnungen des Bundes rund 420 Millionen Franken pro Jahr kosten würden.

Die Mehrheit der Ständeratskommission hält die Hälfte für einen sinnvollen Kompromiss und hat zwei Wochen Vaterschaftsurlaub als indirekten Gegenentwurf zur Volksinitiative beschlossen. In jedem Fall wird da viel von unserem Geld rausgeschmissen, um aus Männern engagierte Papis zu zaubern.

Aber die lassen sich ja vielleicht gar nicht mit ein paar freien Tagen ködern. So beziehen gemäss einer Studie des OECD längst nicht alle Männer in Europa und auf anderen Teilen der Welt den ihnen zustehenden Vaterschaftsurlaub. Und selbst diejenigen, die es tun, verschwinden nach der bezahlten Auszeit wieder in ihrem Vollzeitjob.

Umerziehung funktioniert nicht

Ein Beitrag zu einer partnerschaftlichen Rollenverteilung ist der Vaterschaftsurlaub also nicht, wie Erfahrungen und Zahlen aus dem Ausland zeigen. Und auch was eine gute Vater-Kind-Beziehung anbelangt, bringen ein paar Tage oder Wochen Vaterschaftsurlaub nichts, wenn das Engagement nicht langfristig bestehen bleibt – indem der Vater sein Arbeitspensum reduziert und einen Teil der Kinderbetreuung übernimmt.

Das funktioniert, wie ich aus eigener Erfahrung weiss. Aber das müssen auch beide Elternteile so wollen. Und eine solche Rollenteilung ist allerdings häufig mit Verzicht verbunden: weniger Einkommen, weniger Karriere, weniger Prestige.

Fazit: Wenn Männer auch als Väter nicht bereit sind, ihre Erwerbssituation zu ändern, ist ein Vaterschaftsurlaub nichts anderes als ein teurer und vergeblicher Versuch, Männer umzuerziehen. Also überlassen wir es doch den Paaren, wie sie ihren Alltag als Eltern organisieren möchten.

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