Sprachpfleger Handlungen, in den Mund gelegt

Von Mark Salvisberg

2.9.2020

Zur direkten Rede sollte man nichts dazuerfinden.
Zur direkten Rede sollte man nichts dazuerfinden.
Bild: Getty Images

Ist das Interview etwas dünn geraten? Kein Problem, denkt der Fragesteller – und greift zu «lesensverlängernden» Massnahmen: Er lässt den Gesprächspartner etwas sagen, was dieser nie geäussert hat.

Direkte Reden werden manchmal unzulässig «erweitert», weil Angehörige der schreibenden Zunft sich bemüssigt sehen, im Begleitsatz haufenweise fragwürdige Informationen unterzubringen. Auf diese Weise legen sie einer Person nicht nur Worte, sondern sogar Taten in den Mund.

Das Interview als Einladung zur «Dichtung»

Jemand darf einer Skisportlerin eine Frage stellen, zum Beispiel, wie das Rennen für sie gelaufen sei, und erhält die Antwort: «Ich habe eine saubere Fahrt hingelegt und mich dabei wohl gefühlt.» So weit, so gut.

Nun hat der Interviewer aber zu wenig «Fakten». Er versucht deshalb im Begleitsatz noch einiges unterzubringen. Er schreibt: «Ich habe eine saubere Fahrt hingelegt und mich dabei wohl gefühlt», schob die beste Abfahrerin des letzten Winters sämtliche ihre Fitness betreffende Kritik vonseiten seines Trainers beiseite. Wow. Anstatt zu fragen, ob und von wem sie kritisiert worden sei und wie es mit der Fitness stehe, fügte der Interviewer gleich die Antworten der nicht gestellten Fragen an. Dazu auch noch eine Aktion: das Beiseiteschieben von Kritik – obwohl die Sportlerin dies gar nicht getan hat.

Der nächste Fall: «Man ist auf unsere Bedenken nicht eingegangen», zieht die Gemeindepräsidentin eine bittere Bilanz über ihr politisches Wirken. Das Redaktionsmitglied als Dichter – und die Gemeindepräsidentin mit einer «Tat im Mund»: Sie zieht eine bittere Bilanz? Davon hat sie nichts erzählt.

Ein weiterer Satz: «Die Geschichte wird uns recht geben», war der Minister überzeugt. Überzeugen Sie diese Worte? Woher will jemand wissen, wie sein Gegenüber wirklich denkt? Damit sind wir auf der sicheren Seite: «Die Geschichte wird uns recht geben», meinte er und wirkte dabei überzeugt. Das Überzeugt-Sein wird hier nicht als Tatsache präsentiert. Sofern man selber überzeugt ist, dass die Person überzeugt war, kann man immer noch schreiben: ... meinte er überzeugt.

Zeit für Prinzipien und Lösungen

Man darf niemandem Worte, die er nicht gesagt hat, in den Mund legen, geschweige denn Handlungen. Also nicht: «Der Ball rollt», konnte der Sportchef am Freitag an einer Medienkonferenz sein riesiges Selbstbewusstsein angesichts des erreichten Turnarounds des Klubs nicht verbergen. Ich höre Sie lachen.

Der Fussballmanager hat drei Worte gesprochen, seine Aussage wurde aber auf das Fünffache aufgeblasen. Als Korrektor muss man da hineingrätschen: «Der Ball rollt», meinte der Sportchef am Freitag an einer Medienkonferenz selbstbewusst. Dies kann anhand seines Auftretens ohne weiteres so interpretiert werden.

Im Übrigen gilt: Nach einer direkten Rede kann vieles stehen: sagte (sie), betonte, meinte, erklärte, liess ... wissen, teilte ... mit, informierte, bemerkte et cetera. Aber sicher nicht dies: «Das Kraut schmeckt gut», brach er eine Lanze für die Vegetarier. Also bitte keine Taten in den Mund legen. Dafür eignet sich Kraut besser.

Zur Person: Mark Salvisberg war unter anderem als Werbetexter unterwegs. Der Absolvent der Korrektorenschmiede PBS überarbeitet heute
täglich journalistische Texte bei einer grösseren Tageszeitung.

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