Vater dank Leihmutter Olivier Borer: «Wir sind dafür gemacht, eine Familie zu haben»

Von Bruno Bötschi

5.5.2023

Olivier Borer: «Seit der Geburt von Naël hat sich unser Leben auf den Kopf gestellt»

Olivier Borer: «Seit der Geburt von Naël hat sich unser Leben auf den Kopf gestellt»

Er wollte immer Kinder haben, bis er realisierte, dass er schwul ist. Nun wurde SRF-Moderator Olivier Borer doch Vater. Sein Sohn wurde von einer Leihmutter ausgetragen.

13.04.2023

Sein grösster Wunsch waren Kinder. Doch dann realisierte er, dass er schwul ist. Nun ist SRF-Sportmoderator Olivier Borer doch Vater geworden. Sein Sohn wurde von einer Leihmutter in den USA ausgetragen.

Von Bruno Bötschi

5.5.2023

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Olivier Borer und sein Mann sind vor einem halben Jahr zum ersten Mal Eltern geworden.
  • Sohn Naël wurde in den USA von einer Leihmutter ausgetragen.
  • Im Interview erzählt der 41-jährige SRF-Sportmoderator, wie es ist, Vater zu werden und warum er beim Tabuthema Leihmutterschaft das Eis brechen will.

Olivier Borer, wie geht es dir?

In den letzten Tagen war ich etwas müde, sonst ist aber alles gut.

Hält dich dein Sohn Naël auf Trab?

Naël ist nicht der Grund für meine Müdigkeit. Er ist ein guter Schläfer. Vor zwei Tagen hatte er zwar eine etwas unruhige Nacht.

Was war los?

Vollmond.

Im Januar sagtest du in einem Interview, dein heute halbjähriger Sohn sei Anfänger-Baby: «Er schläft gut, isst prima und hat sich toll eingelebt.»

Das stimmt. Wir haben uns in den letzten Wochen und Monaten immer besser aneinander gewöhnt und sind als Familie bereits gut eingespielt. Dazu beigetragen hat, dass mein Mann und ich aktuell Teilzeit arbeiten. Das heisst, es ist immer mindestens einer von uns zu Hause mit Naël.

Gibt es auch herausfordernde Momente?

Natürlich gibt es die. Im Januar litt Naël an einer bakteriellen Entzündung der Harnwege. Es war derart schlimm, dass er während drei Tagen ins Kinderspital in Zürich musste. Dort wurde ihm intravenös Antibiotika verabreicht. Er hat geschrien wie am Spiess und wir standen daneben und heulten. Das war schrecklich.

Demnächst könnte es wieder unruhig werden: Die ersten Milchzähne zeigen sich ab etwa dem sechsten Lebensmonat.

Kürzlich speichelte Naël stark und nahm ständig die Faust in den Mund. Da dachte ich, die ersten Zähne seien nicht mehr weit. Die Kinderärztin klärte mich dann auf, dass unser Sohn jetzt in der oralen Phase sei. In dieser Zeit werde alles in den Mund gesteckt. Mittlerweile sind die ersten beiden Zähne allerdings durchgebrochen.

«Wir haben uns in den letzten Wochen und Monaten immer besser aneinander gewöhnt und sind als Familie bereits gut eingespielt»: Olivier Borer über seine Rolle als Papi.
«Wir haben uns in den letzten Wochen und Monaten immer besser aneinander gewöhnt und sind als Familie bereits gut eingespielt»: Olivier Borer über seine Rolle als Papi.
Bild: Rita Vollenweider

In der Wochenzeitung «Die Zeit» erschien vor Kurzem ein Interview mit Kim de l’Horizon. Kim ist die erste nicht-binäre Person, die gleichzeitig den Schweizer und den Deutschen Buchpreis gewann. Kim sagt: «Ausser der Reihe zu tanzen, kostet Kraft und Mut.» Wie viel Kraft und Mut hast du in den letzten anderthalb Jahren gebraucht?

Viel Kraft, sehr viel sogar. Denke ich darüber nach, was in den letzten anderthalb Jahren alles passiert ist, bewegt mich das. Es ist aber auch viel zurückgekommen in den letzten Monaten. Ich habe das Gefühl, meine Reserven sind jetzt wieder aufgefüllt, obwohl es ein komplizierter Weg war. Viel Energie hat auch der Weg an die Öffentlichkeit gekostet, bevor Naël überhaupt auf der Welt war.

Du hättest weniger offensiv über eure Leihmutterschaft kommunizieren können.

Mein Mann und ich entschieden uns bewusst für diesen Weg. Wir wollten das Eis brechen beim Tabuthema «Leihmutterschaft». Ich denke, wir konnten einiges erreichen – auch wenn ich mich eine Zeit lang gefragt habe: Muss ich das wirklich machen?

Du meinst den Weg für Menschen ebnen, die sich ebenfalls für eine Leihmutterschaft interessieren?

Ich weiss, ich hätte das nicht tun müssen. Ich habe es aber vor allem für uns gemacht. Heute bin ich froh darüber, dass ich im September 2022 im «Zurich Pride»-Podcast unsere Familiengründung öffentlich gemacht habe. So konnte ich das Thema setzen und hatte es mehr oder weniger im Griff, wie darüber berichtet wird. Natürlich gab es auch Gegenwind und teils ganz heftige Kommentare, aber das war zu erwarten.

Am 11. November 2022 seid dein Mann und du per Leihmutterschaft Eltern geworden. Wie hast du die Geburt von eurem Sohn erlebt?

Alles war sehr speziell – bis am Ende die grosse Erlösung kam. Wir sind mehr oder weniger Hals über Kopf in die USA geflogen, nach dem es plötzlich hiess, unser Kind komme vor dem Geburtstermin auf die Welt. Nach der Landung fuhren wir direkt in Spital. Das Bauchmami lag bereits im Spitalbett, als wir dort ankamen. In der Folge liess sich Naël noch zehn Tage Zeit, bis er auf die Welt kam.

War die Geburt deines Sohnes der schönste Tag in deinem bisherigen Leben?

Es war ein Tag voller Magie. Mein Mann und ich durften die Geburt im Gebärsaal miterleben. Ja, es ist das Grösste, was ich bisher in meinem Leben erleben durfte, auch wenn es schwierige Momente gab.

Willst du mehr darüber erzählen?

Das Bauchmami hatte sehr starke Wehen. Es gab ein Problem mit der Periduralanästhesie, die anfänglich nicht richtig gesetzt war. Das musste korrigiert werden. In dieser Zeit verliessen wir den Gebärsaal, um dem Bauchmami Raum und Zeit zu geben – nur ihr Partner blieb während dieser Zeit an ihrer Seite.

Dazu sollte ich vielleicht noch erklären: Bei einer Leihmutterschaft wird in den USA mit dem Spital vorab vereinbart, wie die Geburt ablaufen soll. Es war abgesprochen, dass Naël nach der Geburt dem Bauchmami auf den Bauch gelegt wird. Danach durfte mein Mann die Nabelschnur durchschneiden, bevor er zum ersten Mal zu mir kam. Wichtig sind diese Abmachungen vor allem im Fall eines Notfalles. Hätte es einen Kaiserschnitt gegeben, war vereinbart, dass wir den Gebärsaal verlassen und nur der Mann des Bauchmamis drinbleibt.

«Meine Idealvorstellung vom Leben sah viele Jahre so aus: Freundin, Heirat, Kinder, Haus bauen»: Olivier Borer.
«Meine Idealvorstellung vom Leben sah viele Jahre so aus: Freundin, Heirat, Kinder, Haus bauen»: Olivier Borer.
Bild: SRF/Oscar Alessio

Was waren deine Gedanken, als du deinen Sohn zum allerersten Mal in den Armen halten durftest?

Mir kommt es so vor, als wisse ich vieles, was an dem Tag passierte, nur noch, weil es Bilder davon gibt. Unvergessen bleibt mir der Moment, als ich Naël zum ersten Mal in die Arme schliessen durfte. Mir schossen sofort die Tränen in die Augen, während er ganz ruhig auf mir lag. Das hat mich ziemlich überrascht, denn während der Schwangerschaft war er ein sehr aktives Baby. Naël brauchte nach der Geburt recht lang, bis er zum ersten Mal weinte. Ich weiss noch, wie ich dachte: We made it.

Wirklich wahr, dass du und dein Mann schon vor 21 Jahren, als ihr euch zum ersten Mal getroffen habt, über das Thema Kinder gesprochen habt?

Mein Mann behauptet sogar, es sei eine gute Pickup-Line gewesen, um mich nach dem ersten Flirten in ein tiefergehendes Gespräch zu verwickeln.

War für dich immer klar, dass du einmal Kinder haben möchtest?

Ja. Ich habe einen speziellen Draht zu Kindern. Manchmal habe ich sogar das Gefühl, ich hätte die Gabe, in ihnen ein Urvertrauen zu wecken.

Irgendwann hast du realisiert, dass du schwul bist. Ist damals dein Traum vom Vaterwerden wie eine Seifenblase geplatzt?

Es war eine Katastrophe und wahrscheinlich auch einer der Gründe, warum ich lange nicht dazu stehen konnte, schwul zu sein. Meine Idealvorstellung vom Leben sah viele Jahre so aus: Freundin, Heirat, Kinder, Haus bauen.

Wann wurde der Traum vom Vaterwerden wieder lebendig?

Der Traum schlummerte weiter in mir. Das erste Mal wieder richtig präsent geworden ist er, nachdem ich einen Dok-Film im Schweizer Fernsehen über ein Westschweizer Paar sah, das in den USA per Leihmutterschaft Zwillinge bekommen hatte. Es war auch das erste Mal, dass ich mit dem Thema Leihmutterschaft in Berührung kam. Das muss mindestens zehn Jahre her sein. Später kam dieser Moment, als ich meine damals einjährige Nichte ins Bett bringen durfte. Als sie mich mit ihren grossen Augen anschaute, meldete sich der Kinderwunsch mit einer nie dagewesenen Wucht zurück. Und ich dachte: Ich will ebenfalls Vater werden.

Wie ging es weiter?

Kurz darauf trat in der SRF-Sendung «Familiensache» ein schwules Paar aus Bern auf, das per Leihmutterschaft Eltern geworden war. Ich nahm mit den beiden Männern Kontakt auf. Sie sind schuld daran, dass es Naël gibt.

Was sagten deine Eltern, als du ihnen mitgeteilt hast, du möchtest Vater werden?

An den genauen Wortlaut kann ich mich nicht erinnern, aber für meine Familie und auch für unsere Freundinnen und Freunde waren es nicht wirkliche Neuigkeiten. Für alle ist es irgendwie ein logischer Schritt.

Du bist vierfacher Götti. Dein Umfeld wusste, dass du Kinder magst. Wie fielen die Reaktionen aus, als du vom Projekt Leihmutterschaft erstmals erzählt hast?

Die Reaktionen waren ausschliesslich positiv. Was sicher auch damit zu tun hat, dass wir unsere Familie und unsere Freundinnen und Freunde auf unserem Weg immer mitgenommen haben. Man hat es von uns schon fast erwartet, dass wir einmal Eltern werden. Besonders schön hat es eine Freundin von mir formuliert. Sie sagte, sie hätte sich uns schon immer als Eltern vorgestellt.

«Unvergessen bleibt mir der Moment, als ich Naël zum ersten Mal in die Arme schliessen durfte. Mir schossen sofort die Tränen in die Augen, während er ganz ruhig auf mir lag»: Olivier Borer.
«Unvergessen bleibt mir der Moment, als ich Naël zum ersten Mal in die Arme schliessen durfte. Mir schossen sofort die Tränen in die Augen, während er ganz ruhig auf mir lag»: Olivier Borer.
Bild: Rita Vollenweider

Die Leihmutter in den USA, ihr in der Schweiz: Tausende Kilometer entfernt ist euer Sohn herangewachsen. Wie hast du die Schwangerschaft erlebt – also sprich: körperlich, mental und emotional.

Die Schwangerschaft habe ich als sehr emotional erlebt – nicht zuletzt wegen der grossen Distanz. Wir standen zwar mit dem Bauchmami während der ganzen Zeit fast täglich in Kontakt. Wir schickten ihr zudem jede Woche eine schweizerdeutsche Message. Diese spielte sie Naël vor, damit er sich bereits im Bauch an unsere Stimmen gewöhnen und mit dem Schweizerdeutsch vertraut werden konnte.

Gab es auch schwierige Phasen?

Natürlich. Das Bauchmami erkrankte während der Schwangerschaft zuerst an Grippe und danach auch noch an Corona. Das hat uns alle gefordert.

Haben dein Mann und du euch während der Schwangerschaft bereits ausgemalt, wie das nach der Geburt sein könnte als Familie?

Ehrlich gesagt dachten wir, das Leben als Väter werde viel komplizierter. Unsere Freundinnen und Freunde hatten uns gewarnt und gemeint, ein Baby, das bereits im Bauch derart aktiv sei, werde auch nach der Geburt ziemlich unruhig sein. Bis jetzt hatten wir Glück. Und doch: Seit der Geburt von Naël hat sich unser Leben auf den Kopf gestellt. Mein Mann und ich haben uns beide schon mehrmals die Frage gestellt: Was haben wir mit unserer Zeit gemacht vor der Geburt unseres Sohnes? Naël hat uns als Paar emotional noch mehr zusammengeschweisst. Und wir merken immer mehr, wir sind dafür gemacht, eine Familie zu haben.

Fehlt die Zeit für euch allein nicht?

Noch nicht. Aber wir haben auch ein grosses Privileg: Jeden Dienstag sind wir alle drei zusammen und machen eine kleine Unternehmung oder gehen gemeinsam zur Elternberatung.

Hast du dich vor der Geburt damit beschäftigt, wie du als Vater sein möchtest?

Ich möchte Naël so erziehen, dass er weiss, er kann mit all seinen Anliegen und Problemen zu mir kommen. Ich möchte ihm gewisse Werte vermitteln und – das trauen mir zwar viele nicht zu – ich kann auch streng sein. Gleichzeitig möchte ich aber auch loslassen können, wenn es Zeit ist loszulassen. Das fängt bereits jetzt an. Noch schläft unser Sohn im Beistellbett direkt neben unserem Bett. In Kürze ist er aber zu gross dafür und wird ins Kinderbett wechseln.

Hast du auch reflektiert, was dir an deinem Vater gefallen hat oder was du anders machen möchtest?

Mein Papi ist mir in vielem ein Vorbild, auch wenn die Situation heute und das Rollenbild Vater ein komplett anderes sind. Es entspricht mir deutlich mehr. Und weisst du was? Mein Vater musste einen Tag nach meiner Geburt in den WK einrücken.

Du hast dich schon vor Jahren im Schweizer Fernsehen SRF geoutet und sprichst in den Medien sehr offen über Privates. Warum?

Ich habe zwei Anliegen. Erstens: Wenn mein öffentliches Coming-out einem Menschen sein Leben nur schon ein bisschen einfacher macht, hat sich es gelohnt. Mir haben als junger Mensch die queeren Vorbilder gefehlt. Heute ist die Situation, nicht zuletzt auch durch die sozialen Medien, eine andere. Trotzdem bin ich überzeugt, es ist wichtig, auch im eigenen Umfeld, im eigenen Dorf, in der eigenen Stadt eine reale Person zu kennen, die queer ist.

Und zweitens?

Immer wieder habe ich das Gefühl, ich hätte mein halbes Leben versteckt gelebt. Und zwar nicht, weil jemand gesagt hat, ich müsse das so handhaben, sondern weil ich mit nicht nach vorne traute. Das hat Energie gekostet. Jetzt, wo ich mit mir im Reinen bin, fühlt sich das Erzählen meiner Lebenssituation wie ein Befreiungsschlag an. Und das tut gut.


Der zweite Teil des Interviews mit SRF-Sportmoderator Olivier Borer zum Thema «Leihmutterschaft» erscheint am Sonntag auf blue News.


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