Neues Männerbild Scheinheilig oder überfällig? Werbespot schlägt hohe Wellen

mit/dpa

18.1.2019

Mit der toxischen Männlichkeit aus vergangenen Tagen soll nun Schluss sein, so propagiert es zumindest eine neue Werbung von Gilette. Scheinheilig oder überfällig?
Mit der toxischen Männlichkeit aus vergangenen Tagen soll nun Schluss sein, so propagiert es zumindest eine neue Werbung von Gilette. Scheinheilig oder überfällig?
Bild: Screenshot Gilette

Mit seinen Rasierern hat Gilette jahrelang das Image des maskulinen Archetypen gepflegt. Nun wagt das Unternehmen einen Imagewechsel und erntet dafür viel Kritik in den sozialen Medien, vor allem von Männern.

Ein Werbespot erregt die Gemüter: Mit Warnungen vor «toxischer Männlichkeit» wirbt der Rasierklingenhersteller – ganz im Geiste der #MeToo-Bewegung – für ein neues Männerbild. Doch nicht alle in der Zielgruppe sind darüber amüsiert.

Quelle: Youtube

Glatte Haut war gestern – der Rasierklingenhersteller will aus seinen Kunden bessere Männer machen. So jedenfalls lässt sich die Botschaft eines neuen Werbeclips verstehen, der inzwischen fast 20 Millionen Mal auf YouTube geklickt wurde.

«Ist das das Beste, was Männer sein können?», heisst es in dem knapp zwei Minuten langen Clip.  Das Video zeigt dabei Szenen, in denen Männer als übergriffige Chefs, prügelnde Jungs, sexistische Hip-Hopper und grillierende Machos dargestellt werden. Das ganze wird unter den Gebriff «toxische Männlichkeit» zusammengefasst. 

Das kommt – verständlicherweise – nicht bei allen gut an, die Reaktionen in den sozialen Medien liessen nicht lange auf sich warten. Die hauptsächlich männlichen Kommentatoren fühlen sich angegriffen und dämonisiert, wollen mit dem veralteten Rollenbild nichts zu tun haben. Sie reagieren mit Boykott-Aufrufen und kritisieren, dass sich ein Unternehmen zur Absatzförderung als «social justice warrior» aufschwinge und scheinheilig agiere.

Gilette als Prügelknabe?

Das Branchenmagazin Persönlich hat Schweizer Werbeprofis um ihre Meinung zum umstrittenen Werbespot gebeten. Regula Bührer Fecker, Mitgründerin von Rod Kommunikation und Autorin von «#Frauenarbeit» sagt dazu: «Ich habe den Eindruck, dass der Hass, den die Marke nun abkriegt, viel Aufgestautes ist, das gewisse Männer rund um #MeToo gar nicht sagen konnten, weil man da einfach nichts sagen konnte. Insofern ist Gillette nun mit der Kampagne zum emotionalen Abfallkübel geworden.» Sie stellt in Frage, ob man sich dem als Unternehmen aussetzen wolle. 

Pam Hügli ist Geschäftsführerin und Partnerin bei Serviceplan Suisse. Sie unterstellt der Werbung eine gewisse Scheinheiligkeit: «Gillette könnte auch damit anfangen, die Preise für die Frauenrasierer zu senken – die sind nämlich teurer als die Männerrasierer.» Das wäre  in ihren Augen wahre Gleichstellung.



Was sagt ein Mann dazu? Frank Bodin, Präsident Art Directors Club Schweiz ist begeistert: «Eine Weltklassekampagne. Weil sie die Marke Gillette fundamental weiterentwickelt und mit einer mutigen Portion Selbstkritik von ihren Klischees befreit. Und das erst noch mit einem aktuellen gesellschaftlichen Dialog.»

Bodin steht mit seiner positiven Meinug nicht alleine da. Inzwischen verteidigen viele Frauen – und auch Männer – den Sport in den Sozialen Medien. Sie weisen darauf hin, dass Männer, die sich von dem Spot angegriffen fühlten, gerade der Grund für solche Botschaften seien. 

Werbung soll Haltung beziehen

Haltung in der Werbung liegt im Trend. Ob neue Frauen- und Männerbilder, Klimawandel oder Integration – wer mit gesellschaftlichen und politischen Statements wirbt, kann sich der Aufmerksamkeit sicher sein.

Smartphone und soziale Medien hätten zu einem enormen Beschleunigung der Kommunikation beigetragen, sagt der Werbefachmann André Karkalis. Selbst Unternehmen mit Milliardenumsätzen und riesigen Werbebudgets hätten Schwierigkeiten, sich im Stimmenwirrwarr Gehör zu verschaffen. «Wir haben gelernt, Werbung auszublenden», sagt Karkalis, der in Düsseldorf und München eine PR-und Kommunikationsagentur betreibt. Firmen versuchten, sich deswegen in gesellschaftliche Debatten einzuklinken.

Wenn im Namen von Katjes eine Frau mit Kopftuch für veganes Fruchtgummi (ohne Schweinefleisch-Gelatine) wirbt, steigt sofort die Erregungskurve in den sozialen Medien. Dass sich das Unternehmen mit seiner Botschaft damit vor allem an Muslime richtet, immerhin etwa sechs Prozent der Bevölkerung in Deutschland, birgt Konfliktstoff in sich.

Mit dem Spot wolle Katjes junge Muslimas ansprechen, für die der Verzicht auf tierische Gelatine eine bedeutende Rolle spiele, begründete die Firma die Kampagne. Die Frauenzeitschrift «Emma» sah den Spot mit dem Kopftuch als «Normalisierung eines reaktionär-fundamentalistischen Frauenbildes».

Der Grat ist schmal 

Hohe Wellen schlug in den USA die Kampagne von Nike («Just do it») mit dem Football-Spieler Colin Kaepernick. Der ehemalige Quarterback aus San Francisco hatte eine Krise in der patriotisch gestimmten NFL-Welt ausgelöst. Bei einem Spiel seiner Mannschaft hatte sich Kaepernick nicht zur Nationalhymne erhoben. Er wolle sich nicht zu einer Flagge bekennen, in deren Namen schwarze Menschen unterdrückt werden. Kurz davor hatte die Polizei drei Schwarze erschossen. Kaepernick flog aus der Liga und hat bisher kein Team gefunden.

QUelle: Nike

Nikes Aktie fiel zwar zunächst in den Keller. Doch wer nun die Sneakers am Fuss hatte, zeigte, auf wessen Seite er oder sie stand. US-Präsident Donald Trump brachte der Spot allerdings auf die Palme.

Dass Haltungsbotschaften auch daneben gehen können, musste der Kosmetikhersteller Dove schmerzlich erfahren. Der Seifen- und Duschgel-Fabrikant hatte zwar früh in seinen Spots das gängige Bild dünner Models in Frage gestellt und auch rundliche Frauen Reklame machen lassen. Doch in einem späteren Spot blendete die Firma Frauen verschiedener Hautfarben hintereinander ein, die in schneller Abfolge ihr T-Shirts wechselten. Bei vielen Betrachtern entstand der Eindruck, mit der richtigen Seife werde dunkle zur reinen, weissen Haut. Nach Rassismus-Vorwürfen entschuldigte sich das Unternehmen.

Werbung mit erhobenem Zeigefinger wirkt beleidigend

«Virtue signaling» nennt sich in den USA diese Art, mit direkter Ansprache Tugenden anzumahnen und damit Aufmerksamkeit zu erregen. Mobbing, die #MeToo-Bewegung, sexuelle Belästigung, toxische Männlichkeit - «ist das das Beste am Mann?», heist es auch zu Beginn des Gillette-Spots. Viele Männer, verkündet das Unternehmen in einem eigens geschaffenen Webauftritt, «seien auf dem Scheideweg zwischen der Vergangenheit und einer neune Ära der Männlichkeit».

Für Werbeexperte Karkalis geht Gillette mit solchen Statements ein beträchtliches Risiko ein. «Mit der Brechstange» versuche hier eine Marke, die früher damit geworben habe, dass Frauen sich der sanft rasierten Männerhaut willenlos ergeben, einen Imagewechsel.

Doch anders als bei Nike, der den «gefallenen Helden» Kaepernick zur positiven Identifikationsfigur erhob, fordert Gillette seinen Kunden auf, sich selbst zu hinterfragen. «Kommunikation mit erhobenem Zeigefinger» nennt das Karkalis: «Möchte ich mir von einem Rasierer sagen lassen, dass ich mein Männerbild überdenken muss?» Karkalis spricht mit Blick auf die internationale Kampagne von einer «kalkulierten Plumpheit»,  die eben Aufmerksamkeit erzeugen solle.

Ein Jahr #MeToo: Was hat die Bewegung bewirkt? 

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