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Schöner Schein Katar vor der Fussball-WM: Urlaub im reichsten Land der Welt
dpa/tafi
7.12.2019
Der Wüstenstaat Katar am Persischen Golf ist winzig, sagenhaft reich und trägt 2022 die Fussball-WM aus. Nun sollen auch Touristen kommen. Wie ist Urlaub in einem Land, das sich alles leisten kann?
Die pastellfarbenen Fassaden im Renaissance-Stil mit ihren kleinen Balkonen strahlen makellos. Über den Kanal spannt sich ein Übergang, der aussieht wie Venedigs Rialto-Brücke in Miniatur. Das Restaurant «Nova Venezia» wirbt mit authentischer italienischer Küche. An der auf alt gemachten Strassenlaterne hängen eine Überwachungskamera und ein Bose-Lautsprecher, aus dem die Melodie von «Right Here Waiting» erklingt.
Vor dem Café nebenan fährt plötzlich ein Rolls Royce vor, dem eine Frau in einer schwarzen Abaya entsteigt. Sie trägt eine grosse Sonnenbrille und ist aufwendig geschminkt. Ein erster Hinweis: Wir befinden uns womöglich nicht in Italien.
Was ist dies für ein Ort?
Das allzu saubere Klein-Venedig liegt auf The Pearl, einer künstlichen Insel in Doha, der Hauptstadt des Emirats Katar. Das Viertel ist nur ein kleiner Teil dieser Perlenwelt mit Luxushotels, Edel-Boutiquen, Jachthäfen, Strandvillen, Apartmentkomplexen und Gourmet-Restaurants. Bis zu 45'000 Menschen sollen einmal hier an der «arabischen Riviera» leben. Wie in einer Filmkulisse.
Das Wüstenland Katar ragt wie ein Daumen in den Persischen Golf, doch die scheinbar unbedeutende Landmasse birgt einen Schatz. Hier wurde 1939 Öl gefunden und später das grösste Erdgasfeld der Welt – ein geostrategischer Lottogewinn. Kaufkraftbereinigt hat die Monarchie das weltweit höchste Bruttoinlandsprodukt pro Kopf. Emir Tamim bin Hamad Al Thani hat es nicht nötig, Einkommenssteuer zu verlangen. Die Gasquellen werden noch auf Jahrzehnte nicht versiegen.
Verschwenderischer Reichtum
Dieses märchenhaft reiche Land also, das in etwa so gross wie die Kantone Bern und Wallis zusammen ist, wird 2022 die Fussball-WM ausrichten. Das Grossprojekt passt zu einem Staat mit Geltungsdrang, der international überall mitmischt und mit Al Jazeera ein eigenes Medienimperium besitzt.
Die arabischen Nachbarn jedoch verhängten 2017 eine umfassende Blockade. Katar fördere den Terrorismus, lautet der Vorwurf. Geschäfte wurden eingefroren, Flüge eingestellt, Diplomaten ausgewiesen. Deshalb bemüht sich Katar zunehmend, Touristen anzulocken. Natürlich auch wegen der Fussball-WM.
Die Gastarbeiter als Image-Problem
Das Emirat ist dank seiner Top-Fluggesellschaft Qatar Airways schon länger ein Stopover-Ziel auf dem Weg nach Asien. Kreuzfahrtschiffe bringen regelmässig Urlauber nach Doha. Doch erst durch die WM steht Katar als eigenständiges Reiseziel im Fokus. Urlauber sollen allein für einen Besuch des Landes an den Golf fliegen.
Das Sportevent ist für das Image quasi Segen und Fluch zugleich. Seit der fragwürdigen WM-Vergabe 2010 stehen die Arbeitsbedingungen der Gastarbeiter (vor allem aus Indien, Bangladesch und Nepal) in der Kritik. Die Vorwürfe: Ohnehin mickrige Löhne werden teils Monate nicht ausgezahlt, Beschwerden sind schwierig und folgenlos, und auf den Baustellen kommt es immer wieder zu Todesfällen.
Sollte man in ein Land reisen, das eine Art «moderne Sklaverei» betreibt, wie es immer wieder heisst? Darüber hätte man gerne mit dem Chef der Tourismusbehörde gesprochen, doch der lässt den vereinbarten Gesprächstermin in Doha kurzfristig platzen.
Der schöne Schein
Das Sightseeing-Programm übernimmt die Deutsche Tania Flecht, eine der vielen Expats, die das Land am Laufen halten. Ihr Mann arbeitet bei Qatar Airways, sie als Touristenführerin. Von den rund 2,7 Millionen Einwohnern sind nur rund 300'000 Katarer.
Flecht ist sichtlich bemüht, ein positives Bild Katars zu zeichnen und angreifbare Formulierungen zu vermeiden. Das Staatsoberhaupt nennt sie «unseren Emir». Für den Aufbau des Landes hätten die Katarer «Hilfe vom Subkontinent» bekommen. Zu den Gastarbeitern bemerkt sie einmal beiläufig: «Die haben alle ein Dach über dem Kopf.» Zur «züchtigen Kleidung» der einheimischen Frauen: «Die machen das freiwillig.» Von den Eltern arrangierte Ehen? «Das ist einfach eine andere Kultur, das verstehen wir nicht.»
Der Schluss liegt nahe, dass es darum nicht unbedingt gehen muss bei einer Katar-Reise. Beworben werden spektakuläre Museen und Architektur-Juwele, die Malls, der Souk, die Wüste.
Ein Museum wie eine Wüstenkristall
Im März 2019 wurde das neue Nationalmuseum eröffnet. Das Gebäude des Stararchitekten Jean Nouvel, der schon den Louvre in Abu Dhabi entwarf, ist einer Sandrose nachempfunden. Kein Fenster gleicht dem anderen. Kostenpunkt: egal. Weitläufige Innenräume, riesige Leinwände, Hunderte teure Beamer. Technisch alles auf Topniveau. Angeblich lagen die Baukosten bei 430 Millionen Franken.
Besucher lernen zum Beispiel etwas über die Geschichte der Region vor dem Petro-Boom. Perlenfischer gingen bis zu 50 Mal am Tag auf Tauchgang, ohne Brille. Viele erblindeten. Höhepunkt der Sammlung: Ein Teppich aus dem 19. Jahrhundert, bestickt mit 1,5 Millionen Perlen und verziert mit Smaragden, Diamanten und Saphiren.
Schon seit 2008 lockt das Museum für Islamische Kunst, entworfen von I.M. Pei. Dort gibt es unter anderem bildschöne Teppiche, Keramiken, historische Schriftstücke und Waffen aus der gesamten islamischen Welt zu sehen. Das hochwertige Vitrinenglas ist derart spiegellos, dass man es kaum sieht und sich leicht den Kopf stösst. Im obersten Stockwerk befindet sich ein Restaurant, dem der Spitzenkoch Alain Ducasse seinen prestigeträchtigen Namen zur Verfügung stellte.
Education City: Katars «Vision 2030»
Kultur und Bildung, das sind zwei Säulen der «Vision 2030», die Katar vor einigen Jahren ausgerufen hat. Nirgendwo lässt sich das so eindrücklich beobachten wie in der Education City, eine Initiative von Musa bint Nasser al-Missned, zweite Frau des vorherigen Emirs. Acht Hochschulen stehen in dem Viertel, sechs sind Ableger renommierter US-Universitäten. 70 Prozent der Studierenden sind Frauen. Das liegt allerdings daran, dass es in der Regel die Söhne sind, die zum Studieren ins Ausland gehen.
Ein echter Blickfang in der Education City ist die Nationalbibliothek mit mehr als einer Million Büchern. Historisch wertvolle Werke, die man direkt vor Ort studieren kann, befinden sich in einem offenen Untergeschoss aus iranischem Marmor hinter Glas. Die Idee: So schaut man vom Erdgeschoss aus wie in eine archäologische Stätte hinein. In einer digitalen Bibliothek sollen alle bedeutenden Artefakte der katarischen Geschichte elektronisch archiviert werden.
Ebenso futuristisch ist die nahe Moschee der Education City, die man als solche zunächst gar nicht erkennt. Keine Minarette im islamischen Stil, kein opulent ausstaffierter Gebetsraum. Minimalismus pur.
Kontroverse Kunst
Vor dem Sidra Medical and Research Center, einer der teuersten Kliniken der Welt, ziehen 14 tonnenschwere Bronzeskulpturen alle Blicke auf sich. Wieder steckt ein grosser Name dahinter: Damien Hirst. «The Miraculous Journey» zeigt explizit die Phasen einer Schwangerschaft von der Befruchtung der Eizelle bis zum neugeborenen Baby. Als das Kunstwerk 2013 zum ersten Mal enthüllt wurde, gab es einen Social-Media-Aufschrei. Man verhüllte die Figuren zunächst wieder, angeblich um sie vor Bauarbeiten zu schützen.
Weniger sehenswert ist das Geschäftsviertel West Bay mit Ministerien, Banken und Bürotürmen. Auch hier wurden teils namhafte Architekten angeheuert. Spazieren geht man in Malls, die wie Hotels die sozialen Treffpunkte Katars bilden. Aus touristischer Sicht sind die Wolkenkratzer deshalb relevant, weil sie die Skyline Dohas bilden. Und die braucht eine Weltstadt ja.
Nichts ist natürlich
Weiter im Norden liegt der Park Katara Green Hills, einer der wenigen grünen Orte in Doha. Oben auf dem Hügel stehen Zelte, in denen man bei einer Wasserpfeife den Abend geniessen kann.
Ein junger Inder giesst hier gerade die Pflanzen und harkt den Rasen, damit bloss keine Blätter herumliegen. Er erzählt, er komme aus Hyderabad und sei seit neun Monaten im Land. «Ich mag Katar nicht wirklich. Es gibt hier nichts Natürliches.» Er zeigt auf den Rasen. «Wenn wir hier nicht bewässern würden, wäre alles nach einem Tag vertrocknet.» An Indien vermisse er die Natur. Und die Bezahlung sei auch nicht gerade gut. Bald gehe es zurück in die Heimat.
Auf einen Schoko-Crêpe in den Souk
Wer in Katar das Leben ausserhalb der Hotels sucht, sollte sich abends ins Händlerviertel auf den Souk Waqif samt Vogelmarkt begeben. Man spaziert durch enge Gassen, vorbei an gut ausgeleuchteten Geschäften. Neben Kleidung und Schmuck bekommt man etwa Werkzeuge, Elektronik und Spielzeug. Touristen suchen hübsche Restaurants auf, Gastarbeiter enge Imbisse, wo der Kaffee drei Riyal (etwa 80 Rappen) kostet. Auf einem Platz werden an Mini-Ständen Schoko-Crêpes zubereitet.
Der Souk liegt gleich bei der Corniche. Zum Nationalfeiertag zieht stets eine grosse Parade über die zentrale Uferstrasse. Im Hafen liegen unzählige Dhau-Boote vertaut, die sich mieten lassen. Die alten Schiffe vor der Skyline: Das ist eines jener Fotomotive, die das viel beschworene Nebeneinander von «Tradition und Moderne» bezeugen sollen. Wobei die Tradition in Katar eher in Museen ausgestellt wird – oder sich hinter verschlossenen Türen vollzieht.
Das Land bleibt ungreifbar
Mit welchen Eindrücken kehrt man von einer Katar-Reise nach Hause? Das Land bleibt seltsam ungreifbar. Das hängt auch damit zusammen, dass man als Tourist fast nie mit Katarern selbst ins Gespräch kommt. Die eigentlichen Einheimischen bleiben im Hintergrund.
Nein, Katarer als Freunde habe sie nicht, gibt dann auch Touristenführerin Tania Flecht zu, die in einer Expat-Nachbarschaft lebt. «Die wohnen alle woanders.»
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