Eltern verzweifelt Hunderte ukrainische Kinder sitzen in russischen Ferienlagern fest

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31.12.2022

Das Kinder-Ferienlager Artek auf der Krim verfiel nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Nachdem der Annexion der Halbinsel 2014 wurde es unter russischer Kontrolle wiedereröffnet. (Archivbild)
Das Kinder-Ferienlager Artek auf der Krim verfiel nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Nachdem der Annexion der Halbinsel 2014 wurde es unter russischer Kontrolle wiedereröffnet. (Archivbild)
MAX VETROV/AFP via Getty Images

Von Russen durchgeführte Ferienlager auf der Krim nahmen auch Kinder aus den besetzten Gebieten der Ukraine auf. Nun berichten Eltern, dass ihre Kinder dort monatelang festgehalten wurden – manchen wird die Rückkehr nach Hause gar verweigert.

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Im Laufe des Sommers bot Russland Eltern in den annektierten Gebieten der Ukraine die Möglichkeit, ihre Kinder kostenlos in Ferienlager auf der Krim zu schicken. Unter Berufung auf die anhaltenden Kämpfe wird den Kindern nun eine Rückkehr zu ihren Eltern verwehrt. Auch die «Besetzung» der Gebiete durch die Ukraine, die Russland zuvor annektiert hatte und aus denen es sich inzwischen wieder zurückgezogen hat, dient den Russen als Argument.

Auch Nadia* schickte ihren 14-jährigen Sohn Anfang Oktober aus dem von Russland annektierten Cherson in ein von Russen geführtes Ferienlager auf der Krim. Er sollte nach zwei Wochen zurückkehren. Mittlerweile sind mehr als zwei Monate vergangen.

«Pro-ukrainische Ansichten» verhindern Rückkehr

In Sprachnachrichten, die der britischen Tageszeitung «The Guardian» übermittelt wurden, teilt der Lagerleiter dem Jungen mit, dass er wegen seiner pro-ukrainischen Ansichten nicht nach Hause zurückkehren dürfe. Ausserdem sei die Stadt jetzt von der Ukraine «besetzt». Überdies habe seine Mutter gesagt, sie wolle, dass ihr Sohn in die Ukraine zurückkehre. Dies bedeute, dass sie die Stadt Cherson als Teil der Ukraine und nicht Russlands betrachte.

Dies widerspricht der russischen Propaganda, die immer noch darauf besteht, dass die Stadt ein Teil Russlands sei.

Nadias Fall sei einer von vielen, berichtet der Guardian. Hunderte ukrainische Kinder im Alter von sechs bis 16 Jahren aus den Regionen Cherson und Charkiw sässen wochen- und teilweise monatelang in russischen Ferienlagern fest.

Kostenlose Ferien mit Haken

Wie viele andere Eltern auch, empfand Nadia es nicht als Pro-Russland-Statement, ihr Kind in ein solches Camp auf der Krim zu schicken. Sie sagt, Eltern entschieden sich oft dafür, weil die Klassenkameraden auch teilnähmen und ihre Kinder auf diese Weise einen kostenlosen Urlaub am Meer verbringen könnten.

Der Guardian sprach mit acht Eltern, die ihre Kinder in solche Ferienlager geschickt hatten. Einige vermuten demnach, Russland wolle die Kinder zum Austausch gegen russische Kriegsgefangene einsetzen. Andere glauben, Moskau wolle die Kinder assimilieren und plant, sie in Russland zu behalten.

Zumindest in einigen Fällen hätten die russischen Lagerleiter erklärt, dass sie nicht vorhätten, die Kinder zurückzuschicken. In anderen Fällen wurden Kinder von einem Lager in ein anderes verlegt, ohne dass die Eltern informiert wurden. So nahm Ivana*, eine Mutter aus der Region Cherson, eine mühselige Reise auf sich, um ihre Tochter aus einem Lager auf der Krim abzuholen – nur um zu erfahren, dass das Kind nicht mehr dort war und in ein anderes Lager verlegt worden war.

Eltern befürchten einen Stempel als Kollaborateur

Laut UN-Kinderrechtskonvention ist der «illegale Transfer und die Nichtrückführung von Kindern ins Ausland» verboten. Russland ist also verpflichtet, die Kinder zurückzugeben. Denn obwohl die Eltern sie freiwillig in die Camps schickten, hatten sie lediglich einem kurzen Aufenthalt zugestimmt.

Zwar würde den Eltern gesagt, dass sie die Kinder abholen können, wenn sie persönlich kommen, berichtet der Guardian weiter. Dies erfordere allerdings das Passieren der Frontlinie oder eine lange Reise über Polen und das Baltikum. Viele der Eltern stammten jedoch aus sehr einkommensschwachen Verhältnissen und könnten sich das nicht leisten.

Ein Teil des Problems sei zudem, dass viele Eltern sich nicht bei den ukrainischen Behörden melden. Dmytro*, dem es gelang, seinen Sohn zurückzubekommen, sagt dem «Guardian», manche Eltern befürchteten, als Kollaborateure oder Unterstützer Russlands abgestempelt zu werden. Sie versuchten deshalb, die Dinge lieber selbst zu lösen, ohne offizielle Hilfe.

Kinder lernen die russische Nationalhymne

Die Camps wurden über Schulen in den besetzten Gebieten als Erholungsaufenthalt beworben, mit einem Angebot aus Sport, Kunst, Spielen und Seeluft. Aber den Kindern wurden laut mehreren Interviews auch russische Propaganda über die Invasion der Ukraine, die russische und sowjetische Geschichte sowie die russische Kultur beigebracht.

Auf den Social-Media-Kanälen der von Russland installierten Behörde in Cherson wurden Videos veröffentlicht, in denen Kinder mit der russischen Flagge zu sehen sind. Weiter werden die russische Nationalhymne sowie klassische sowjetische Lieder gesungen.

Und zu den Hunderten von Kindern, die in den von Russland betriebenen Ferienlagern festsitzen, kommen Tausende Kinder aus Waisenhäusern in den annektierten Gebieten dazu, die während der russischen Besatzung illegal nach Russland verschleppt wurden.

Russisches Narrativ: Kinder vor dem Krieg retten

Der ukrainische Ombudsmann für Menschenrechte, Dmytro Lubinets, bezeichnet dies als Teil von Russlands «Völkermord an der Ukraine», der die ukrainische Identität durch «Umerziehung der zukünftigen Generationen» auslösche. Nach Meinung Lubinets seien die Russen nicht daran interessiert, die Kinder zurückzugeben.

Für das einheimische Publikum stellt Russland das Festsetzen der Kinder als Versuch dar, ukrainische Kinder vor dem Krieg zu retten – und ignoriert die Rolle Russlands als Auslöser des Konflikts.

Wie viele ukrainische Kinder noch in russischer Hand sind, lässt sich nur schwer sagen. Mitte Oktober teilte die russische staatliche Nachrichtenagentur Tass mit, dass sich etwa 4'500 Kinder aus Cherson und Saporischschja in den Sommerlagern auf der Krim aufhalten.

* Namen wurden geändert