Düstere Töne Trümmer statt Taten: Die Unsicherheitskonferenz in München

Nico Pointner, Ansgar Haase und Michael Fischer, dpa

19.2.2018

Die nordkoreanische Atomkrise, das Pulverfass Nahost und der Konflikt mit Russland: 48 Stunden lang wird bei der Sicherheitskonferenz in München gerungen, gedroht und gestritten. Danach herrscht vor allem eines: Ratlosigkeit.

Am Ende bleibt vor allem ein schmutziges Trümmerteil im Gedächtnis. Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu bringt es bei seinem Premierenauftritt auf der Münchner Sicherheitskonferenz am Sonntag mit auf die Bühne.

«Herr Sarif, erkennen Sie das?», fragt er und reckt das armlange Stück einer von Israel vor wenigen Tagen abgeschossenen Drohne in die Höhe. «Es gehört Ihnen!», ruft Netanjahu. Ein Trümmerteil als Trophäe. Mohammed Sarif kann ihn nicht hören. Der iranische Außenminister ist noch gar nicht im Saal. Später wird Sarif den Auftritt einen «Zirkus» nennen. Miteinander reden die beiden nicht.

Die Szene steht für eine von zig Krisen und Konflikten, die an allen Enden der Welt lodern und die die rund 500 Gäste der Sicherheitskonferenz umtreiben. Reden und zuhören, gerne in Hinterzimmern, auch unter schwierigen Partnern, das ist seit 54 Jahren das Ziel des weltweit grössten Treffens von Spitzenpolitikern und Sicherheitsexperten.

Zu besprechen gibt es reichlich. Kriege, Terror, Flucht auf der ganzen Welt. «Wir sollten dieses Wochenende nutzen, um Frieden und Sicherheit zu fördern», eröffnet Wolfgang Ischinger am Freitag seine Konferenz.

Lawrow warnt vor neuem Faschismus

Doch 48 Stunden später herrscht vor allem eins: Ernüchterung. Im Luxushotel Bayerischer Hof werden düstere Töne angeschlagen. Der deutsche Aussenminister Sigmar Gabriel sieht die Welt am Abgrund. Sein russischer Kollege Sergej Lawrow warnt vor neuem Faschismus in Europa. 

Ischinger sagt, die Gefahr einer Konfrontation der Grossmächte sei gross wie nie. Die USA, einst so etwas wie eine Weltpolizei, sind unter der Präsidentschaft von Donald Trump unberechenbar geworden - mit noch unabsehbaren Folgen für die internationale Ordnung. «Wir sind uns nicht mehr sicher, ob wir unser Amerika noch wiedererkennen», sagt Gabriel.

Die Weltmacht selbst glänzt in München vor allem durch Abwesenheit - zumindest auf dem Podium. US-Präsident Donald Trump ist zwar in Gesprächen omnipräsent, aber selbst nicht vor Ort. Auch seinen Stellvertreter Mike Pence schickt er dieses Jahr nicht nach München. US-Verteidigungsminister James Mattis zeigt sich nicht auf der Bühne, sondern bleibt in Hinterzimmern.

EU als Vegetarierer unter Fleischfressern

Nur Trumps Sicherheitsberater Herbert Raymond McMaster vertritt das Weisse Haus auf der Bühne. Er nutzt seine Redezeit nicht für eine Rückversicherung gegenüber verunsicherten Europäern, sondern für scharfe Worte an die Gegner der USA, etwa den Iran. Der frühere Vizepräsident Joe Biden schimpft auf Russland und verbreitet Kalte-Kriegs-Stimmung. Kein Wort dazu, dass auch Trumps Administration Mitverantwortung für die aktuellen Konflikte der Welt haben könnte.

Dafür haben die Europäer eine Botschaft für die andere Seite des Atlantiks. Sie wollen ihr Schicksal stärker in die eigene Hand nehmen. Mehr Unabhängigkeit, mehr Eigenverantwortung sind die Stichworte. Gabriel ruft zu mehr militärischem Machtbewusstsein auf. «Als einziger Vegetarier werden wir es in der Welt der Fleischfresser verdammt schwer haben.» EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker fordert ein «weltpolitikfähiges» Europa.

Die EU als neue Weltpolizei? Eher unwahrscheinlich. Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen und Juncker sprechen sich zwar in München sogar dafür aus, das Einstimmigkeitsprinzip in der europäischen Außenpolitik aufzugeben, um die EU handlungsfähiger zu machen. Aussichten auf Erfolg dürften solche Vorschläge allerdings in absehbarer Zeit nicht haben. Zu uneins sind sich die Vegetarier über den Speiseplan.

«Wir als EU verhalten uns wie ein altes Ehepaar»

So fehlen in München auch die entscheidenden Redner zum Thema Europa. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron ziehen es vor, nicht aufzutauchen. Stattdessen spricht Theresa May, die Grossbritannien bald aus der EU führen will. Ausgerechnet Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz, der die Macht Brüssels beschränken will, warnt, die Europäer müssten wieder stärker an einem Strang ziehen, bevor sie eine grössere Rolle in der Welt spielen könnten. «Wir als Europäische Union verhalten uns wie ein altes Ehepaar.»

So ist München nicht Ideenbörse, sondern Schaufenster für zahllose grosse und kleine Konflikte in der Welt. Israel und Polen streiten über das neue polnische Holocaust-Gesetz. Der türkische Ministerpräsident Binali Yildirim wirft Nato-Partnern Unterstützung von Terroristen in Syrien vor und verteidigt den türkischen Militäreinsatz in Nordsyrien.

Kontrahenten reden über-, nicht miteinander. Lösungen rücken nicht näher. Misstrauen und Vorwürfe, manchmal sogar kalter Hass bestimmen den Ton. Konferenz-Chef Ischinger selbst zieht am Sonntag ein düsteres Fazit. Man habe gehört, was in der Welt falsch laufe. Aber nicht, wie man sie verbessere.

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