Bilanz nach der Session «Für Bespassung muss ich nicht nach Bern»

Von Anna Kappeler

20.12.2019

Über 70 Neue im Parlament – was sagen diese nach ihrer ersten Session? Und wie hat sich das Parlament für die Bisherigen verändert? Eines vorweg: Energie für abendliche Exzesse bleibt kaum.

Bereits ist sie wieder Geschichte, die erste Session in der neuen Legislatur. Mit den Schlussabstimmungen vor wenigen Stunden wurden zehn Vorlagen fertig beraten, darunter die Beschaffung neuer Kampfflugzeuge oder die Begrenzungsinitiative der SVP, die das Parlament zur Ablehnung empfiehlt.

Über 70 Parlamentarierinnen und Parlamentarier waren das erste Mal unter der Bundeshauskuppel. Und das macht sich bemerkbar: «Die Stimmung ist anders. Die vielen Neuen verbreiten eine Art Aufbruchsstimmung und sie sind voller Elan», sagt Grünen-Fraktionschef Balthasar Glättli.

Die Erfahrung, dass die Mühlen der Politik manchmal nur langsam mahlen, könne mit den Jahren hin und wieder hemmend wirken, da käme die neue Dynamik sehr gelegen, sagt Glättli weiter.

«Der Nationalrat ist etwas progressiver geworden und die vielen Frauen fallen auf», sagt auch SP-Fraktionschef Roger Nordmann. Vielleicht würden die Diskussionen in Öko-Themen nun etwas einfacher.

«Knochenarbeit wartet in Kommissionen»

So weit, so gut. Doch die Bisherigen wenden ein: «Bis jetzt mussten die Neuen bloss im Rat sitzen und abstimmen. Die wahre Knochenarbeit wartet in den Kommissionen», sagt Glättli. Und dort müssten sich diese erst beweisen. Das findet auch Nordmann: «Es ist viel zu früh, um wirklich eine Veränderung festzustellen.»

Neben den Frauen und Grünen ist das Parlament zusätzlich nun auch so jung wie nie. Wie ist es, mit unter 30 drei Wochen im Nationalrat zu sitzen? Anstrengend, so die Antwort mehrerer Junger.

«Ich habe in den drei Wochen nur ein Glas Wein getrunken», sagt Andri Silberschmidt (FDP/ZH), mit 25 Jahren der aktuell jüngste Nationalrat. Das heisse etwas, denn beim Alkohol sei er zu Hause im Ausgang mit Freunden nicht immer zurückhaltend.

Der Überlebensplan des jüngsten Nationalrats

Die Prioritäten sind für Silberschmidt aber klar: «Für Bespassung muss ich nicht nach Bern.» Er sei hier für die Arbeit – und die mache Freude. «Ich habe mich schnell an die langen Tage und kurzen Nächte gewöhnt.» Sein Überlebensplan: «Sieben Stunden Schlaf, kein Alkohol und nur Vegi-Essen.»

Zusammen mit zwei anderen U-30ern, der Grünen Franziska Ryser und dem SVPler Mike Egger, hat Silberschmidt medienwirksam eine überparteiliche Polit-WG gegründet. Egger ist bereits seit einem Jahr Nationalrat. Er rückte 2019 für den zurückgetretenen Toni Brunner nach. «Selbstverständlich hinterliess Toni Brunner grosse Fussstapfen, und es ist mir eine Freude, ihn beerben zu dürfen», sagt Egger. Doch er sei kein Toni2.0, sondern Mike1.0.

Auch Egger weiss: «Hier wartet niemand auf einen. Respekt verschafft man sich durch die Arbeit.» Auch er feiert deshalb keine Partys während der Session. «Ich pflege aber selbstverständlich den gesellschaftlichen Kontakt zu anderen Parlamentsmitgliedern», schiebt er nach.

«Vielleicht manchmal etwas blauäugig»

Egger freut sich über die zusätzlichen Jungen unter 30. «Wir Jungen gehen schon etwas offener durch die Welt als die Älteren, auch wenn vielleicht manchmal etwas blauäugig.» Diese Legislatur bringe grosse Herausforderungen. «Gerade bei den Krankenkassen und der AHV sind insbesondere wir Jungen gefragt, Lösungen zu präsentieren.» Hier müsse man überparteilich aufeinander zugehen.

«Schön werden solche Kompromisslösungen kaum, aber der Handlungsdruck ist zu gross zum Nichtstun.» Bei der AHV sei er in einem ersten Schritt für eine Angleichung des Rentenalters von Frau und Mann, danach für eine Flexibilisierung. «Damit die Linke dazu Ja sagt, müssen wir Bürgerlichen ihr bei anderen Forderungen wie etwa einer Erhöhung des Beitragssatzes entgegenkommen», sagt Egger.

Bei den Krankenkassen hat Egger bereits gehandelt. Zusammen mit Samira Marti von der SP hat er in einem gemeinsamen Vorstoss etwa ein Werbeverbot für Krankenkassen und einen Lohndeckel für deren CEOs gefordert.

Trotz dieser Zusammenarbeit ist die 25-jährige Marti aber skeptisch, was die überparteiliche Bande zwischen den Jungen anbelangt: «Warten wir die Kommissionsarbeit ab. In der Politik geht es nicht ums Alter, sondern um den Inhalt», sagt sie.

«Man gewöhnt sich daran»

Doch auch Marti freut sich über die zusätzlichen Jungen. «Ich falle nun als junge, linke Frau nicht mehr so auf.» Für Marti war es bereits die fünfte Session. «Die erste Session fand ich auch sehr anstrengend, aber man gewöhnt sich daran.» Auch Marti schaut, dass sie genug schläft. «Ich bin nicht hier, um Spass und lustige WG-Abende zu haben, sondern, um meine politischen Ziele zu verfolgen.»

Seit fast zwei Jahren Nationalrat ist SPler Fabian Molina. Auch er sagt: «Ich bin müde. Nicht wegen des Ausgangs, sondern wegen der langen Tage.» Seine Erkenntnis dieser Session: «Ich kenne die Gspänli nicht mehr alle.» Und er habe den Jung-Politiker-Bonus nun wohl endgültig verloren. Die Stimmung während dieser Session erinnert Molina zuweilen an einen Ausflug mit der Schulklasse, «vieles ist neu, die Stimmung entsprechend aufgekratzt».

Ein gewisser Austausch mit den anderen Jungen kann er sich gut vorstellen: «Meret Schneider (Grüne), Andri Silberschmidt (FDP) und Corina Gredig (GLP) etwa kenne ich bereits aus deren Tätigkeiten für die Jungparteien gut. Das erleichtert eine unkomplizierte Zusammenarbeit.» Aber – klar – Inhalt vor Alter, betont auch er.

«Parlament ist bunter geworden»

Die Veränderung im Parlament falle übrigens auch optisch auf, sagt Grünen-Fraktionschef Glättli. «Durch die vielen neuen Frauen ist das Parlament bezogen auf die Kleider farbiger geworden. Das gefällt mir.» Der uniforme Kleidungsstil der Männer mit ihren weissen Hemden und dunklen Jackets sei doch etwas eintönig.

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