E-Autos und die Energielücke «Ich glaube nicht, dass uns der Strom ausgeht»

Von Andreas Fischer

19.6.2022

Mehr E-Autos brauchen mehr Strom: Die Schweiz könnte eine Umstellung der persönlichen Mobilität gut verkraften, sagen Experten. (Symbolbild)
Mehr E-Autos brauchen mehr Strom: Die Schweiz könnte eine Umstellung der persönlichen Mobilität gut verkraften, sagen Experten. (Symbolbild)
Bild: Keystone/dpa/Bernd Thissen

Immer teurer, schlecht fürs Klima und häufig in Despotenhand: Benzin und Diesel haben über kurz oder lang ausgedient. Aber kann die Schweiz eine komplette Flotte von E-Autos überhaupt mit grünem Strom versorgen?

Von Andreas Fischer

19.6.2022

«Autofahren ist kein Grundrecht», findet Aline Trede. Für die Fraktionschefin der Grünen im Nationalrat ist es «der falsche Anreiz, Benzin billiger zu machen und so indirekt die Ölwirtschaft zu unterstützen». In einem Interview mit dem «Tages-Anzeiger» erteilt sie entsprechenden Vorstössen aus dem bürgerlichen Lager eine klare Absage und wundert sich vielmehr, dass «ausgerechnet jene Kreise, die sich wirtschaftsliberal nennen, sofort nach dem Staat rufen», wenn die Preise für Sprit ansteigen.

Dabei war Autofahren, so Trede, «gerechnet an den negativen Auswirkungen für Umwelt und Klima schon immer zu billig; daran hat sich nie jemand gestört». Nun aber werden Benzin und Diesel immer teurer. Der Krieg gegen die Ukraine verdeutlicht zudem, wie abhängig Europa und die Schweiz bei Öl und Gas von einzelnen Staaten wie Russland sind.

Wo soll der Strom herkommen?

Es gilt, Abschied zu nehmen von fossilen Energieträgern. Nicht zuletzt, um den CO2-Ausstoss zu reduzieren und den Klimawandel einzudämmen: Die Schweiz braucht eine Energiewende.

Im Verkehrsbereich sollen E-Autos dafür sorgen. Ein Verbot von Verbrennungsmotoren ist in Bern derzeit zwar kein Thema, allerdings hätte die aktuelle EU-Politik Auswirkungen auf die Schweiz. Geht es nach dem Willen des EU-Parlaments, sollen ab 2035 nur noch Autos und Transporter ohne qualmenden Auspuff auf Europas Strassen neu zugelassen werden. Über kurz oder lang wird es sich auch hierzulande ausgetuckert haben.

Ganz abgesehen davon, dass die Ladeinfrastruktur zügig und grosszügig ausgebaut werden müsste, stellen sich Wissenschaft und Politik in der Schweiz dabei vor allem eine Frage: Wo soll der Strom herkommen, mit denen die E-Autos betankt werden?

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Genügend grüne Energie ist die Herausforderung

In einem Gespräch mit blue News mutmasste Anja Schulze, Direktorin des Zentrums für Automobilforschung an der Universität Zürich, dass es eine grosse Herausforderung werden könne, «grüne Energie in entsprechendem Ausmass bereitzustellen». Mit der Mobilitätsbranche käme, so Schulze, ein grosser Abnehmer dazu. «Den zusätzlichen Bedarf muss man erst mal decken.»

Auch Albert Rösti (SVP) macht sich Sorgen um den zusätzlichen Stromverbrauch. Der Nationalrat fährt zwar im Moment mit gutem Gewissen einen Verbrenner, würde sich aber dem Trend anpassen und zumindest ein Hybridfahrzeug fahren. blue News erklärte er: «Wir haben im Moment schlicht zu wenig Strom, wir würden ja sonst alle elektrisch fahren.»

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... auch Benziner müssten ohne Import-Sprit stehen bleiben

Müssten E-Autos also stehen bleiben, wenn nicht genug Strom da ist? Anthony Patt, Professor für Klimapolitik am Institut für Umweltentscheidungen der ETH Zürich, sagt auf Nachfrage von blue News: «Ja, genauso wie Benzinautos stillstehen würden, wenn es keinen importierten Kraftstoff gäbe.»

Grundsätzlich würde ein durchschnittliches Elektroauto in der Schweiz im Laufe eines Jahres den Strom von zehn Quadratmetern Fotovoltaikanlage verbrauchen. «Das entspricht zufälligerweise der Grösse eines Standardparkplatzes», erklärt Anthony Patt. Die Installation einer solchen Anlage würde etwa 2000 Franken kosten und 25 Jahre halten, «während das Auto selbst etwa 40'000 Franken kostet».

Das Energiesystem grün zu gestalten und sich aus der Abhängigkeit von fossilen Energieträgern zu befreien – die Sache mit dem Strom beschäftigt viele Akteure. «Auf dem Weg zu einem grünen, unabhängigen Energiesystem in Europa gibt es viel mehr Flexibilität, als wir bisher gedacht haben», erklärt Bryn Pickering von der ETH Zürich. In einer Studie unter Leitung der ETH haben Forschende mehr als 400 kosteneffiziente und technisch machbare Optionen für Europa aufgezeigt, um bis 2050 ein kohlenstofffreies und autarkes europäisches Energiesystem aufzubauen.

«So unterschiedlich diese Wege im Detail sein mögen, haben sie eines gemein: Sie bedingen einen massiven und schnellen Ausbau erneuerbarer Energieträger – vor allem der Wind- und Sonnenenergie – sowie eine Reihe von flexiblen Umwandlungs- , Speicher- und Verteilungstechnologien», wird Pickering in einer Mitteilung der ETH zitiert. Seine Einschätzung deckt sich mit der Forderung von Grünen-Politikerin Aline Trede: «Es bräuchte jetzt zum Beispiel rasch einen runden Tisch zur Solarenergie, damit wir nicht mehr jahrelang darüber streiten, ob Energie oder Umweltschutz wichtiger ist.»

Eigene Sonne, fremder Wind

Klima-Professor Anthony Patt rechnet vor: «Bei 4,6 Millionen Autos würden wir 46 Quadratkilometer Solarfläche benötigen. Ich denke, dass wir nach aktuellen Schätzungen 150 Quadratkilometer Solaranlagen in den Alpen bauen könnten, in Gebieten, in denen es keine grossen negativen Auswirkungen auf die Umwelt gibt.»

Gleichzeitig könne man auch über Windturbinen nachdenken. «Eine grosse Windturbine, die an der Nordsee gebaut wird, würde genug Strom für etwa 13'000 Autos erzeugen. Für eine Flotte von 4,6 Millionen Autos müssten wir dort also etwa 350 Windturbinen bauen und die Energie importieren.» Die Deckung des Energiebedarfs mit Wind aus der Nordsee oder Solarstrom aus der Schweiz sei durchaus möglich, sagt Patt.

Doch wie schnell kann die Schweiz die Stromproduktion und den Stromverbrauch auf «komplett nachhaltig» umstellen? «Das hängt davon ab, wie schnell wir die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien ausbauen. Um bis 2050 ein vollständig erneuerbares Stromsystem zu erreichen, das ausreicht, um alle Atomreaktoren und fossilen Heizungs- und Mobilitätssysteme zu ersetzen, müssen wir die jährlichen Investitionen in Wind- und Solarenergie etwa um den Faktor 4 erhöhen», erklärt Patt.

Dies versuche die Regierung zwar zu tun. Doch «bislang gibt es zum Beispiel kein System zur Ausbildung von Solaringenieuren und keine Möglichkeit für junge Menschen, sich für eine Lehre in diesem Bereich zu entscheiden», kritisiert der Wissenschaftler.

Engpässe liessen sich überbrücken

Für ein weiteres Problem hat Pratt einen Lösungsansatz: die befürchtete Versorgungslücke im Winter. Ein allfälliger Engpass beim Strom könnte durch «eine Kombination von Bemühungen, im Winter mehr Strom zu erzeugen und auch im Sommer mehr Strom zu erzeugen und diesen bis zum Winter zu speichern», überbrückt werden.

Zusätzlich zu Windkraft und Wasserkraftwerken bringt Pratt Solaranlagen ins Spiel. Werden diese in den Bergen gebaut, erzeugen sie im Winter fast so viel Strom wie im Sommer. Die Speicherung der Energie erfolge am besten mit Wasserstoff. Pratt ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass «diese Lösungen weitaus kostspieliger sind und einen grösseren ökologischen Fussabdruck hinterlassen als der Bau zusätzlicher Windkapazitäten in anderen Ländern und der Import des Stroms in die Schweiz».

Ohne Stromhandel verdoppeln sich die Preise

Die Berechnungen der ETH-Forscher deuteten darauf hin, «dass mit dem Import von Windstrom im Winter die zukünftigen Strompreise nicht höher wären als heute. «Wenn wir versuchen, ohne Stromhandel auszukommen, könnten sich die Stromkosten mehr als verdoppeln», so Patt. «Im Allgemeinen gehen wir davon aus, dass, wenn Strom knapp wird, der Preis steigt, und dies schafft einen Marktanreiz für Unternehmen, in mehr Erzeugungskapazität zu investieren. Ich glaube wirklich nicht, dass uns der Strom ausgehen wird.»

Für Pratt ist es sogar realistisch, dass E-Autos in der Schweiz bis zum geplanten EU-Verbot 2035 komplett mit nachhaltigem Strom betankt werden. «Der Ausbau der erneuerbaren Energien in der Schweiz muss also möglicherweise ein wenig beschleunigt werden. Das ist durchaus möglich.»

Zudem sei es wichtig zu sehen, dass bis 2035 zwar alle neuen Autos elektrisch sein werden, «aber es wird immer noch eine Menge älterer Benzin- und Dieselfahrzeuge auf den Strassen geben. Die vollständige Umstellung auf Elektroautos wird mindestens zehn Jahre länger dauern».

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