Schulöffnung umstritten «Klassenzimmer sind zu klein, um Abstandsregeln einzuhalten»

Von Julia Käser

21.4.2020

Wie sich der Unterricht ab dem 11. Mai gestalten soll, ist für viele noch unklar. 
Wie sich der Unterricht ab dem 11. Mai gestalten soll, ist für viele noch unklar. 
Bild: Keystone

In knapp drei Wochen sollen die obligatorischen Schulen wieder öffnen. Eine Mutter, eine Lehrperson und ein Schulkommissionspräsident sind sich einig: Für die Schüler ist es das Beste. Doch was ist mit den Distanzregeln?

Das Ende des Homeschooling naht: Am 11. Mai sollen die obligatorischen Schulen in der Schweiz wieder geöffnet werden. Zumindest die jüngeren Schülerinnen und Schüler dürfen ab Mitte Mai wieder die Schulbank drücken. Doch das Thema ist emotional – und die Öffnung nicht unumstritten.

Wie am Montag an einer Medienkonferenz deutlich wurde, sind vor allem die Westschweizer Kantone und das Tessin mit den Plänen des Bundesrats nicht einverstanden. Patrick Mathys vom BAG liess durchblicken, dass sie beim Thema Schulöffnung lieber auf die Bremse treten würden.

Gegenüber SRF fordert der Präsident des Waadtländer Lehrerverbands (SPV) gar eine Ausnahmeregelung. Man habe den Kanton darum gebeten, den Plan des Bundesrats nicht umzusetzen. Der Grund: Ein Konzept zur Einhaltung der Hygienevorschriften würde für die Schulen fehlen.

Dieser Kritik schliesst sich der Präsident der Waadtländer Ärztegesellschaft an. Er bemängelt, dass nicht hinreichend erforscht sei, inwiefern Kinder erkrankten und die Viren übertragen könnten. Vor der Schulöffnung müssten deshalb möglichst viele Schülerinnen und Schüler auf Antikörper getestet werden. 

Vollzeitjob, Homeschooling und keine Minute Freizeit

Und wie stehen Eltern und Lehrpersonen der geplanten Wiederaufnahme des Präsenzunterrichts gegenüber? Liegen die Nerven nach wochenlangem Homeschooling blank oder überwiegen die gesundheitlichen Bedenken? «Bluewin» hat nachgefragt. 

Sie sei froh darüber, dass ihre Kinder bald wieder in den Kindergarten und zur Schule gehen könnten, sagt eine Mutter aus dem Raum Zürich. «Erstens fehlen unseren Kindern die Strukturen, die ihnen die Schule bietet. Zweites vermissen sie ihre Freunde und drittens bleibt neben Homeschooling und Job keine einzige Minute Freizeit übrig», erzählt sie. 



Die 41-Jährige und ihr Partner arbeiten momentan beide Vollzeit im Homeoffice. «Zum Glück lassen sich Teile der Arbeit auch mal auf den Abend verschieben, sodass wir uns tagsüber den Hausaufgaben der Kinder widmen können.» Rückwirkend betrachtet habe die Umstellung auf Homeschooling besser geklappt als befürchtet. 

Dennoch erwartet die berufstätige Mutter, dass ihr Sohn, ein Zweitklässler, nur etwa die Hälfte des Schulstoffes auch tatsächlich aufgenommen hat. «Offenbar sind wir keine guten Lehrer  – obwohl wir wirklich unser Bestes geben. Man hat ständig das Gefühl, dass selbst das nicht ausreicht.»

«Habe keine Angst, die Kinder wieder zur Schule zu schicken»

Angst davor, ihre Kinder am 11. Mai wieder zur Schule zu schicken, habe sie nicht, sagt die 41-Jährige. «Seit unsere Kinder schulpflichtig sind, haben wir gelernt, dem System zu vertrauen. Der Bund wird schon wissen, was er tut.» Ausserdem seien ihre Kinder nun Profis im Händewaschen.

Etwas aber liegt ihr dennoch auf dem Magen: «Auch wenn unsere Erfahrungen positiver sind als gedacht, heisst das nicht, dass es allen so ergeht.» Sie denke etwa an Kinder mit fremdsprachigen Elternteilen, die beim Fernunterricht keine Unterstützung bieten könnten, oder an Familien mit weniger technischen Möglichkeiten. «Da öffnet sich ein Graben, den die Schule unter normalen Umständen bis zu einem gewissen Grad wieder schliesst.»

Dieses Problem bereitet auch den Lehrern und Lehrerinnen Sorgen. Für die Schüler sei die geplante Schulöffnung deshalb sicherlich positiv, so eine Lehrperson aus dem Kanton Bern zu «Bluewin», denn: «Die Lernbedingungen zuhause sind sehr unterschiedlich. Einige haben keinen Computer oder kein eigenes Pult.» 

«Klassenzimmer sind zu klein, um Distanz einzuhalten»

Sie empfinde den Fernunterricht als anstrengend, sagt die Lehrperson. Vor allem der nonverbale Kontakt fehle. «Ich muss ständig nachfragen, ob alles verstanden wurde. Das merke ich den Schülern und Schülerinnen beim direkten Kontakt sofort an.»

Auch punkto Selbstständigkeit gebe es grosse Abweichungen: «Als Lehrperson ist es höchst unbefriedigend festzustellen, dass einige Schüler nicht mehr mitkommen – dass sie irgendwie abgehängt haben.» Der Grad an Selbstverantwortung beim Lernen sei bei älteren Schülerinnen und Schülern sehr unterschiedlich, Distance Learning verstärke dies.

Doch im Hinblick auf den 11. Mai gibt es seitens der Schulen auch Bedenken. Wie der Schulalltag unter Berücksichtigung der Schutzmassnahmen aussehen wird, weiss die Lehrperson nicht. Ein entsprechendes Konzept werde aktuell auf kantonaler Ebene erarbeitet. 



Klar sei: Mit der Einhaltung der Distanzregeln werde es schwierig. Im Kanton Bern betrage die Normgrösse eines Unterrichtsraumes für eine Regelklasse 64 Quadratmeter. Da die Klassen häufig mehr als 20 Schüler zählen, sei es kaum möglich, einen Abstand von 2 Metern einzuhalten.

«Wer übernimmt Unterricht für gefährdete Lehrpersonen?»

Das bestätigt auch der Schulkommissionspräsident einer ländlichen Schweizer Gemeinde. Das lokale Schulhaus sei ohnehin zu klein und gerade von den Jüngsten könne nicht erwartet werden, dass sie Distanz wahrten. «Eine Möglichkeit wäre es, den Unterricht zuerst nur in kleinen Gruppen aufzunehmen. Auf Bildern aus Dänemark etwa sieht man jeweils nur eine Handvoll Kinder im Schulzimmer sitzen», sagt er zu «Bluewin». 

Ein solcher Einstieg würde zwar die Einhaltung der Abstandsregeln gewähren, gleichzeitig aber bedingen, dass ein Teil der Kinder abwechslungsweise noch immer zuhause bleibt. «Das wiederum entspräche keiner wirklichen Entlastung für die Eltern», sagt der Schulkommissionspräsident.

Und ein weiterer Punkt stellt für ihn ein grosses Fragezeichen dar: «An unserer Schule gibt es Lehrpersonen, die zur Risikogruppe gehören. Zu ihrem eigenen Schutz sollten sie dem Unterricht fernbleiben – doch wer übernimmt ihre Stunden?» Für den Moment bliebe vor allem eines: Viele offene Fragen, und die Gewissheit, dass es keine optimale Lösung gibt.

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