Neue CS-Beschattungsaffäre «Investoren im Ausland werden sich nun fragen: ‹Was läuft denn da?›»

Von Gil Bieler

23.12.2019

Die Credit Suisse liess nicht nur einen, sondern zwei Manager überwachen. Wirtschaftsrechtsprofessor Peter V. Kunz erklärt, wieso der Schaden im Ausland am grössten ist und wie die CS Vertrauen zurückgewinnen könnte.

Am Montag hat sich bestätigt, worüber bereits seit gut einer Woche spekuliert wird: Die Credit Suisse liess nicht nur ihren damaligen Manager Iqbal Khan vor seinem Wechsel zur Konkurrentin UBS beschatten. Auch der damalige Personalchef Peter Goerke sei im Auftrag der Bank im Februar 2019 von einer Drittfirma überwacht worden. Das zeigt ein neuer Untersuchungsbericht, den die Bank zusammen mit der Anwaltskanzlei Homburger erstellt und dessen Inhalt sie heute Montag veröffentlicht hat.

Herr Kunz, die erste Beschattungsaffäre wurde im September bekannt, nun eine zweite: Wie gross ist der Reputationsschaden für die Credit Suisse?

Der ist ziemlich gross. International dürfte er noch viel grösser sein als in der Schweiz. Zum einen werden Investoren im Ausland nun die Nase rümpfen und sich fragen: ‹Was läuft denn da?› Zum anderen leidet die Rekrutierung von internationalem Spitzenpersonal. Wenn es plötzlich heisst, bei der CS werden Konzernleitungsmitglieder beschattet und womöglich sogar bedroht, dann wird es für die Bank schwierig, junge Top-Talente anzulocken.

Zur Person
Bild: zVg

Wirtschaftsrechtsprofessor Peter V. Kunz ist Geschäftsführender Direktor am Institut für Wirtschaftsrecht der Universität Bern und Dekan der Juristischen Fakultät.

Was kann die Credit Suisse denn machen, um wieder Vertrauen zurückzugewinnen?

Vor allem müsste sie den Untersuchungsbericht der Homburger Anwälte zur zweiten Bespitzelungsaffäre offenlegen. Dann könnte man abschätzen, wie seriös die Abklärungen zur zweiten Affäre vorgenommen wurden. Denn man muss sehen: Die Anwälte hatten extrem wenig Zeit. Zwischen den ersten Medienberichten über die Affäre und der Abgabe des Berichts ist weniger als eine Woche vergangen. Entsprechend werden die Medien und das Publikum nun nicht einfach auf den Inhalt des Communiqués der CS vertrauen, sondern den Bericht lesen wollen. Durch eine Veröffentlichung liesse sich viel Vertrauen zurückgewinnen.

Die CS beteuert, erneut sei die Beschattung vom einstigen Konzernleitungsmitglied Pierre-Olivier Bouée in Auftrag gegeben worden. Klingt etwas nach einem ‹Bauernopfer›, oder?

Das sehe ich nicht so. Herr Bouée war immerhin die Nummer zwei bei der Credit Suisse. Die Medien haben sich zwar stark auf CEO Tidjane Thiam und Verwaltungsratspräsident Urs Rohner eingeschossen, doch man darf nicht vergessen, dass es sehr hohe personelle Konsequenzen gab. Im Schach würde man sagen: Es hat zwar nicht den König getroffen, aber immerhin einen Turm.



Da Sie Thiam und Rohner bereits erwähnt haben: Wie glaubwürdig ist es, dass beide von nichts gewusst haben?

Bei Urs Rohner zweifle ich überhaupt nicht daran. Das sind Themen aus dem operativen Geschäft, die tatsächlich nicht bei einem VR-Präsidenten landen. Im Fall von Tidjane Thiam ist es schwierig abzuschätzen, wie glaubwürdig das ist.

Das Problem ist hier: Selbst wenn er nichts von den Beschattungen gewusst haben sollte, wäre das ein sehr schlechtes Zeichen. Wir reden hier von der Überwachung zweier Konzernleitungsmitglieder, der Creme de la Creme – wenn der CEO davon nichts mitbekommen hat, hat er seinen Laden möglicherweise nicht wirklich voll im Griff. Daher finde ich es auch nachvollziehbar, dass die Finanzmarktaufsicht nun eine eigene Untersuchung bei der CS eingeleitet hat.

Die Affäre dürfte für die CS also noch lange nicht ausgestanden sein.

Nein, bestimmt nicht. Nach der ersten Beschattungsaffäre ging ich noch davon aus, dass das ein Einzelfall gewesen wäre, eine schräge Story. Durch den Umstand, dass es nun eine Wiederholung gab, muss nun wohl noch mit weiteren Lecks gerechnet werden. Die Credit Suisse kann daher nicht schon wieder zur Tagesordnung übergehen, und das hat sie sich auch selber zuzuschreiben.

Wie meinen Sie das?

Nach Bekanntwerden der ersten Affäre hatte die Bank gesagt: Beschattung kommt bei uns nicht vor. Sie hat sich mit dieser Aussage höchsten Standards verpflichtet, die weiter gehen als es gesetzlich nötig wäre. Denn die Überwachung von Mitarbeitern an sich ist nicht automatisch illegal. Und soweit es bis anhin berichtet wurde, lief sie auch in beiden Fällen im gesetzlichen Rahmen ab, so wie sie im öffentlichen Raum erlaubt ist.

Hätte die Credit Suisse nach der ersten Affäre gesagt, dass es bedauerlicherweise Fälle gebe, in denen solche Massnahmen nötig seien, hätte sie nun weniger Probleme. Sie müsste lediglich die Gründe erklären, weshalb eine erneute Überwachung eingeleitet wurde. Sie hat sich also selber angreifbar gemacht.



Nimmt durch die beiden Affären auch der Ruf des gesamten Schweizer Finanzplatzes Schaden?

Das glaube ich nicht, nein. Sehen Sie, in den letzten zehn Jahren wurde bereits so viel Negatives über den Schweizer Finanzplatz berichtet, es mussten Milliardenbussen gezahlt werden, da sind das nur noch kleine Tröpfchen. Für den Finanzplatz dürfte das daher kein wirkliches Problem sein, für die Credit Suisse dagegen schon.

Das führt zur Frage: Wie stark wackelt jetzt der Sitz von CEO Thiam?

Wenn nicht noch etwas Weiteres dazukommt, dann werden diese Affären für ihn kein dauerhaftes Problem sein. Wenn aber noch ein weiterer Beschattungsfall publik wird, dürfte ihn der Verwaltungsrat wohl abberufen. Massgeblich für Thiam ist aber, dass die Zahlen stimmen und sich der Börsenkurs wieder erholt.

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