Rückkehr zur Seriosität Das deutsche Nationalteam bescheiden wie selten

Markus Wanderl

7.9.2018

Ein Befreiungsschlag war das nicht, aber die Zeichen stehen auf Versöhnung: Deutschland nach der Nullnummer gegen Weltmeister Frankreich.
Ein Befreiungsschlag war das nicht, aber die Zeichen stehen auf Versöhnung: Deutschland nach der Nullnummer gegen Weltmeister Frankreich.
Bild: Keystone

Das an der WM desaströs gescheiterte deutsche Nationalteam schafft zum Auftakt der Nations League wenigstens ein 0:0 gegen Weltmeister Frankreich. Die Erleichterung ist nicht nur Jogi Löw anzumerken – zu Mesut Özil äussert er sich noch einmal präzise.

Von Dekadenz, wie noch an der für sie desaströsen WM in Russland, waren die Deutschen gestern Abend in der ausverkauften Münchner Allianz-Arena weit entfernt. Bescheidenheit war angesagt in Spiel eins nach dem ersten Vorrunden-Aus der Geschichte, die Rückkehr zur Seriösität. Eben deshalb postierte der Bundestrainer Joachim Löw vier Innenverteidiger in seiner Defensive – den Titel in Brasilien hatte er ja mit der vielzitierten «Ochsenabwehr» errungen.

Nicht auszudenken, das deutsche Team wäre gegen die Franzosen zum Auftakt der Nations League ins offene Messer gelaufen wie etwa gegen die Mexikaner im WM-Auftaktspiel, den Schlagzeilen hätte sich Löw heute Morgen besser nicht gewidmet. Doch auch so weiss er, welch langer Weg ihm und seinen Spielern punkto Rehabilitation bevorsteht: «Das geht nur an einem Turnier», sagte er.

Überragender Areola

Zwar waren die Franzosen gestern wie erwartet mitunter pfeilschnell unterwegs mit Kylian Mbappé und Antoine Griezmann, und sie störten für lange überraschend früh das deutsche Aufbauspiel, aber die Null blieb stehen. Und hätte Frankreichs Torhüter Alphonse Areola in seinem ersten Einsatz nicht eine «Weltklasse-Leistung» (Oliver Kahn) gezeigt, wäre den Deutschen sogar der Sieg möglich gewesen.

Chance um Chance reihten sie in den letzten 20 Minuten aneinander, als die Franzosen müder und die Deutschen mutiger wurden. Ausgerechnet der von vielen Experten bereits ins Archiv geschickte Ballbesitzfussball war in dieser Phase zu sehen, doch wie schon länger fehlte es vorn an Durchschlagskraft. Thomas Müller und der in der Spitze eingesetzte Marco Reus blieben in der Offensive insgesamt blass, einzig Timo Werner hatte die eine oder andere Aktion.

Oberstes Gebot: Defensive Stabilität

Müller, Werner, Reus? Altbekannte Namen und Formationen servierte Löw dem Interessierten grösstenteils beim Neubeginn. Nur Matthias Ginter, 2014 und 2018 an den Weltmeisterschaften jeweils ohne Einsatz, durfte neu die Verteidigung ergänzen und Joshua Kimmich sich im Mittelfeld als Sechser ausprobieren. Die Reihen geschlossen halten, das war schlicht das oberste Gebot. Müller sagte nach dem Match: «Nach vorne haben wir nicht so gespielt wie in unseren besten Zeiten und nicht die ganz überragenden Spielzüge gezeigt.» Aber «dass wir ein Herz haben», so Müller, das schon.

Die Deutschen sind also vorerst noch dabei, die Wunden zu schliessen, die das erstmalige Vorrunden-Aus an einer WM hinterlassen hat. Als der in die Erdogan-Affäre involvierte Ilkay Gündogan eingewechselt wurde, gab es Beifall, aber auch die Pfiffe waren gut vernehmbar.

«Menschlich bin ich schon schwer enttäuscht»

Dass Mesut Özil nach seinem Rücktritt keine Chance mehr auf eine Rückkehr hat, hatte Löw bereits in den Tagen vor dem Länderspiel klargestellt. Noch immer hat Löw den von ihm als Fussballer so geschätzten Özil nicht ans Telefon bekommen. Wie er sich dessen Verhalten erkläre, wurde Löw gestern im TV gefragt: «Wenn ich das wüsste ...», antwortete der Bundestrainer. Dann fügte Löw hinzu: «Menschlich bin ich schon schwer enttäuscht.» Aber er will weiterhin probieren, Özil zu erreichen. Alles andere empfände Löw als nicht seriös.

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