Hochstapler im Fussball Hochstapler im Fussball, Teil 1: Der Kaiser von Rio, der nie spielte 

Von Jan Arnet

17.12.2019

Carlos Kaiser lebte 20 Jahre lang das Leben eines Profifussballers, spielte aber kaum.
Carlos Kaiser lebte 20 Jahre lang das Leben eines Profifussballers, spielte aber kaum.
Bild: Twitter

In einer fünfteiligen Serie erzählt «Bluewin» die Geschichten von Hochstaplern, die es im Fussball ohne viel Talent oder Geld weit gebracht haben. Ihr Schlüssel zum Erfolg war Lug und Trug. Teil 1: Carlos Kaiser.

«Die Wahrheit liegt auf dem Platz», lautet eine der bekanntesten Fussballer-Floskeln – und sie trifft auf wahrscheinlich keinen anderen Kicker mehr zu als auf Carlos Henrique Raposo, der die Wahrheit der Menschheit so gut es nur ging verschwieg. Denn beim Fussballspielen war der Brasilianer, der sich selbst Carlos Kaiser nannte, nie besonders gut. Und deshalb sah man den brasilianischen Kaiser auch nur selten auf dem Platz.

Es ist die unglaubliche Geschichte einer grossen Lebenslüge. Denn Carlos Kaiser gaukelt jahrelang Vereinen etwas vor, profitiert von den Freundschaften mit echten Fussball-Stars und wird selbst zum Star, ohne auch nur ein einziges Pflichtspiel zu absolvieren. Und trotzdem kann er am Ende auf eine beachtliche Karriere zurückblicken, die ihm zum Reichtum verhilft, mit dem er sein Partyleben finanzieren kann.

Zwischen den späten 70er- und den frühen 90er-Jahren steht Carlos Henrique bei einigen der bekanntesten brasilianischen Klubs wie Botafogo, Flamengo, Fluminense oder Vasco da Gama unter Vertrag. Sogar nach Europa schafft er es. Aber auch für den korsischen Klub GFC Ajaccio und den portugiesischen Verein Louletano wird er – so steht es in den Statistikbüchern – kein einziges Spiel bestreiten.


Die Null muss stehen: Die Statistik (Spiele und Tore) von Carlos Kaisers Karriere zwischen 1979 und 1992. (Quelle: Wikipedia Portugal)
Die Null muss stehen: Die Statistik (Spiele und Tore) von Carlos Kaisers Karriere zwischen 1979 und 1992. (Quelle: Wikipedia Portugal)

Wie ist eine solche «Karriere» überhaupt möglich? Es ist eine Zeit ohne Youtube und Wikipedia, ohne weltweite Scouting-Netzwerke, ohne «Transfermarkt». Man kennt Spieler, die man nicht schon live gesehen hat, nur vom Hörensagen – und Henrique hat das Glück, die richtigen Freunde zu haben. Vertrauten Mitspielern erzählt er von seinem Plan, Fussballprofi zu werden, ohne zu spielen. Und tatsächlich helfen ihm weltbekannte Spieler wie Romario, Bebeto, Renato Gaucho und Ricardo Rocha, die 1994 mit Brasilien Weltmeister werden. 

Wechselt einer der Kumpels den Verein, wird Henrique als Beilage ins Spiel gebracht. Sie berichten den Klubs von einem grossen Stürmertalent, dessen Spielstil an Franz Beckenbauer erinnere, weshalb er von allen nur «Kaiser» genannt werde. Als Gegenzug nimmt Henrique die Schuld auf sich, wenn einer seiner Kollegen sich einen Skandal leistet. Mit Zeitungsartikeln von befreundeten Journalisten, die über die Wunderdinge, welche Carlos Kaiser schon auf dem Platz vollbracht haben soll, berichten, schafft er es Mal für Mal, die Vereinsbosse von seinen Qualitäten zu überzeugen. Ganz allein durch Worte, versteht sich.

«Ich hatte Angst vor dem Ball»

Bei einem Verein angekommen, wird es dann bei Carlos Kaiser zur Tradition, sich beim allerersten Training eine Oberschenkelverletzung zu holen. Das gibt ihm jeweils einige Wochen Zeit für Einzeltraining ohne Ball. Denn das runde Leder ist alles andere als sein Freund. «Ich hatte Angst vor dem Ball», wird er Jahre nach seiner illustren Karriere dem «Spiegel» sagen. 

Die Liste der Anekdoten und Gerüchte rund um die unglaubliche Karriere des Carlos Kaiser ist lang. So soll er, nachdem er aus seiner «auskurierten Muskelverletzung» wieder ins Mannschaftstraining einsteigen musste, Jugendspieler dafür bezahlt haben, ihn hart zu foulen, damit er die nächste Verletzung vortäuschen konnte. Da die Untersuchungsmethoden damals noch nicht so ausgereift waren wie heutzutage, konnte kein Arzt beweisen, dass Henrique nur simulierte. Auch mit einem Zahnarzt freundet er sich an, der ihm ein Attest ausstellt, wenn er eines braucht.

Carlos «Kaiser» Henrique (l.) mochte das Partyleben mehr als das Fussballspielen.
Carlos «Kaiser» Henrique (l.) mochte das Partyleben mehr als das Fussballspielen.
Bild: Twitter

Pro Verein starb auch jeweils eine der unzähligen Grossmütter des Kaisers. Dummerweise war die Beerdigung dann auch immer an einem Spieltag. Oder er lief zum Ende seiner «Karriere» mit einem (Spielzeug-)Mobiltelefon auf dem Vereinsgelände herum und täuschte stundenlange Verhandlungsgespräche mit europäischen Vereinen vor, um den Trainer davon zu überzeugen, dass er tatsächlich etwas auf dem Kasten habe. Es vergehen jedes Mal mehrere Monate, bis der Verein die Schnauze voll hat und den Mann, der noch kein einziges Spiel für den Klub absolviert hat, wieder loswerden will.

Durch Schlägerei mit Fans zur Vertragsverlängerung

Nur einmal fliegt Carlos Kaiser beinahe auf. In seiner Zeit bei Rio-Klub Bangu AC wird er tatsächlich für ein Spiel aufgeboten. Aus Mangel an Alternativen will ihn Trainer Moisés Andrade im Ligaspiel gegen Coritiba ins kalte Wasser werfen und einwechseln. Das kann Henrique aber im letzten Moment verhindern, indem er kurzerhand eine Schlägerei mit umstehenden Fans anzettelt und des Feldes verwiesen wird, noch bevor er den Platz betritt. Als er danach beim Klubboss zum Gespräch antraben muss, erzählt der Stürmer, dass er lediglich dessen Ehre verteidigt habe, da die Fans den Boss aufs Übelste beleidigt hätten. Der Hochstapler wird nicht rausgeworfen, sondern erhält sogar einen neuen Vertrag mit einer Lohnerhöhung. Unglaublich.

Carlos Kaiser, die falsche Neun im wörtlichen Sinne. Jahre nach seinem Karriereende sagt er in einer brasilianischen Fernsehshow: «Hätte ich mir beim Fussballspielen etwas mehr Mühe gegeben, wäre ich sicher weiter gekommen, als ich es bin.» Vermutlich dürfte er sich heute sogar Weltmeister nennen – und wahrscheinlich hätte er dafür noch nicht einmal ein Länderspiel machen müssen.

Party macht der «Kaiser» auch heute im Alter von 56 Jahren noch gerne.
Party macht der «Kaiser» auch heute im Alter von 56 Jahren noch gerne.
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