Lewis Hamilton hat unter Rennbedingungen die klare Tagesbestzeit vor dem Thriller-Finale aufgestellt. In die Quere kam er sich mit Max Verstappen nicht. Noch nicht, vermuten viele. Die Formel 1 steuert auf eine furiose WM-Entscheidung zu.
Vor dem Showdown in der Dämmerung von Abu Dhabi droht der Formel-1-Rennleiter schon mit Strafen. Die Furcht vor einem Crash bei der Entscheidung des bitterbösen WM-Duells zwischen Max Verstappen und Lewis Hamilton steigt weiter. Droht das unrühmliche Ende einer mitreissenden Saison, eine Entscheidung in der Nacht am Grünen Tisch und damit ein Titel mit Makel? «Das ist Stoff für Legenden», heisst es über die Internetkanäle der Rennserie.
Mehr Spannung geht nicht. Mehr Spannungen gehen auch nicht. Beim ersten Wiedersehen nach der jüngsten Eskalationsstufe in Dschidda herrschte Eiszeit zwischen Hamilton und Verstappen, kühler als die Klimaanlage, schrieb die «Daily Mail». Bei den Trainings am Freitag bei hochsommerlichen fast 30 Grad kamen sie sich zumindest nicht in die Quere.
Hamiltons Kampfansage
Im zweiten Freien Training am frühen Freitagabend auf dem Yas Marina Circuit raste Hamilton mit über einer halben Sekunde Vorsprung auf seinen WM-Widersacher auf den ersten Platz. Noch zwischen den siebenmaligen Weltmeister im Mercedes und Verstappen im Red Bull schoben sich Esteban Ocon im Alpine und Valtteri Bottas.
Im ersten Training war Verstappen noch der Schnellste, die zweite Einheit lieferte mit Blick auf das Qualifying am Samstag und das Rennen am Sonntag aber deutlich mehr Erkenntnisse als die erste, die am frühen Nachmittag und entsprechend anderen äusseren Bedingungen stattfand.
Was passiert, wenn beide crashen?
Der 24 Jahre alte Verstappen steht vor dem möglichen ersten Titelgewinn seiner Karriere, die ihn mit 17 Jahren schnurstracks in Formel 1 führte. Gepriesen wurde er als Jahrhunderttalent, eingebremst aber auch durch sein bisweilen ungezügeltes Temperament. Bis heute.
Der 36 Jahre alte Hamilton steht beim denkwürdigen letzten Akt eines 22-teiligen Saison-Dramas mit Kollisionen, Beleidigungen und Vorwürfen vor seinem möglichen achten WM-Triumph – es wäre einer mehr als die sieben von Michael Schumacher. Historisch.
«Eine Sache ist sicher: Hamilton hat mehr Angst vor Verstappen als umgekehrt», befand der «Telegraaf» aus Verstappens Heimat Niederlande. Es ist die fast einmalige Konstellation, die dieses Finale so besonders macht: Nur 1974 reisten zwei Fahrer schon mal punktgleich zum letzten Rennen. 369,5 Zähler haben Verstappen und Hamilton, das macht die Rechnung ebenso einfach wie brisant: Scheiden beide zum Beispiel aus, ist Verstappen dank mehr Saisonsiegen (9:8) der neue Weltmeister.
Rennleitung droht bereits mit Strafen
«Max kann Lewis nicht einfach von der Strecke rammen», sagte Rennleiter Michael Masi der «Daily Mail». Er stellte in seinen Anmerkungen noch vor dem Fahrerbriefing am Freitag klar, dass Strafen bei Zuwiderhandlung drohen.
Es wäre nicht das erste Mal, Ayrton Senna machte es in seiner Karriere, Michael Schumacher auch. Beide wurden jeweils hart sanktioniert. Nichts mit WM-Titel, Schumacher wurde seinerzeit sogar für eine ganze Saison (1997) nachträglich disqualifiziert.
«Was immer notwendig» ist, will Verstappen nach eigener Aussage unternehmen, um sich zu krönen. Die Sache mit dem Unfall sei ein Ding der Medien, findet er allerdings. Der Kompromisslos-Pilot fühlt sich als Opfer und Benachteiligter durch die Rennkommissare. Was andere dürften, würde bei ihm bestraft.
Der Blick auf die vergangenen Rennen zeigt aber auch, wie der Sohn des ehemaligen Piloten Jos Verstappen auf der Strecke agiert. Grenzwertig, und manchmal darüber hinaus. Was aber alle grossen Fahrer machen und gemacht haben. «Er wird alles versuchen, um den Sieg zu holen, das ist sicher», kündigte auch Verstappen Senior bereits an, er fiebert in Abu Dhabi in der Box mit: «Es wird aufregend.»
Ein schmutziges Duell über dem Limit
Verstappen gegen Hamilton, Red Bull gegen Mercedes. Es ist auch ein Kampf der Rennstall-Regime, die beiden Teams machen seit 2010 die Titel unter sich aus. Red Bull triumphierte noch mit Sebastian Vettel 2010, 2011, 2012 und 2013. Seitdem ist Silberpfeil-Zeit. Seitdem gewann Hamilton sechsmal die WM, nur einmal wurde er geschlagen. 2016 triumphierte am Ende der Saison Nico Rosberg – in Abu Dhabi übrigens.
Längst hat der aktuelle Zweikampf das Zoffduell der beiden damaligen Teamkollegen weit überboten. Es ist ein schmutziges Duell, bisweilen über dem Limit. In Silverstone, in Monza und zuletzt in Saudi-Arabien kollidierten beide. Ausserhalb giften sich die Teambosse gegenseitig an. Ruhepuls gefühlt im dreistelligen Bereich.
Eng war es immer, nachdem Verstappens Red Bull zu Saisonstart das bessere Auto gewesen war, Mercedes sich mit einem unbeeindruckten Hamilton aber wieder ran kämpfte. Ganz getreu dem Motto des PS-Poeten: «Ich wachse weiter.»
Alonso und Vettel hoffen auf Verstappen, Russell drückt Hamilton die Daumen
Ein Zweikampf, der sogar die Rennkollegen fasziniert. «Es ist nicht so, dass ich ihn unterstütze, er verdient es meiner Meinung nach», sagt Fernando Alonso über Verstappen. Dieser sei «allen einen Schritt vorausgefahren» in diesem Jahr – womöglich auch eine kleine verbale Retourkutsche in Richtung Hamilton, mit dem sich Alonso 2007 ein fieses Teamduell geliefert hatte – mit beiden als Verlierer.
Dass die beiden Piloten des Red-Bull-Schwesterteams Toro Rosso für Verstappen votieren, überrascht nicht. Ebenso wenig, dass Hamiltons neuer Teamkollege ab kommendem Jahr, George Russell, klar für den Briten ist und Sebastian Vettel am liebsten den Rekord seines grossen Idol Michael Schumacher nicht übertroffen wissen will. Die Giganten-Dämmerung naht.