Der Einreise-Wirbel um Novak Djokovic bringt einen echten Eklat ans Licht: Der Serbe war im Dezember unterwegs, obwohl er von seinem positiven Corona-Befund wusste. Es ist nicht der erste Aussetzer der Weltnummer 1 in der jüngeren Vergangenheit.
Wer Novak Djokovic nicht kennt, aber die Pressekonferenz seiner Familie am Montag mitverfolgt hat, könnte schnell auf den Gedanken kommen, dass dieser Djokovic ein wahrer Held ist – und das nicht nur auf dem Tennisplatz. Vater, Mutter und Bruder feierten nach dem Freispruch des 34-Jährigen vor Gericht einen «Sieg für die Gerechtigkeit» und liessen kaum einen Superlativ aus, um ihren Novak zu huldigen.
Vater Srdjan scheute dabei auch keinen Vergleich zu Spartakus und Bruder Djordje ging mit einem Jesus-Gleichnis gleich noch einen Schritt weiter. Die Lobpreisungen auf den «besten Tennisspieler aller Zeiten» nehmen kein Ende. Die Familie beschreibt Djokovic als «ausserordentlichen Mann», als Messias, welcher erfolgreich gegen das System und die Regierung angekämpft hat, alles im Sinn der Freiheit und Gerechtigkeit.
Doch auch mal ganz abgesehen von dem Einreise-Krimi der letzten Tage ist Novak Djokovic keineswegs ein unbeschriebenes Blatt. Seine glorreiche Karriere mit bis anhin 20 Grand-Slam-Titeln wurde immer wieder mit Skandalen befleckt. Das ging schon in jungen Jahren los, als der Serbe sich etwa immer wieder mit dem Publikum anlegte und 2013 in Madrid die Worte «Lutscht doch meinen Sch***z» in die Zuschauerränge pfefferte. Oder als er zwei Jahre später nach einem verlorenen Satz einen Balljungen anfauchte.
Diese Aussetzer haben sicher auch ihren Teil dazu beigetragen, dass Djokovic trotz seiner herausragenden sportlichen Leistungen niemals die Anerkennung der Tennisfans erhalten hat, die Roger Federer und Rafael Nadal geniessen. Zu einer richtigen Skandalnudel wurde Djokovic aber eigentlich erst in den letzten beiden Jahren, wie ein Blick auf die vergangenen 24 Monate zeigt.
Januar 2020: Das Marschlied
Nur wenige Minuten nach dem Triumph der Serben beim ATP-Cup im Januar 2020 teilt Djokovic seine Freude seinen Fans in einem Live-Video in den sozialen Medien mit. Zu sehen ist, wie er gemeinsam mit seinen Teamkollegen und Trainern ein Lied singt. Es handelt sich dabei um ein Kriegslied, das auch von ultranationalistischen Serben gesungen worden sein soll. Dies zumindest behaupten Kosovaren, die sich von Djokovic und Co. angegriffen fühlen. «Niemand kann Kosovo aus meiner Seele reissen», lautet eine Textstelle in dem Song. Der Kosovo erklärte 2008 seine Unabhängigkeit, die von Serbien aber nicht anerkannt wurde.
Vater Srdjan verteidigt seinen Sohn danach und sagt, dass sein Sohn wie die meisten Serben ein Nationalist sei: «Das ist nichts, wofür man sich schämen muss. (...) Der Kosovo wird für uns immer zu Serbien gehören. Ich glaube nicht, dass sich diese Denkweise in den nächsten 10, 20, 100 oder 1000 Jahren ändern wird. Der Kosovo wird immer das Herz von Serbien sein.»
Mai 2020: «Gefährliches Zeugs» mit Wasser
Djokovic ist bekannt dafür, sich für alternative Medizin einzusetzen. So überrascht es auch nicht wirklich, dass er sich nicht impfen lassen will. Das ist sein gutes Recht und sicher auch kein Skandal. Doch in einem Instagram-Live-Video sorgt er im Mai 2020 mit seinen Äusserungen für Verwirrung.
Im Gespräch mit dem selbst ernannten Alchemisten Chervin Jafarieh gewährt der Tennisstar Einblicke in seine Gedankenwelt. «Man soll ganz bewusst Wasser trinken. Ich kenne Leute, welche es durch diese energetische Verwandlung, durch die Kraft eines Gebets oder von Dankbarkeit geschafft haben, aus dem ungesundesten Essen oder dem schmutzigsten Wasser das gesündeste zu machen», so Djokovic.
Wissenschaftler sollen bewiesen haben, dass Wassermoleküle anhand von Emotionen reagieren – je nachdem, was gesagt wird. Jafarieh pflichtet ihm bei: «Matsuro Imoto, ein japanischer Wissenschaftler, der Wasser studiert, hat herausgefunden, dass eine andere molekulare Struktur entsteht, je nachdem, ob du positive Gedanken hast», glaubt der Iraner.
Die Aussagen sorgen für viel Kritik. Der Tenor der negativen Reaktionen: Djokovic sei sich seiner Vorbildrolle nicht bewusst und könnte Leute dazu anregen, gefährliche Sachen auszuprobieren.
Juni 2020: Das Fiasko der Adria Tour
Der Profisport kommt zu Beginn der Pandemie zum Erliegen. Ob im Fussball, Eishockey oder Basketball – überall werden die Ligen unter- oder abgebrochen. Und natürlich wird auch die Tennis-Tour lahmgelegt. Trotzdem organisiert Djokovic im Juni 2020 die Adria Tour, ein Tennis-Turnier in verschiedenen Balkanländern.
An der Idee dahinter, Spendengelder zu sammeln und den Tennisspielern nach langer Pause wieder Matchpraxis zu geben, gibt es nichts auszusetzen – würde die Welt nicht seit Monaten in einer Pandemie stecken. Dass Djokovic und Co. dann auch noch in Clubs Party machen, ohne auf Abstände zu schauen oder Masken zu tragen, stösst umso mehr auf Unverständnis.
Die Adria Tour wird schliesslich zum Fiasko. Viele Spieler – darunter auch Djokovic – infizieren sich mit Corona, das Turnier muss schliesslich noch vor dem Final abgebrochen werden.
August 2020: Djokovic plant die Revolution
Kurz vor den US Open 2020 überrascht Djokovic mit der Gründung einer neuen Spielergewerkschaft. Mit der Professional Tennis Players Association plant er nicht weniger als eine Revolution im Herrentennis, auch wenn er betont, dass die PTPA die ATP nicht ersetzen soll. Einige Spieler folgen dem Serben und schliessen sich seinen Plänen an.
Ein Grossteil der Spieler lehnt das Ganze aber ab. Dazu gehören auch Roger Federer und Rafael Nadal. «Dies sind unsichere und herausfordernde Zeiten. Aber ich glaube daran, dass es sehr wichtig für uns ist, als Spieler zusammenzustehen», teilt Federer mit. Eine neue Spielervereinigung und die ATP könnten nicht nebeneinander existieren, ist sich der Spielerrat der ATP schliesslich einig.
September 2020: Djokovic schiesst Linienrichterin ab
In der Abwesenheit von Federer und Nadal reist Djokovic als haushoher Favorit an die US Open – und stolpert da im Achtelfinal über sich selbst. Nach einem verlorenen Game gegen Pablo Carreno Busta spediert der frustrierte Djoker einen Ball mit voller Wucht blind gegen hinten – und trifft eine Linienrichterin am Hals. Diese geht zu Boden und schnappt nach Luft. Zwar erholt sie sich schnell wieder, den Schiedsrichtern und Turnier-Verantwortlichen bleibt dennoch nichts anderes übrig, als Djokovic zu disqualifizieren.
Mai 2021: Ein Urschrei Richtung Schiedsrichter
Beim ATP-Turnier in Rom serviert Djokovic in der 2. Runde beim Stand von 5:4 im zweiten Satz zum Match. Dabei regnet es bereits, sodass die Weltnummer 1 den Schiedsrichter Nacho Forcadell auffordert, das Spiel zu unterbrechen, was dieser jedoch ablehnt. Der Weltranglistenerste wird prompt zum 5:5 gebreakt, was Djokovic in Rage versetzt. «Wie lange willst du noch spielen?», brüllt er in Richtung Forcadell, der schliesslich nachgibt und das Match doch noch unterbricht.
Januar 2022: Der Einreise-Krimi in Melbourne
Das neueste Kapitel in der Skandal-Akte Djokovic – wobei man das Einreise-Drama an sich nicht wirklich als Eklat gelten lassen kann. Schliesslich reiste Djokovic ja mit einer Ausnahmebewilligung nach Melbourne, die es ihm erlauben sollte, die Australian Open zu spielen, obwohl eigentlich nur Geimpfte antreten dürfen.
Das ganze Theater gipfelt aber in der Meldung, dass der 34-Jährige diese Ausnahmebewilligung erhalten hat, weil er am 16. Dezember zum zweiten Mal positiv aufs Coronavirus getestet wurde. Das wusste die Öffentlichkeit nicht. Und trotz des positiven Tests liess sich Djokovic am 16. Dezember und in den Tagen danach in der Öffentlichkeit blicken. Am 17. Dezember war er an einer Preisverleihung für Kinder, am Tag darauf hatte er bei «L'Équipe» einen Interviewtermin mit Fotoshooting.
Djokovic gibt zu, am 18. Dezember im Wissen seines positiven Coronatests zum Interview-Termin gegangen zu sein und die Quarantäne-Anordnung missachtet zu haben. Dass er auch beim Einreisedokument nach Australien falsche Angaben gemacht hat, verkommt so fast zur Randnotiz.
Ob Djokovic nun bei den Australian Open antreten darf oder das Land doch noch verlassen muss, wird wohl am Donnerstag endgültig entschieden.