Wunderkind, Stoppball-König und «Ungeheuer» Mit 19 Jahren mischt Carlos Alcaraz die Tenniselite auf

Von Luca Betschart

9.5.2022

19-Jähriger Alcaraz lässt Zverev im Madrid-Final keine Chance

19-Jähriger Alcaraz lässt Zverev im Madrid-Final keine Chance

Carlos Alcaraz (ATP 9) lässt im Final des Masters-1000-Sandplatzturniers in Madrid Olympiasieger Alexander Zverev (ATP 3) keine Chance. Der Spanier gewinnt in zwei Sätzen problemlos mit 6:3, 6:1.

09.05.2022

Carlos Alcaraz weist die Tennisweltspitze in Madrid reihenweise in die Schranken und schreibt mit seinem fünften ATP-Titel Geschichte. Nicht nur die direkte Konkurrenz ist tief beeindruckt.

Von Luca Betschart

Als erster Spieler überhaupt vollbringt Carlos Alcaraz in der spanischen Hauptstadt das Kunststück, die Ausnahmekönner Rafael Nadal und Novak Djokovic auf Sand nacheinander zu schlagen. Davon offenbar unbeeindruckt, erteilt der 19-Jährige im Endspiel Titelverteidiger Alexander Zverev eine Lehrstunde und überlässt dem Deutschen auf dem Weg zum Turniersieg nur vier Games.

«Junge, im Moment bist du der beste Spieler der Welt», lobt der entthronte Finalgegner und beweist Galgenhumor: «Du bist erst fünf Jahre alt, dennoch schlägst du uns der Reihe nach, wie du gerade willst.» In der Tat ist Alacaraz derzeit nicht zu stoppen und der erste Spieler nach David Nalbandian im Jahr 2007, der bei einem Masters-1000-Turnier drei der Top 4 der Weltrangliste eliminiert. Seit mittlerweile zehn Spielen und zwei Turnieren ist der Spanier unbesiegt, in dieser Saison gewinnt er 28 von seinen 31 Matches und vier Titel.

Alexander Zverev (rechts) revanchierte sich bei Carlos Alcaraz während der Siegerehrung mit einer Champagner-Dusche für die kalte Dusche im Endspiel von Madrid.
Alexander Zverev (rechts) revanchierte sich bei Carlos Alcaraz während der Siegerehrung mit einer Champagner-Dusche für die kalte Dusche im Endspiel von Madrid.
Bild: Keystone

Ein wenig wie Federer

In der Weltrangliste stösst das spanische Wunderkind am Montag bereits auf Position 6 vor. Seine Teilnahme in Rom in dieser Woche muss er wegen leichter Knöchelprobleme zwar absagen, dennoch gehört er für die French Open bereits zum engen Favoritenkreis. Ein rasanter Aufstieg, der wohl vor wenigen Wochen noch niemand für möglich gehalten hätte. 

Zu lange wartete die Tenniswelt schon auf die Wachablösung, zu oft wurden junge Spieler mit Vorschusslorbeeren eingedeckt und als neue zukünftige Grand-Slam-Sieger angekündigt. Nun scheint die Zeit mit «Carlitos» tatsächlich gekommen.

Dafür spricht zum einen sein variantenreiches Spiel mit den enorm explosiven Grundschlägen. «Ich spiele gerne sehr aggressiv, mit vielen Gewinnschlägen und komme häufig ans Netz – ein wenig wie Federer», sagt er einst über sein Verhalten auf dem Platz – und stellt dies in jüngster Vergangenheit eindrücklich unter Beweis. Mit eingestreuten Stoppbällen macht er sich zusätzlich unberechenbar und vernascht selbst den Weltranglistenersten Novak Djokovic immer wieder.

Grosses Lob von Djokovic

Nebst der Spielintelligenz verblüfft Alcaraz aber auch mit seiner mentalen Stärke. Er strotzt nur so vor Energie, steckt Rückschläge weg und behält in den entscheidenden Phasen kühlen Kopf – egal, wer auf der anderen Seite steht. «Dass jemand in seinem Alter so abgeklärt und mutig spielt, ist beeindruckend. Er behielt die Nerven und verdiente den Sieg», sagt etwa Djokovic, der Alcaraz im Tiebreak des entscheidenden dritten Satzes unterliegt.

Die beeindruckende Entwicklung ist auch auf das passende Umfeld zurückzuführen. Vater Carlos ist zu früheren Zeiten einer der besten 50 Spieler in Spanien, beendet seine Karriere aber aufgrund finanzieller Probleme vorzeitig und wird Trainer. Ein Freund der Familie sorgt dafür, dass seinen Sohn nicht dasselbe Schicksal ereilt, und unterstützt die Familie in den Anfangszeiten von Carlos junior.

Darauf ist die Familie dank des riesigen Erfolges glücklicherweise nicht mehr angewiesen. Mit Juan Carlos Ferrero, ehemaliger Weltnummer 1 und French-Open-Sieger 2003, hat Carlos Alcaraz zudem einen Coach, der genau weiss, wie man an die Spitze kommt und was es dafür braucht.

Die Parallelen zu Nadal

Nach den Turniersiegen in Barcelona und Madrid ist die Euphorie in der Heimat bereits riesig. «Alcaraz ist auf dem Weg zur Nummer 1», titelt etwa die Zeitung «El Mundo» am Montag. Und «La Vanguardia» schrieb: «Er ist kein Kind, er ist ein Ungeheuer.» Selbst König Felipe VI. nimmt sich während eines Besuchs in Costa Rica offenbar die Zeit, seinem Landsmann per Telefon zu gratulieren.

Die Hoffnungen sind gross, dass Alcaraz in die grossen Fussstapfen von Nationalheld Rafael Nadal treten wird. Die unübersehbaren Parallelen zum 21-fachen Grand-Slam-Sieger – beide feiern ihren ersten Sieg auf der ATP-Tour im Alter von 16 Jahren, bevorzugen Sandbelag und machen im Tennissport schon früh auf sich aufmerksam – verleihen diesen Hoffnungen zusätzlichen Antrieb.

«Ich denke, dass ich bereit bin, auch an den Grand Slams gegen die Besten mitzuhalten, und zwar auf jedem Belag», sagt der jüngste Bezwinger einer amtierenden Weltnummer 1 seit 17 Jahren – womit wir bei der nächsten Parallele zu Nadal sind, der damals in Roland Garros Roger Federer eliminierte. «Nur weil ich in Barcelona gewonnen und Djokovic und Nadal in Madrid geschlagen habe, halte ich mich nicht für den besten Spieler der Welt», relativiert Alcaraz zwar seinen jüngsten Meilenstein. Er kündigt aber zugleich an: «Dieser Sieg in Madrid gibt mir viel Selbstvertrauen für Roland Garros. Ich werde in Paris mit aller Kraft um den Titel kämpfen.»