Boxen «Kampf in den Dünen»: Schlägt «The little fat kid» wieder zu?

Von René Weder

4.12.2019

Andy Ruiz Jr. (links) will am Samstag den Beweis antreten, dass sein Sieg gegen Anthony Joshua im Juni kein Zufall war.
Andy Ruiz Jr. (links) will am Samstag den Beweis antreten, dass sein Sieg gegen Anthony Joshua im Juni kein Zufall war.
Bild: Getty

Am Samstag ist es soweit: Andy Ruiz Jr. will seinen Titel gegen den entthronten Weltmeister Anthony Joshua verteidigen. Alles, was Sie über den Kampf des Jahres wissen müssen, erfahren Sie hier. 

Beim Rückkampf geht es um die Schwergewichtsgürtel der WBA, IBF, WBO und IBO. Der einzige Schwergewichtstitel, der nicht auf dem Spiel steht, ist der Schwergewichtstitel der WBC. Diesen hält derzeit der Amerikaner Deontay Wilder, der seinerseits aller Voraussicht nach im Februar seinen Rückkampf gegen Tyson Fury bestreiten wird. Die Sieger der beiden Duelle dürften dann im Sommer den lang ersehnten Fight um den unumstrittenen Schwergewichtsweltmeister austragen.

1. Juni 2019

Rückblick: Ruiz Jr. sorgte im vergangenen Sommer für die grösste Sensation im Profiboxen seit 1990, als Buster Douglas Mike Tyson bezwang. Der Mexiko-Amerikaner entthronte im altehrwürdigen Madison Square Garden den britischen Vierfachweltmeister Anthony Joshua durch technischen K.o. in der 7. Runde. Die Affiche kam erst wenige Wochen vor dem Kampf zustande, da Ruiz für den des Dopings überführten Jarrell Miller eingesprungen war. 

Ruiz schockte Joshua daraufhin und schickte ihn viermal zu Boden, worauf der Ringrichter das Duell vorzeitig beendete. Der 1:25-Aussenseiter und fünffache Familienvater war plötzlich völlig überraschend Träger von vier Schwergewichtsgürteln. «Wahnsinn. Davon habe ich geträumt. Ich kann es nicht glauben. Ich habe gerade Geschichte geschrieben, für Mexiko», so der euphorisierte Amerikaner im Anschluss. 

Damit stellte Andy Ruiz Jr. mit den wabernden Hüftringen die Hackordnung im weltweiten Schwergewichtsboxen schlagartig auf den Kopf.

Der Rückkampf

Am 7. Dezember stehen sich die beiden Boxer wieder im Ring gegenüber. Für den «Clash on the Dunes» (dem «Kampf in den Dünen») wurde im saudi-arabischen Diriyah, einem Vorort Riads, wo einst der erste Palast der Königsfamilie Al Saud stand, für kurze Zeit eine Arena für 15'000 Zuschauer bereitgestellt.

Selbstredend werden diese Vorbereitungen und der Kampf selbst von vielen Misstönen begleitet. Alle Aktionen des Landes, das Menschenrechte seit Jahrzehnten mit Füssen tritt, werden in Europa kritisch beurteilt. Da dürften auch Sportveranstaltungen nicht viel daran ändern, solange die herrschende Königsfamilie mit eiserner Hand regiert. Saudi-Arabien lässt sich den Kampf im Übrigen einiges kosten. 100 Millionen US-Dollar, heisst es, wurden auf den Tisch gelegt. Die Saudis wollen mit grossen Sportveranstaltungen ihr Image aufpolieren – ob es gelingt, ist mehr als fraglich.

Ex-Weltmeister Wladimir Klitschko ist eine der wenigen prominenten Stimmen, die Hoffnung haben. «Sicher, Saudi-Arabien steht in der Kritik. Aber wie sagte Nelson Mandela einst: ‹Der Sport hat die Kraft, die Welt zum Guten zu verändern.› Ich hoffe, ein Weltereignis wie die Box-WM hilft den Menschen dort, freier leben zu können», meint Klitschko.

Die Kontrahenten

   GB

Kampfname: AJ

Anthony Joshua

Alter: 30 (Geb. 15. Oktober 1989)
Gewicht: 113 Kilogramm
Grösse: 1,98 Meter
Reichweite: 2,08 Meter
Stil: Linksauslage*
Kampfbilanz: 22-1
Aktuelle Titel: Keine

Der Olympiasieger von 2012 im Superschwergewicht ist eine durchtrainierte Kampfmaschine und holt die ersten Punkte normalerweise bereits beim offiziellen Wiegen, wo er seine Gegner rein optisch wie Amateursportler aussehen lässt. Bis zum Kampf gegen Andy Ruiz Jr. hatte keiner seiner 22 Profi-Gegner etwas zu bestellen. Er boxt taktisch extrem versiert, geht wenig Risiken ein und sucht als muskulöser Athlet gerne den Infight, um seine Schlagkraft wirkungsvoll einsetzen zu können.

Zudem ist Joshua bekannt für seine Fähigkeit, blitzschnell von der Defensive in die Offensive zu schalten. Wie er den Kampf gegen Ruiz Jr. verlieren konnte, bleibt bis heute rätselhaft. Hat Joshua sein Gegenüber unterschätzt? War er nicht bei der Sache? Hatte er falsch trainiert? Fakt ist: Joshua anerkennt den Ausgang des Kampfs, was bei Boxern nicht immer der Fall ist. «Ich lasse mich nicht durch eine Niederlage definieren. Der bessere Mann hat gewonnen und er sollte alles geniessen, was er bekommt, denn das Boxen ist hart genug», so Joshua kürzlich in einem Interview bei «Sky Sports». Der Brite gibt zu, sich den Kampf immer wieder angeschaut zu haben. «Besonders die dritte Runde», sagt Joshua. In dieser denkwürdigen Runde hatte er Ruiz zunächst auf die Bretter geschickt und ihn an den Rande eines Knock-Outs befördert. Dann drehte Ruiz auf.

Er habe im Hinblick auf den Rückkampf nicht nur körperlich, sondern auch mental viel gearbeitet, sagt Herausforderer Joshua. «Ich weiss, dass ich es schaffen kann. Beim letzten Mal hat nicht viel gefehlt.»


   US

Kampfname: The Destroyer

Andy Ruiz Jr.

Alter: 30 (Geb. 11. September 1989)
Gewicht: 122 Kilogramm
Grösse: 1,88 Meter
Reichweite: 1,88 Meter
Stil: Linksauslage*
Kampfbilanz: 33-1
Aktuelle Titel: WBA, IBF, WBO, IBO

Andy Ruiz Jr. hatten bis zum Kampf am 1. Juni 2019 nur eingefleischte Boxfans auf der Rechnung. Rein äusserlich ist er so etwas wie der Antipode Anthony Joshuas. Mit einigen Kilogramm zu viel um Bauch und Hüften ist Ruiz nicht gerade der Inbegriff des modernen Boxers. Aber sein Punch ist gewaltig. Und der Junge kann einstecken.

«The little fat kid» («das kleine dicke Kind»), wie sich Ruiz gar selbst nennt, hat vor dem Rückkampf kaum Gewicht verloren. «Ein bisschen. Aber ich bin nicht hier, um viel Gewicht zu verlieren», sagte er am Montag vor Journalisten in der Hauptstadt Riad. «Ich will stark sein und mich gut fühlen im Ring», erklärt er seine einfach klingende Taktik. Er werde derselbe wie im ersten Kampf gegen Joshua sein. Dort zeigte er nicht nur Nehmerqualitäten, sondern eben auch eine unglaubliche Wucht in seinen Schlägen.

Seit dem ersten Aufeinandertreffen hat sich das Leben des Andy Ruiz schlagartig geändert. Früher bekam er kaum Geld für die Windeln seiner vielen Kinder zusammen. Jetzt fährt er einen Rolls Royce und geniesst es, ganz im Stile des «amerikanischen Traums», seinen neuen Status auf Social Media zu zeigen. Dabei verliert er aber nicht die Bodenhaftung, wie etwa Floyd «Money» Mayweather Jr.. 

Trainingsbilder und -videos postet Ruiz seltener als üppige Mahlzeiten. Irgendwie muss man den korpulenten Linksausleger mit der leisen Stimme einfach gern haben. 

* Beim Linksausleger sind das linke Bein und die linke Hand näher am Gegner. Oft wird das durcheinander gebracht, denn Linksausleger sind Rechtshänder. Die starke rechte Hand ist die Schlaghand, während die linke Hand als Führhand geschlagen bzw. geführt wird. 

Der Kampf am TV

Joshua – Ruiz II wird am 7. Dezember nicht im Free-TV zu sehen sein. In der Schweiz gibt es zwei Möglichkeiten, den Kampf zu schauen. Als Teleclub-Sport-Kunde via RMC (französisch kommentiert, auch im Netz mit Swisscom TV Air). Der Streaming-Anbieter DAZN bietet den Kampf zudem auf deutsch kommentiert an. Gegen 21:45 Uhr Schweizer Zeit soll es mit dem Hauptkampf losgehen, was natürlich nicht gesichert ist, denn erfahrungsgemäss dauern die Vorkämpfe länger. Klar für Boxfans ist aber: Man wird schlimmstenfalls ausharren, nicht aber mitten in der Nacht aufstehen müssen.

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