Tipps gegen Völlerei «Dann ist der Bauch so schnell weg, wie er gekommen ist»

Von Sulamith Ehrensperger

17.12.2019

Eine vernünftige Einstellung zum Essen ganzjährig ist sinnvoll  – und an Feiertagen zu schlemmen, sei durchaus erlaubt. Doch wo hört Genuss auf, wann beginnt die Völlerei?
Eine vernünftige Einstellung zum Essen ganzjährig ist sinnvoll  – und an Feiertagen zu schlemmen, sei durchaus erlaubt. Doch wo hört Genuss auf, wann beginnt die Völlerei?
Bild: Getty Images

Festessen und Weihnachtsstress können sich ganz schön auf der Waage und am Bauch bemerkbar machen. Doch Kilofalle Weihnachten muss nicht sein, sagt Ernährungswissenschaftler Jürg Hösli.

Die Weihnachtszeit ist für viele das Fest der Pfunde – und manche scheuen sich davor, an Gewicht zuzulegen. Herr Hösli, ist dies eine begründete Sorge?

Weihnachten ist ein Fest der Sinne, da gehört Essen und Trinken dazu. Die Sorge ist begründet, wenn Leute, die das ganze Jahr über sich in Verzicht üben, an diesen Tagen überdimensional zuschlagen. Doch habe ich den Eindruck, dass Essen schon im Mittelpunkt steht, es aber nicht mehr diese Völlerei sein muss. Da findet gerade ein Umdenken statt.

Glauben Sie, es kippt nun ins Gegenteil: gesund, nachhaltig, vegan auch zu Weihnachten?

Ich persönlich erlebe eine Spaltung. Auf der einen Seite sind Leute, die ihre Traditionen aufrechterhalten, auf der anderen solche, die bewusster essen. Die Ernährung ist dann auch an Festtagen kognitiv und rational bestimmt. Ich kenne solche, die über die Festtage sogar eine Diät planen. Ich denke, dass die aktuelle Diskussion um mehr Nachhaltigkeit und Bewusstsein nicht nur unsere Umwelt, sondern auch unsere innere Welt stärker beeinflusst.

Jürg Hösli ist Ernährungswissenschaftler und greift gerne kontroverse Themen aus Sport, Psychologie und Ernährung auf. Er ist Begründer der Ernährungsdiagnostik und der Schule für Ernährungsdiagnostik Erpse in Winterthur und Zürich.
Jürg Hösli ist Ernährungswissenschaftler und greift gerne kontroverse Themen aus Sport, Psychologie und Ernährung auf. Er ist Begründer der Ernährungsdiagnostik und der Schule für Ernährungsdiagnostik Erpse in Winterthur und Zürich.
Bild: zvg

Was kommt denn bei Ihnen zu Weihnachten auf den Tisch?

Auch bei mir hat sich das Essverhalten verändert. Ich serviere meinen Gästen lieber kleine Häppchen und gut verdauliche Speisen am Nachmittag. Dann geht es zusammen in die Küche. Man kann ja auch gemeinsam ein paar Häppchen vorbereiten, das finde ich sinnlich – und danach unternehmen wir einen Spaziergang. Diese Notfresserei, die noch an vielen Tischen stattfindet, finde ich pervers.

Angesichts der vielen Versuchungen im Adventsmonat: Fällt es nicht selbst den diszipliniertesten Menschen schwer, sich beim Essen zurückzuhalten?

Auch ich fange an zu essen, wenn ich Guetzli vor mir habe. Aber die Aussage, man müsse danach so und so viel trainieren, um die Kalorien wieder zu verbrennen, macht mich hässig. Das verdirbt einem die Freude. Wer einen Glühwein trinkt und ein bisschen was dazu isst, kann abends ein bisschen weniger essen und muss nicht gleich zum Sport rennen. Geniessen gehört doch zur Adventszeit dazu.

Ich kenne viele, die tagsüber Kalorien einsparen, damit sie abends dafür umso mehr zulangen können. Geht diese Rechnung auf?

Nein, Sie würden ja auch nicht nach Paris fahren, ohne zu tanken, und wenn das Auto stehen bleibt, gleich die doppelte Menge in den Tank füllen. Auch der Körper hat einen begrenzten Speicher. Wenn wir ihn tagsüber kasteien und abends dann eine übergrosse Mahlzeit essen, speichert dieser vor allem im zentralen Bereich – und das ist der Bauch. Deshalb wächst dann vor allem die Bauchregion, wenn wir es an Weihnachten übertreiben. Tagsüber einsparen und abends dann so richtig zulangen, diese Rechnung geht nicht auf.



Die meisten Essen sind allerdings abends. Wie geht die Rechnung trotzdem auf?  

Wer tagsüber einspart, den holt abends der Heisshunger ein. Ich gönne mir dann zwei Desserts und esse jedes Stück Brot, das auf den Tisch kommt. Genuss muss nicht in Völlerei enden, man kann auch tagsüber sich was gönnen. Auch kleine Portionen Zucker machen glücklich. Wer sich nach dem Mittagessen ein kleines Dessert gönnt, hat abends weniger Lust auf Süsses.

Weihnachtszeit bedeutet für viele auch Stress im Arbeits- und Familienalltag. Sind es wirklich nur die Weihnachtsguetzli und der Glühwein, die ansetzen?

Wenn der Körper in einem Stresslevel ist, speichert er schneller in die Fettreserven ein. Unter Stress ist das gesamte System überlastet, überfordert und will sich überfördern. Studien zeigen, dass wir dann viel mehr Lust auf Süsses, Salziges oder Brot haben. Manche haben plötzlich ein ungezügeltes Essverhalten: Nach den ersten drei Guetzli bricht der Damm, dann können es auch noch die nächsten vier Packungen sein. Vor allem bei Leuten, die das ganze Jahr über ihren «Gluscht» verdrängen, kommt es am Heiligabend besonders dick. Im stressigen Alltag essen wir fast zu wenig, haben wir dann mal Zeit, schaufeln wir rein – vielleicht auch aus Langeweile.

An manchen Weihnachtstischen findet gerade ein Umdenken statt: Das traditionelle Festessen muss nicht mehr sein, es soll dafür mehr Zeit für Gemeinsamkeit bleiben.
An manchen Weihnachtstischen findet gerade ein Umdenken statt: Das traditionelle Festessen muss nicht mehr sein, es soll dafür mehr Zeit für Gemeinsamkeit bleiben.
Bild: iStock

Eine Studie zeigt, dass die Gewichtszunahme zwischen Weihnachten und Neujahr nur 370 Gramm beträgt. Das ist für sich genommen ja eigentlich nicht viel. Auf die Jahre aber rechnet sich das schon.

«Wissenschaft» heisst Durchschnitt darstellen. Es gibt also einige, welche abnehmen und andere, welche zwei bis fünf Kilo zunehmen. Ich sage meinen Kunden jeweils: Ziel ist, das du am 20. Dezember gleich schwer bist wie am 3. Januar. Das geht, wenn wir an zwei, drei Tagen ein bisschen mehr essen, die nächsten Tage wieder weniger. Und wer sich noch bewegt, einen Spaziergang macht oder Sport, gleicht das aus – und schon hält sich dies wieder die Waage.

Was tun, wenn die Hose doch nicht mehr zugeht?

Alle, die nicht viel zugenommen haben, können im Januar mal ein paar Fastentage einlegen. Dann sind die Pölsterchen schnell wieder weg. Oder man isst konsequent Frühstück und Mittagessen, sodass man satt ist und abends dann nur eine Kleinigkeit, etwa eine Suppe oder ein bisschen Gemüse. Dann ist der Bauch so schnell weg, wie er gekommen ist.

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