Psychisches Leiden Borderline-Syndrom – im Wechselbad der Gefühle

Anna Seifert, dpa

2.1.2020

Menschen mit Borderline-Syndrom ecken oft an – auch im Berufsleben. 
Menschen mit Borderline-Syndrom ecken oft an – auch im Berufsleben. 
Bild: dpa

Menschen mit Borderline können durch impulsives Verhalten auffallen. Im Umfeld, insbesondere im beruflichen kommt es dadurch häufig zu Konflikten. Aber die Krankheit ist gut behandelbar.

Das Wort Borderline kennen viele, wissen aber oft nicht genau, was dahintersteckt. Der Begriff bezeichnet eine komplexe Persönlichkeitsstörung. Sie wirkt sich auch auf das Berufsleben aus.

Bezeichnend für Borderline ist ein selbstverletzendes Verhalten. «Aber nicht jeder Borderline-Betroffene verletzt sich. Und nicht jeder, der sich selbst verletzt, hat Borderline», erklärt Birger Dulz, Psychiater aus Hamburg und Borderline-Experte.

Betroffene erleben oft extreme Gefühle und Stimmungsschwankungen. Dies zeigt sich häufig auch in Beziehungen. Patienten beschreiben es Dulz zufolge oft so: «Es geht nicht mit anderen, und es geht nicht ohne andere.» Sie schwanken zwischen dem Aufbauen von Nähe und Distanz. «Ich hasse dich, verlass mich nicht» lautet der Titel eines Buches über die Erkrankung – dies fasse laut Dulz die Störung treffend zusammen.

Schwankende Gefühle 

Für Aussenstehende ist das häufig schwer nachvollziehbar. «Einige Betroffene reagieren impulsiv, preschen in ihrem Verhalten nach vorne. Andere ziehen sich in ihr Inneres zurück», erklärt Dulz.

Trotz aller Schwierigkeiten: Borderline ist behandelbar. Nach mehrjähriger Behandlung sei diese Persönlichkeitsstörung nicht mehr diagnostizierbar. Dulz erläutert, dass viele, aber nicht alle, in der Kindheit Erfahrungen mit Misshandlung, Missbrauch oder Vernachlässigung gemacht hätten.

Bloggerin Dominique de Marné beschreibt die Persönlichkeitsstörung als ein «zu viel an Gedanken und Gefühlen». Das Leben mit der Störung sei turbulent. «Betroffene verfallen in ein Schwarz-Weiss-Denken. Diese innere Zerrissenheit zeigt sich natürlich auch im Berufsleben.»



Es gebe Betroffene, die ihre Erkrankung gut kompensieren, sagt Dulz. «Sie können überaus erfolgreich sein, entgleisen aber in schwierigen zwischenmenschlichen Situationen.» Ob und wie viel ein Betroffener arbeiten kann, hänge allerdings vom Einzelfall ab. Für einige kann es schwierig sein, einen Beruf dauerhaft auszuüben. Für andere «kann ein Job auch Sinn und Struktur geben», erläutert de Marné.

Im Berufsleben sehen sich Betroffene häufig mit Vorurteilen konfrontiert. So schildert de Marné, die bis vor Kurzem angestellt war und jetzt selbstständig ist: Viele wollten nicht mit Borderlinern zusammenarbeiten. «Die für Borderliner typische Impulsivität kann natürlich zu Konflikten am Arbeitsplatz führen.»

Dabei ist die Unterstützung auf kollegialer Ebene wichtig, um eine Integration in den ersten Arbeitsmarkt zu fördern, erklärt der Psychologe Mattias Morenings. Der Leiter im Bereich Rehabilitation und Integration am Beruflichen Trainingszentrum Hamburg rät Auswirkungen der Erkrankung zu thematisieren: «Man kann vielen die Angst vor dem Wort Borderline nehmen, wenn man die Symptome übersetzt.» Es könne helfen, Kollegen zu erklären, dass man in bestimmten Situationen sehr emotional reagiert.

Therapie ist möglich und nötig

«Als Ausbilder kann ich mir Borderline-Betroffene gut vorstellen. Sie sind ausserordentlich gut darin, die Emotionen und Bedürfnisse des Gegenübers zu erkennen», sagt Morenings. Laut Dulz sind viele in sozialen Berufen tätig: «Sie sind sehr empathisch, wollen, dass es anderen besser geht als ihnen selbst.»



Genau diese Empathie kann zur Belastung werden: «Borderliner können ein Zuviel an Empathie zeigen, sich selbst vernachlässigen», erklärt Dulz. «Eine Therapie ist erforderlich, um den Herausforderungen im Privatleben und auch im Berufsleben gewachsen zu sein.»

Durch die Diagnose habe sich viel verändert, erzählt de Marné. Trotzdem: Manchmal bedanke sie sich bei ihrer Krankheit. «Viele Borderliner sind ausserordentlich kreativ und empathisch.» Sie wünscht sich einen offeneren Umgang mit der Krankheit: «Man sollte den Menschen sehen, nicht die Störung» – und ihm eine Chance geben.

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