Corona, und jetzt?«Endlich können wir uns wieder frei bewegen»
Von Bruno Bötschi
11.7.2021
In der Schweiz herrscht Aufbruchsstimmung: Die Corona-Pandemie ist auf dem Rückzug, das normale Leben scheint wieder da zu sein. Aber was, wenn die Probleme nicht verschwinden? Eine Umfrage.
Von Bruno Bötschi
11.07.2021, 00:00
11.07.2021, 13:28
Bruno Bötschi
Die Corona-Pandemie forderte uns in den vergangenen anderthalb Jahren alle heraus. Wir sehnten uns nach unbeschwerten Treffen mit Familie, Freundinnen und Freunden. Wir wollten uns keine Sorgen mehr machen um unsere Gesundheit und um unsere Existenz.
Jetzt scheint sie wieder da, die Normalität, zumindest teilweise.
Ein Spaziergang am See. Es sind wieder viele Menschen unterwegs. Menschen, die sich treffen, die reden zusammen, feiern und flirten. Die das mutmassliche Ende des schlimmsten Teils der Pandemie und der strengen Anti-Corona-Massnahmen zum Anlass nehmen, endlich wieder ein normales Leben zu führen.
Wir haben Persönlichkeiten aus Kultur, Politik, Sport und Wirtschaft gefragt:
Neuanfang nach der Corona-Pandemie: Und jetzt?
Fünf Frauen und elf Männer haben geantwortet. Der Erste war Frank Baumann, Bestsellerautor und künstlerischer Leiter des Arosa Humorfestivals:
«Unser Stadtleben kommt zurück. Wir dürfen wieder ins Restaurant, ins Kino, ins Theater, ins Konzert – endlich! Die Lage hat sich erfreulich entwickelt, weil wir diszipliniert waren und insbesondere auch dank einer hohen Impfbereitschaft.
Es war für mich immer klar, dass ich mich impfen lasse, sobald ich an der Reihe bin. Das ist für mich einerseits ein Akt der Solidarität und gibt mir andererseits persönlich Sicherheit.
Darum ermuntere ich alle, die können: Lassen Sie sich impfen. Es trägt wesentlich dazu bei, dass wir als Gesellschaft wieder zu einer ersehnten Normalität zurückkehren können und die Menschen bestmöglich geschützt sind, auch über den Sommer hinaus.»
«Voller Lust auf Leute, Kultur und menschliches Chaos»
«Endlich können wir uns wieder frei bewegen – voller Lust auf Leute, Kultur und menschliches Chaos! Clubs, Festivals, die ganze Musikszene erwacht dank der Impfung wieder zu neuem Leben.
Jetzt gilt es die Rückkehr zu organisieren und zu geniessen – und sich gleichzeitig Herausforderungen zu stellen wie der sozialen Absicherung der Kulturschaffenden oder dem Klimawandel.
Die Öffnung ist grossartig und Euphorie sei erlaubt. Aber ist die Pandemie wirklich überstanden? Oder werden Delta- und weitere Varianten uns wieder einschränken?»
«Ein Neuanfang heisst, nicht zurück zu den alten Kamellen. Etwa kein Küsschenküsschen mehr zur Begrüssung. Lieber echte Augen-Blicke voller Tiefe. Dicht gedrängte Menschenmengen sind für andere vielleicht faszinierend, wir bevorzugen edle Kleinanlässe, spannende Kultursalons, überschaubare Openairs.
Natürlich ist es ganz wunderbar, unser Publikum wieder live vor uns lachen und lauschen zu sehen. Wobei es durchaus erfrischend war und vermeintlich bleiben wird, via Zoom zu lesen und Online-Schreibkurse zu geben.
Wir werden jedenfalls weiterhin im Netz turnen, denn es ist klasse, wenn jemand aus Berlin spontan zu einer Wohnzimmer-Lesung bei uns per Bildschirm landet. Und ganz gewiss werden wir weiterhin die schönsten Seiten der Schweiz entdecken, zu Fuss, mit dem Zug, mit dem E-Bike oder Bus und uns darüber freuen, wie schön dieses Land ist.»
«Kann es kaum erwarten, Brüssel von einer anderen Seite kennen zu lernen»
«Auf einen Neuanfang in Brüssel warte ich seit ein paar Monaten sehnlichst. Das erste Pandemiejahr ging relativ rasch vorbei. Die ganze ‹EU-Welt› war neu für mich.
In diesem Frühling bin ich aber einer Corona-Melancholie verfallen und kann es kaum erwarten, Brüssel von einer anderen Seite kennenzulernen. Die Terrassen laden zu leckeren Cocktails und philosophischen Nächten ein. Freunde können mich nun nach eineinhalb Jahren besuchen und auch auf das eine oder andere Tanzparkett freue ich mich.
Zuerst gibt es aber Sommerferien. Der Neustart in Brüssel kann im Spätsommer beginnen.»
«Das Virus zeigt uns, wie anfällig und verletzlich wir sind»
«Die Menschen sind froh, dass sie sich wieder treffen dürfen, dass die Restaurants offen sind und das gesellschaftliche Leben wieder stattfindet.
Die Pandemie zeichnet auch ihre Spuren: Monatelanges Home-Office, existenzielle Sorgen; für manche hinterlässt der Lockdown anhaltende Schäden, gesundheitlicher oder wirtschaftlicher Art.
Diese Jahrhundertkrise hat auch ihre guten Seiten. Werte wie Zusammenhalt, Teilen, Hilfsbereitschaft und Bescheidenheit gewinnen wieder an Bedeutung. Das Virus zeigt uns, wie anfällig und verletzlich wir sind.»
«Klimakrise und Flüchtlingsströme haben nicht innegehalten»
«Mit Corona durchliefen wir mehrere Stufen: Aus dem Rausch der Überangebote auf allen Ebenen fielen wir in die totale Stille und Verunsicherung. Dann zermürbte uns die Dauer der Pandemie und machte uns dünnhäutig.
Wir waren aus dem Lot. Die einen wurden aggressiv, die anderen bedürftig. Alles war emojionalisiert.
Jetzt scheint die Pandemie abzuklingen. Und wir müssen uns dringend wieder eine dicke Haut zulegen und uns um die Welt ausserhalb von uns kümmern. Denn die Klimakrise, die kriegerischen Konflikte und die Flüchtlingsströme haben im Gegensatz zu uns nicht innegehalten.»
«Es gibt ein Leben mit Corona – with a little help from my friends»
«Die Zeit nach Corona ist wohl die Zeit vor Corona. Und daher ist mein Plan für die nächsten Monate der: Nicht planen. Nicht weit vorausschauen. Mir nicht Sorgen machen. Und jeden Tag bei seinen Chancen nehmen.
Gut möglich, dass gegen den Winter zu die Ansteckungszahlen wieder steigen. Angst vor der nächsten Welle habe ich nicht. Während der Monate der Pandemie zogen wir im Kleinstgrüppli immer wieder mal in den Wald und machten es uns in irgendeiner Bodensenke an einem Feuer gemütlich mit Würsten und Rotwein.
Es gibt ein Leben mit Corona – with a little help from my friends.»
«Das Corona-Virus ist ansteckend. Das Lächeln auch. Aber seit Monaten verkriecht sich Letzteres unfreiwillig hinter Masken. Und jetzt, gegen Pandemie-Ende, erschrecke ich gehörig: Die Maskierung ist gar nicht so unfreiwillig, wie ich immer glaubte. Viele Leute verstecken ihr Lächeln nach wie vor. Freiwillig. Draussen. Auf dem Velo. Allein im Auto. Sogar im Wald.
Muss ich jetzt wirklich lernen, künftig fast ohne das entwaffnende Lächeln der Menschen auszukommen? Was für eine traurige Hinterlassenschaft der Seuche! Himmeltraurig vor allem für die Kinder. Wie sollen sie erfahren, dass das Lächeln der kürzeste Weg ist zwischen zwei Menschen?»
«Wer lange in der Höhle sitzt, vergisst, wie schön es draussen ist»
«Wir Künstler und die Eventbranche haben sehr gelitten. Die Pandemie hat uns von 100 Prozent Arbeit und Einsatz auf null Prozent herabgesetzt und etliche Existenzen bedroht und viele vernichtet. Es gab kein Dazwischen und keine Chancen wenigstens auf ein Minimum an Auftrittsmöglichkeiten.
Die Bühnen waren zu und per Stream oder TV aktiv zu sein, war höchstens ein Tropfen auf dem heissen Stein. Jetzt scheint es endlich Hoffnung zu geben auf ein Ende, oder zumindest ein Leben mit beziehungsweise nach Covid, in dem man trotzdem zur Normalität zurückkehren darf. Theater planen wieder, der Zirkus kommt zurück, Privatanlässe werden gegen Ende Jahr wohl auch wieder unbegrenzt möglich sein, und der Sommer verspricht für uns Artisten zumindest einige Open-Air-Vorstellungen, bei denen man die Leute wieder an das Unterhaltungserleben heranführen kann.
Denn wer lange in der Höhle sitzt, vergisst manchmal, wie schön es draussen ist. Es hat bestimmt ein Umdenken stattgefunden, die Menschen gehen jetzt eher auf Nummer sicher und planen kleinere und dafür exklusive Events. Massenveranstaltungen wie die Euro 2020, wo von einem ‹Versuch› die Rede ist, aber Covid scheinbar nicht mehr existent, sind mir suspekt und machen mich wütend.
Warum darf es dort gehen mit vollen Stadien und wir «kleinen Leute» müssen nach wie von Maske tragen, Theaterplätze reduzieren, im privaten Rahmen immer noch nur reduziert zusammen sein und uns an all die Regeln halten? Wer wird so was noch ernst nehmen? Kontrovers.
Meine einzige Angst ist momentan, dass nach diesem Sommer wiederum alles zahlenmässig schlechter wird, und kaum kommen die Buchungen so richtig zurück, es dann wieder heisst: Ihr wart zu unvorsichtig, die Öffnungen zu schnell, jetzt bitte wieder zu Hause bleiben.
Aber ich denke jetzt mal positiv und schaue gern auf die kommenden Wochen mit neuen Auftrittsmöglichkeiten und der Aussicht, im Winter endlich das Musical spielen zu dürfen, das wir wegen des Lockdowns nach der Premiere abbrechen mussten und dann zweimal verschoben haben. Ein immenser Geldverlust für die Produktion. Jetzt muss es einfach klappen. Toi, toi, toi!»
«Die Krise hat tiefe Löcher in die Kassen gerissen »
Alex Flach, Sprecher diverser Schweizer Clubs und Chefredaktor des Barkeeper-Magazins «Drinks Schweiz»
«Es geht bergauf, aber die Normalität ist fürs Nachtleben noch in weiter Ferne. Die Krise hat tiefe Löcher in die Kassen gerissen, ehemals schuldenfreie Betriebe stehen nun vor einem ganzen Berg aus Verpflichtungen.
Die Hilfskredite müssen à-fonds-perdu werden, um tatsächlich Hilfe zu sein, denn: Gastro und Kultur tragen ebenso keine Schuld an der Krise wie all jene Wirtschaftszweige, die durcharbeiten konnten, als ob nichts wäre.
Und wenn niemand schuld ist, dann ist es die Aufgabe des Staates, den finanziellen Schaden gleichmässig auf die Allgemeinheit zu verteilen. Nennt sich Solidarität.»
«Mir ist klar, dass noch nicht alles überstanden ist»
«Ich versuche die Pandemie ein wenig aus meinen Gedanken zu verdrängen. Ich bin geimpft. Ins Ausland werde ich diesen Sommer nicht reisen. Gerade konnten wir eine schöne Buchvernissage («Paris») auf dem Stanserhorn feiern. Fast wie früher.
Gewisse Dinge – wie Treffen mit Freunden – geniesse ich jetzt viel intensiver als vor Corona. Aber mir ist schon klar, dass noch nicht alles überstanden ist. Umso mehr freue ich mich jetzt über jedes Stückchen Freiheit und zelebriere es.»
«Es ist eine Erleichterung, wieder lachende Gesichter in der Badi oder im Gerolds Garten zu sehen. Corona ist nicht ausgesessen, das sehen wir täglich in der Zusammenarbeit mit unseren Partnern in Georgien, Kolumbien oder Indien.
Zuversichtlich stimmt, dass unsere Mitarbeiter*innen trotz langer Homeoffice-Phase die starke Verbindung zum Unternehmen behalten haben. Digitale Kommunikation funktioniert bestens – aber für den Teamzusammenhalt und die Motivation sind Nähe und Verbindung zentral.
Folgende Aussage von Reinhard K. Sprenger, Philosoph, Managementberater und Autor, in der «NZZ» fasst es prima zusammen: ‹Management geht online, Führung nicht; Administration geht online, Kundenkontakt nicht; Organisation geht online, Kreativität nicht; Koordination geht online, Zusammenarbeit nicht.›
Darum freue ich mich jetzt wieder auf mehr kreative Nähe.»
«Sie schützt, kostet wenig und ihre Wirkung ist beachtlich»
«Langsam verschwindet sie aus dem öffentlichen Bild. Jetzt, wo wir uns an sie gewöhnt haben. Zu Beginn der Pandemie war sie Mangelware. Eine unnötige Verschwendung. Bis der Bundesrat eine Kehrtwende vollzog und den ‹Mund-Nasen-Schutz› obligatorisch machte.
Sie war Spekulationsobjekt gieriger Unternehmer, Grund für giftige Streitereien in Läden, Trams und Zügen. Sie war hip und sorgte für Atemnot.
Und die Maske bleibt ein Reizstoff. Der Sommer wird nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Virus nicht weg ist. Nur ein guter Drittel der Bevölkerung ist doppelt geimpft, Mutationen sind auf dem Vormarsch und das Versprechen von Freiheit wird vielerorts zurückgenommen. Wie das Virus wird wohl auch die Maske nie mehr ganz verschwinden. Denn inzwischen wissen wir: Sie schützt, kostet wenig und ihre Wirkung ist beachtlich.»
«Und jetzt? Ich geniesse den allmächlich wiederkehrenden Alltag. Ich geniesse die Anfragen die sich häufen. Verschobene und vertagte Auftritte die stattfinden. Ich geniesse das Bier in der Beiz. Den Regen im Regen. Ich geniesse die Abstände, die noch da sind, welche bleiben werden, bestimmt. Egal.
Auf die Zukunft freue ich mich und auf Projekte, welche entstehen. Ich sehne mich nach dem Duft von ranzigen Raststätten und altem Frittenöl. Urlaubsgefühle. Auf Menschen die andere Sprachen sprechen werden. Ich freue mich auf das salzige Meer und die lauen Nächte. Schöne Sommerferien.»