Interview «Manche verwechseln den sexuellen Reiz mit einem intimen Moment»

Von Sulamith Ehrensperger

8.8.2019

Frauen fotografiert er am liebsten, wenn sie nackt sind. Auch Schlangenfrau Nina Burri hatte der Schweizer Fotograf Stefan Rappo vor der Kamera – mitten in der Wüste. Ein Gespräch. 

Herr Rappo, welche Erinnerungen haben Sie an das Shooting mit Nina Burri mitten im Death Valley?

Wir haben uns spontan entschieden ins Death Valley zu fahren und sind bei brütender Hitze dort angekommen. Dieses Bild hier ist dann am frühen Morgen entstanden. Nina ist nackt herumgerannt, hat getanzt und sich in alle Richtungen verbogen. Ich habe versucht, ihr so gut wie möglich zu folgen.

Nina Burri ist ja dafür bekannt, dass sie ihren Körper in scheinbar unmögliche Positionen bringt. 

Am Anfang der Shootings brauche ich immer ein paar Minuten, um zu verstehen, wie sie gerade gedreht ist. Allerdings möchte ich sie in erster Linie als Person fotografieren – und sie nicht auf die Rolle der Schlangenfrau reduzieren. Was die Nina in erster Linie auszeichnet, ist, dass sie sehr aufgestellt ist. Das war sie schon vor 14 Jahren, als ich sie zum ersten Mal getroffen habe. Sie war damals Tänzerin im Moulin Rouge.

Früher haben Sie Forstgeräte konstruiert, heute fotografieren Sie am liebsten weibliche Körper. Wie sind Sie zur Aktfotografie gekommen?

Ich glaube, man wird ganz natürlich zu Dingen hingezogen, die man gerne tut – oder in meinem Fall eben fotografiert. Schon in meinen Anfängen habe ich mit Aktfotografie begonnen, weil mich diese faszinierte. Diese Faszination hat mich seither nie wieder losgelassen.

Was fasziniert Sie am Genre der Aktfotografie?

Mich fasziniert das Spiel zwischen Emotionen, Formen, Linien, Licht und Erotik, aber auch zwischen Realität und Fiktion. Ich mag es, mit etwas konfrontiert zu sein, das vom Prinzip her sehr reduziert ist und ohne Zusatz auskommen muss. Ohne Acces­soires oder Mode – und möglichst ohne zusät­zliche Elemente, die vom Wesentlichen ablenk­en. Ich liebe die Idee, Menschen vor der Kamera zu haben, die sich dem bewusst sind. Nicht zuletzt ist der weibliche Körper in meinen Augen etwas un­glaublich Ästhetisches.

Stefan Rappo ist ein Schweizer Fotograf aus Plaffeien. Er wohnt heute in Paris, inszeniert filmische Fotogeschichten, Porträts und weibliche Aktfotografien. Seit vielen Jahren arbeitet er eng mit dem deutschen Starfotografen Peter Lindbergh zusammen.
Stefan Rappo ist ein Schweizer Fotograf aus Plaffeien. Er wohnt heute in Paris, inszeniert filmische Fotogeschichten, Porträts und weibliche Aktfotografien. Seit vielen Jahren arbeitet er eng mit dem deutschen Starfotografen Peter Lindbergh zusammen.
Bild: Peter Lindbergh

Mit «Nude» sind nun Ihre bewegendsten Fotografien in einem Bildband erschienen. Wonach suchen Sie bei Ihren Arbeiten?

Mir ist bei meinen Bildern wichtig, eine Situation zu kreieren. Ich möchte, dass sich meine Modelle in die Locations einfügen, in denen ich sie fotografiere und nicht als Fremdkörper empfunden werden. Das gilt auch fürs Licht. Die meisten Bilder, ob drinnen oder draussen, fotografiere ich mit dem Licht, das gerade vorhanden ist.

Aktfotografie hat nicht das Ziel, den Betrachter sexuell zu erregen. Wie intim erleben Sie die Aktshootings?

Ein Aktshooting kann sicher sehr intim sein, wie dies auch ein Portrait- oder Modeshooting sein kann. Eine intime Situation ergibt sich aber nicht zwingend, nur weil ein Modell während des Shootings nackt ist. Wenn Sie beispielsweise mit jemandem essen gehen, kann auch das intim sein. Man sollte bei der Aktfotografie nicht sexuellen Reiz mit einer spannenden, intimen Situation verwechseln. Für mich ist wichtig, wenn es mal zu einer intensiven Spannung kommt, dass ich diese in positive Energie umwandeln und in den Dienst der Fotografie stellen kann. Doch dürfen die Bilder diese Spannung oder eine gewisse Erotik schon weitergeben.

Nebst nackten Frauen haben Sie auch andere Sujets vor der Kamera. Was bewegt Sie als Fotograf?

Ich bin immer auf der Suche nach jenem Bild, dass den Betrachter berührt. Die Modelle, wie auch ich selber, sind ständig in Bewegung. Ich glaube, dass man nur aus der Bewegung heraus einmalige Situationen und Bilder kreieren kann. Die meisten guten Fotos entstehen bei mir zwischen den eigentlichen Bildern, wenn sich das Model von einer Situation zur anderen bewegt. Es können schon mal um die 5'000 Bilder werden, da ist die Auswahl enorm wichtig.

5'000 Bilder – das ist eine beträchtliche Menge. Wie finden Sie das richtige Foto?

Ich mag es, wenn eine bestimmte Dynamik vorkommt, daher schiesse ich immer sehr viele Bilder. Indem ich dann die Auswahl unterschiedlich gestalte, kann ich der Geschichte ganz unterschiedliche Richtungen geben. So bin ich während diesem Prozess immer auf der Suche nach dem einen Bild – jenes, das sich sicher von den anderen abhebt, weil es eine Emotion ausstrahlt, eine Situation oder Pose, die nicht alltäglich ist und nicht einfach nachzumachen.

Was ist die besondere Herausforderung in der Aktfotografie?

Ich gebe zu, dass Aktfotografie auch immer eine Gratwanderung ist. Wenn man den falschen Weg einschlägt, können die Bilder billig oder schmuddelig wirken. Dabei ist für mich eben wichtig, dass ich nicht einfach eine nackte Frau fotografiere, um eine nackte Frau zu zeigen, sondern eine Situation mit einer nackten Frau kreiere. Schlussendlich ist aber alles eine Frage des guten Geschmackes – aber auch wenn Sie Architekt, Designer oder Maler sind.

Bibliografie: Nude, Stefan Rappo, rund 200 Fotografien, teNeues, ca. 54.90 Franken

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