Easyjetset und Selfiestick Ferien: Darum werden sie immer mehr zum Freizeitstress

Gregor Tholl, dpa/bb

6.7.2018

Hinter mancher Social-Media-Inszenierung steckt viel Arbeit. Ferien ist heute oft Freizeitstress.
Hinter mancher Social-Media-Inszenierung steckt viel Arbeit. Ferien ist heute oft Freizeitstress.
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Spätestens seit dem Jahr 2000 scheint alles in Sachen Ferien zu gehen. All-inclusive-Angebote, Billigflieger, Couchsurfing erweitern den Horizont. Die Rollkoffer klackern weltweit. Die Frage lautet heutzutage auch: Ist die Reise instagram-tauglich?

Die quietschenden Drehständer mit Postkarten gibt es zwar noch, doch sie scheinen unwichtig geworden. Handgeschriebene Ansichtskarten mit «schönen Grüssen» aus dem Ferien sind im 21. Jahrhundert passé.

Stattdessen werden dank Smartphone Grüsse und Fotos in Echtzeit an die Liebsten geschickt. Freunde werden in sozialen Netzwerken mit Schnappschüssen und Infos versorgt – und gern auch mal neidisch gemacht. Motto: «Und ihr so?» Dazu ein Emoji.

Hinter mancher Social-Media-Inszenierung steckt viel Arbeit. Ferien ist heute oft Freizeitstress. Wer zu Touri-Hotspots kommt – zum Beispiel nach Paris, New York oder zum Schloss Neuschwanstein - der sieht die Leute vor weltbekannten Bauwerken posieren. Selfiesticks werden gezückt, Leute spannen Freunde oder Passanten ein.

Alles nur, um den flüchtigen Moment mit einem perfekten Motiv festzuhalten und dann – bewusst oder unbewusst – anzugeben: «Schau, wo ich war», «YOLO» (you only live once/Du lebst nur einmal). Seit dem Jahr 2000 hat der Tourismus enorm an Beschleunigung gewonnen.

«Der Tourist zerstört, was er sucht ... »

Früher war das Reisen mit Überraschungen verbunden – heute scheint fast alles dafür getan zu werden, Aha-Effekte zu vermeiden. Das Internet ist Segen und Fluch zugleich. Nie zuvor schien Hans Magnus Enzensbergers Satz «Der Tourist zerstört, was er sucht, indem er es findet» so wahr wie heute.

Mit Google Street View kann man vor Antritt der Reise durch Strassen schlendern. Bei Portalen wie TripAdvisor werden vorher Restaurants gesucht, Bilder und Bewertungen der Tellergerichte gecheckt. Dem Zufall keine Chance. Statt Stadtplänen wie früher hilft heute das Handy auch vor Ort beim Navigieren.

Dem Zufall keine Chance: Statt Stadtplänen wie früher hilft heute das Handy auch vor Ort beim Navigieren.
Dem Zufall keine Chance: Statt Stadtplänen wie früher hilft heute das Handy auch vor Ort beim Navigieren.
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Betonburgen und Hotels sind nicht mehr das Nonplusultra als Unterkunft. Couchsurfing liegt im Trend. Mit Airbnb aus dem kalifornischen Silicon Valley hat sich auch die Idee verbreitet, ein Zuhause an anderen Orten anzumieten.

Traumorte wie das überrannte Venedig, die Inka-Stadt Machu Picchu oder auch das boomende Berlin, das früher für billigen Wohnraum bekannt war, ächzen unter ihrer Beliebtheit.

Symbol der Beiläufigkeit: Rollkoffer

Symbol für die Beiläufigkeit, mit der heute gereist wird, ist auch der Rollkoffer, der über den Asphalt rattert. Früher war das Gepäck Ballast. Und die überladene Familie am Flughafen (oder an der Autobahnraststätte) zeigte die Ausnahmesituation des Reisens. Heute scheint die Mitnahme des Nötigsten ein müheloser Vorgang.

Stichwort Easyjetset: «Fliegen zum Taxi-Preis» hiess mal der Slogan eines Billigfliegers. Wenn nicht sogar die Welt, so ist doch zumindest Europa zum Dorf geworden – reisetechnisch und in weiten Teilen auch mit der Einheitswährung Euro seit 2002.

Airlines wie Ryanair, Wizz Air, Eurowings oder Easyjet lassen die Leute für recht wenig Geld für ein Wochenende nach Barcelona, London, Lissabon, Mallorca oder Rom jetten. Was das für die Umwelt bedeutet, verdrängen viele. Das ist auch beim Kreuzfahrt-Boom der Fall.

Über die dreckige Seite des Reisens denkt keiner gerne nach. Der angeblich sanfte Tourismus als Alternative ist meist auch nur Selbstbetrug - und ein gutes Geschäft mit dem Gewissen von Besserverdienenden.

Anschläge beeinflussen das Lebensgefühl

Angst erzeugt in diesen Jahren bei vielen der Terror. Das 21. Jahrhundert begann mit einem Schock. Der 11. September 2001 mit den Anschlägen von New York befeuerte die Furcht vor dem Fliegen.

Die Reihe der Schreckensereignisse setzte sich fort, 2002 etwa mit dem Anschlag auf die Synagoge der tunesischen Insel Djerba mit 21 Toten, darunter 14 Deutsche. Im tunesischen Badeort Sousse tötete 2015 ein Islamist am Strand Dutzende Urlauber. Ein Ferien-Alptraum.

Auch Anschläge wie die von Madrid, London, Marrakesch, Paris, Berlin, Istanbul und Nizza beeinflussten das Lebensgefühl, doch die Reiselust stoppen konnte keines dieser Ereignisse, höchstens Touristenströme umlenken.

80 Prozent der Schweizer bleiben in der Schweiz

Die Heimat ist in den vergangenen Jahren wieder beliebter geworden. Davon zeugt die Tourismusanalyse des Forschungsinstituts gfs-Zürich: Gut 80 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer verbringen ihre Sommerferien im Inland.

19 Prozent der Schweizer verbringen sie am liebsten im Sonnenkanton Tessin, 16 Prozent in den Bündner Bergen und 12 Prozent im Wallis.  Während sich die Romands vorwiegend im Wallis (27 Prozent) sowie im Kanton Waadt (10 Prozent) aufhalten, bevorzugen Deutschschweizer eher Graubünden und Bern als beliebteste Ferienkantone.

Und noch was: Wandern gilt als Megatrend, laut einer Analyse der deutschen Stiftung für Zukunftsfragen. Und Wanderwege sind ja in der Schweiz reichlich vorhanden.

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