Dilemma Klimaschutz und Reisen – wie kann das zusammenpassen?

dpa/mit

12.3.2019

Auf Fernreisen kommen Reisende um das Flugzeug nicht herum. Experten raten: dann wenigstens länger vor Ort bleiben.
Auf Fernreisen kommen Reisende um das Flugzeug nicht herum. Experten raten: dann wenigstens länger vor Ort bleiben.
Source: Daniel Reinhardt

Reisen ist grossartig, und das Flugzeug bringt uns an die schönsten Orte der Welt. Das aber ist extrem schädlich für das Klima – ein Dilemma, das für Touristen kaum zu lösen scheint. Experten fordern politische Massnahmen, doch auch der Einzelne kann etwas tun.

Die progressiven Schweden haben sich das Wort «Flygskam» ausgedacht. Flugscham ist die Scham davor zu fliegen. Denn der Luftverkehr, der Reisende an die faszinierendsten Orte der Welt bringt, schadet mit seinen Emissionen dem Klima auf der Erde.

Ein Dilemma, dem sich auch die Reisemesse ITB in Berlin widmet: Wie passen Reisen und der Schutz des Planeten zusammen? Und was kann der einzelne Tourist tun, um nachhaltiger zu reisen?  

Massiver CO2-Ausstoss bei Flugreisen

Die globale Erwärmung soll in diesem Jahrhundert maximal 1,5 Grad betragen – nur dann seien die Folgen des Klimawandels noch halbwegs beherrschbar, warnt der Weltklimarat IPCC. Dafür sind jedoch massive Anstrengungen nötig, der CO2-Ausstoss pro Kopf müsste drastisch sinken. Flugreisen verursachen besonders viele Emissionen. Ein «Weiter wie bisher» führe in den Abgrund, stellt die Reisemesse in Berlin fest und fragt: Wie lange können wir noch so reisen wie bisher? 

«Die Menschen sind umweltbewusst, trotzdem verzichtet kaum jemand auf das Fliegen», erklärt Michael Kopatz vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie. «Wenn alle um mich herum in die Ferne fliegen, will ich das auch.» Das Klimaproblem bekomme man moralisch nicht in den Griff: «Niemand verändert sein Verhalten freiwillig – besonders, wenn man für 29 Euro nach Mallorca fliegen kann.»

Fliegen teurer machen

Kopatz plädiert dafür, die richtigen Rahmenbedingungen zu sechaffen. Der Forscher fordert zum Beispiel, dass Flughäfen nicht weiter ausgebaut und Starts und Landungen begrenzt werden. Seine Maxime: Verhältnisse ändern Verhalten. «Ich will den Leuten das Reisen nicht madig machen, aber wir müssen einen Rahmen setzen.»

Der Luftverkehr wird jedoch in vielen Staaten subventioniert, eine Kerosinsteuer gibt es in der Schweiz nicht. Mehr Klimaschutz könnte das Fliegen teurer machen. Doch auch eine Flugticketabgabe, wie sie inzwischen viele unserer Nachbarländer kennen, scheiterte im vergangenen Dezember im Nationalrat. Bei dieser Abgabe würde für jedes gebuchte Flugticket eine Abgabe fällig – die Höhhe richtet sich nach der zurückgelegten Flugstrecke. 

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Den Flugverkehr zu beschränken oder das Fliegen zu verteuern, ist allerdings eine unbequeme Forderung. Wäre es nicht besser, wenn alle weniger fliegen? «Ein klares Jein», sagt der Leiter der ITB, David Ruetz. Denn das Reisen in ferne Länder hat ja auch viele positive Effekte. Für den Reisenden, der andere Kulturen kennenlernt und seinen Horizont erweitert. Und für die Menschen vor Ort, weil Tourismus Investitionen und Devisen ins Land bringt.

Wie können wir nachhaltiger reisen?

Trotzdem sind viele Klimaschützer der Meinung, dass der Planet ohne echten Verzicht nicht zu retten ist. «Flugreisen sind die klimaschädlichste Art sich fortzubewegen», urteilt Laura Jäger von der Arbeitsstelle Tourism Watch bei Brot für die Welt. «Wenn das Taxi zum Flughafen mehr kostet als das Flugticket, ist das bedenklich.»

Zwar fordert auch Jäger politische Massnahmen wie die Besteuerung von Kerosin. Doch das ist nur die eine Seite der Medaille. 

Für Menschen, die nachhaltiger reisen wollen, hat Jäger mehrere Empfehlungen.

  • Reiseziele mit kürzerer Anreise wählen – also eher Italien als Indonesien
  • Ein klimaschonendes Verkehrsmittel wie den Zug nutzen
  • Auf Flugreisen generell möglichst verzichten
  • Wenn man fliegt, dann seltener – und dafür länger vor Ort bleiben
  • Für die Emissionen eine Kompensation leisten

So funktioniert das Kompensieren eines Fluges: Reisende zahlen Initiativen wie Myclimate einen Ausgleichsbetrag, der dann in Klimaschutzprojekte investiert wird. Dadurch sollen das CO2 und andere klimaschädliche Faktoren des Fliegens an anderen Orten wieder eingespart werden.

«Es geht auch darum, wieder langsamer unterwegs zu sein»

Jäger ist überzeugt, dass der Verzicht auf das Flugzeug dem Einzelnen ein besseres Reiseerlebnis bescheren kann: «Es geht auch darum, wieder langsamer unterwegs zu sein, den Weg als Ziel zu erschliessen, das Überwinden von Distanzen und die Strecke zum Erlebnis zu machen anstatt schneller, weiter und kürzer zu reisen. Wer Reiseziele im Eilverfahren abklappert, verpasst viel. Wer sich vor Ort Zeit nimmt, wird mit neuen Eindrücken und Erinnerungen belohnt.»

Auf das Fliegen verzichten?

Die Realität des Massentourismus sieht freilich meist anders aus.Nur ein Bruchteil aller Flugreisen wird überhaupt kompensiert. Schweizer Flugpassagiere kompensieren nur gerade 1 Prozent ihrer CO2-Emissionen. Das zeigen Recherchen von «10vor10».

Reisen ist auch ein Lifestyle-Faktor. «Wir sind permanent von Bildern umgeben, die Menschen teilen Fotos auf Social Media», erklärt Jäger. «Das steigert den Wunsch und den Druck, selbst viel unterwegs zu sein.» Verzicht wirkt da schnell uncool – und passt auch nicht zu dem vorhergesagten starken weiteren Wachstum der Reisebranche. Zum Start der ITB forderte kein wichtiger Vertreter der Tourismuswirtschaft, dass zugunsten des Klimaschutzes weniger geflogen werden müsse. «Man weicht dem Thema aus», so sieht es Klimaforscher Kopatz. Und viele kleine Massnahmen zum Klimaschutz seien lediglich «Öko-Lametta».

Zumindest die ITB ist also kein Ort für «Flygskam».

Winterferien - aber nachhaltig
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