Mexiko Fake-Gerüchte über Kindesentführer: Mob verbrennt zwei Männer

tsch

12.11.2018

Selbstjustiz ist in Mexiko keine Seltenheit: Das Archivbild aus San Juan Ixtayopan zeigt, wie im November 2004 aufgebrachte Menschen zwei Polizisten erschlagen und verbrannt haben, denen Kindesmissbrauch vorgeworfen wurde.
Selbstjustiz ist in Mexiko keine Seltenheit: Das Archivbild aus San Juan Ixtayopan zeigt, wie im November 2004 aufgebrachte Menschen zwei Polizisten erschlagen und verbrannt haben, denen Kindesmissbrauch vorgeworfen wurde.
Keystone

Mord nach Fake-WhatsApp: Falsche Gerüchte über Kindesentführer sorgten in einer mexikanischen Stadt dafür, dass ein Mob zwei Männer verbrannte.

Eine kleine friedliche Stadt inmitten Mexikos wurde von unfassbar grausamen Morden erschüttert. Ein aufgebrachter Mob lynchte zwei Männer, setzte sie in Brand. Beschuldigt wurden die zwei Opfer der Kindesentführung. Ein Gerücht, dass sich über WhatsApp verbreitet hatte und als falsch erwies.

An einem Tag Ende August, kurz nach Mittag, bemerkte Maura Cordero, die Besitzerin eines Kunsthandwerksgeschäfts in der kleinen Stadt Acatlán im zentralmexikanischen Bundesstaat Puebla, eine ungewöhnliche Anzahl von Menschen vor der städtischen Polizeistation.

Ein Polizeiauto fuhr an ihrem Laden vorbei und brachte zwei Männer in das kleine Gefängnis. Das Fahrzeug wurde von weiteren Leuten verfolgt, die Menge schrie, dass die die beiden Männer Kindesentführer seien. Die Polizei versuchte aufzuklären, dass es sich bei den Männern nicht um Kindesentführer, sondern um geringfügige Straftäter handelte. 

Doch der Mob vor der Polizeistation hatte sich auf eine andere Version der Ereignisse eingeschossen. Eine Geschichte, dies sich von unbekannter Quelle rasend schnell über den Messenger WhatsApp verbreitete.

«Bitte seien Sie wachsam, das Land wurde von Kindesentführern heimgesucht», hiess es laut BBC in der Nachricht, die von Telefon zu Telefon weitergeschickt wurde. «Es scheint, dass diese Kriminellen in den Organhandel verwickelt sind», lautete die Botschaft weiter. «In den letzten Tagen sind Kinder im Alter von vier, acht und 14 Jahren verschwunden. Einige dieser Kinder wurden tot aufgefunden. Es gibt Anzeichen dafür, dass ihre Organe entfernt wurden. Ihre Bauchmuskeln waren aufgeschnitten.»

Brutal geschlagen und angezündet

Der Mob machte die späteren Opfer Ricardo und Alberto, die in der Nähe einer Grundschule in einer nahegelegenen Gemeinde namens San Vicente Boqueron gesehen wurden, zu Kindesentführern. Beschworen von der kollektiven Angst verbreiteten sich die Gerüchte darüber ebenso schnell wie die Nachricht von ihrer Verhaftung.

Dann ging alles schnell: Einzelne Aufpeitscher verbreiteten die Informationen auch auf Facebook und riefen die Menge dazu auf, zur Polizeistation zu kommen. Vor Ort wurde der Mob mit der Information angeheizt, dass die beiden freigelassen werden sollten. Andere sammelten Spenden für Benzin, um die vermeintlichen Täter in Brand stecken zu können.

In ihrem Laden beobachtete Maura Cordero die Szenerie mit Schrecken. Sie hörte Schreie, das die Menge die Männer in Brand stecken würde. Lieber Gott, dachte sie, das ist nicht möglich. Kurz darauf verschmolz die Menge zu einem Mob mit einem Ziel. Das schmale Tor am Eingang zur Polizeistation wurde geöffnet und Ricardo und Alberto wurden herausgezogen.

Die Männer wurden auf den Boden gedrückt und brutal geschlagen. Dann wurde das Benzin, das vorhin gebracht wurde, über sie gegossen. Die meisten in der Menge holten ihre Smartphones heraus, um zu filmen.

Augenzeugen glauben, dass Ricardo bereits durch die Schläge gestorben war, doch sein Onkel Alberto war noch am Leben, als der Mob die beiden Männer in Brand setzte. Videomaterial zeigt, wie seine Gliedmassen sich langsam in den Flammen bewegten.

Keine Einzelfälle

Die Leichen blieben zwei Stunden nach ihrer Verbrennung liegen. «Es war eines der schrecklichsten Ereignisse, die je in Acatlán passiert sind», sagte Carlos Fuentes, ein Taxifahrer, der in der Nähe der Polizeiwache arbeitete, im Gespräch mit der BBC. «Die Rauchsäulen waren von jedem Punkt der Stadt aus zu sehen.»

«Niemand will darüber reden», sagte Fuentes der BBC.  «Und die Leute, die direkt beteiligt waren, sind schon weg.» Nach Angaben der Landesbehörden sind inzwischen fünf Personen der Anstiftung zum Verbrechen und vier weitere des Mordes angeklagt.

Die Morde an Ricardo und Alberto in der Kleinstadt in Mexiko waren keine Einzelfälle. Gerüchte und gefälschte Nachrichten nehmen auf Facebook und WhatsApp zu, haben beispielsweise in Indien, Myanmar und Sri Lanka zu tödlicher Gewalt geführt.

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