Interview «Trumps Friedensplan hat nichts mit der Realität im Nahen Osten zu tun»

Von Gil Bieler

28.1.2020

Turbulente Zeiten im Nahen Osten: Im Iran, Irak und Libanon fordern Unzufriedene die alten Regimes heraus, heute Abend pirscht Donald Trump mit einem Friedensplan vor. Publizist Erich Gysling sorgt für Klarheit.

Herr Gysling, heute Dienstag will US-Präsident Donald Trump seinen Friedensplan für den Nahen Osten vorlegen und den Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern endlich beilegen. Welche Erfolgschancen geben Sie ihm?

Null. Das muss man klar so benennen. Trump wird wohl erstens Jerusalem als die ewige Hauptstadt Israels benennen, die Palästinenser wären damit also ganz aussen vor. Und zweitens wird er die israelischen Siedlungen in den Palästinensergebieten als legal erklären, die dürften dann annektiert werden. Den Palästinensern bleibt damit sehr, sehr wenig, und sie werden diesen Deal auch nicht akzeptieren.

Weshalb glaubt Trump denn, dass die Palästinenser seinem Deal zustimmen sollten?

Das erschliesst sich mir auch nicht. Zumal Trumps Schwiegersohn Jared Kushner, der ihn als Nahostexperte berät, ja bereits einen Friedensplan in Bezug auf die wirtschaftliche Entwicklung der Region vorgelegt hat. Nur hiess es damals, die Hauptlast der vorgesehenen Investitionen sollten nicht die USA, sondern Saudi-Arabien und andere Akteure tragen. Das ist nichts anderes als Augenwischerei und hat mit der Realität im Nahen Osten nichts zu tun.

Beim Konflikt zwischen den USA und dem Iran sieht es danach aus, als hätte keine der beiden Seiten ein Interesse an einer weiteren Eskalation. 

Die Iraner haben immerhin Interesse an einer Deeskalation. Und sie haben einen klaren Standpunkt: Bevor sie in irgendeine Art von offiziellen Gesprächen eintreten, müssten die Amerikaner die Wirtschaftssanktionen gegen den Iran aufheben. Das ist auch verständlich: Die iranische Wirtschaft ist stranguliert, da die Amerikaner ihre Sanktionen ja der ganzen Welt aufzwingen wollen – und Europa zwingen sie auch auf perfekte Art und Weise, mitzuziehen.

Die Iraner können kein Erdöl mehr exportieren, bekommen keine Medikamente mehr und so weiter, weil keine Bank bereit ist, zu riskieren, das US-Geschäft zu verlieren. Die amerikanische Administration dagegen ist nicht bereit, auch nur einen Teil der Sanktionen zu lockern – darum ist der Konflikt blockiert.

Der Publizist und Journalist Erich Gylsing (u. a. SRF-«Tagesschau») ist Experte in Nahost-Politik.
Der Publizist und Journalist Erich Gylsing (u. a. SRF-«Tagesschau») ist Experte in Nahost-Politik.
Bild: Keystone

Aus Sicht der US-Regierung läuft es ja auch wunschgemäss: Die Iraner gehen seit Oktober gegen das Regime auf die Strasse – wohl auch wegen der Folgen der Sanktionen.

Zum Teil schon, ja. Zu Beginn, im Oktober und November, gingen die Leute wegen einer Erhöhung der Benzinpreise auf die Strasse. Nur hat dann dieser Unmut umgeschlagen und sich auf die Regierung im Allgemeinen ausgedehnt. Doch das Regime hat diese Protestwelle mit harter Hand unterdrückt.

Und inmitten dieser Protestwelle unterläuft dem Regime auch noch der schwere Fehler mit dem Abschuss einer ukrainischen Boeing mit 176 Passagieren, die in Teheran gestartet war. Wie konnte der Revolutionsgarde dieser Fehler bloss passieren?

Das weiss man im Detail immer noch nicht. Aber es ist schon skandalös, dass ein einzelner Offizier innert Sekunden entschieden hat, die Maschine mit Raketen abzuschiessen ­– dies in unmittelbarer Nähe des Teheraner Flughafens und erst noch zu einer Tageszeit, zu der dieser stark frequentiert ist. Ausserdem fragt sich, wieso der Flughafen nicht ohnehin gesperrt war, nachdem die Iraner davor selber einen US-Stützpunkt im Irak angegriffen hatten. All das ist schlicht unverständlich und treibt die Leute auch auf die Strasse.

Die Gegner des Mullah-Regimes wittern einmal mehr dessen Sturz. Zu früh?

Das ist sogar weit verfrüht! Solche Proteste kommen eruptionsweise immer wieder auf, und es wird sicher auch weitere geben. Aber wir sind noch weit davon entfernt, dass eine Massenbewegung entsteht, die das ganze Regime stürzen könnte.



Dennoch reagiert das Regime wie gewohnt mit brutaler Härte. Wäre denn jedes Zugeständnis ein Zeichen der Schwäche?

Das Regime ist zwar schon stur, aber so stur eben auch wieder nicht. Wenn die Machthabenden sehen, dass gegen eine Massnahme breiter Volksprotest zu erwarten ist, dann können sie durchaus einen Schritt zurück machen. So hat das Regime etwa nach dem Flugzeugabschuss von einem schweren Fehler gesprochen und erklärt, die Proteste dagegen seien legitim und Teilnehmer würden nicht verfolgt. Es ist also nicht so, dass die Staatsmacht komplett blind wäre gegenüber dem, was das Volk will, sondern sie versucht, dort auch einen Zwischenweg zu finden.

Zusammenfassend kann man sagen: Das Regime ist sicher nicht beliebt, aber es hat eingesehen, dass es das Volk nicht auswechseln kann – und umgekehrt hat die Mehrheit im Volk eingesehen, dass sie das Regime nicht auswechseln kann.

US-Präsident Trump twittert seit Neuestem auch auf Farsi. Wie kommt das bei den Iranern an?

Das dürfte den Iranern ziemlich egal sein. Sie bekommen ohnehin alles mit, was es zu wissen gibt – Tweets auf Farsi braucht es da bestimmt nicht. 

Die Schweiz vertritt zwischen Washington und Teheran die gegenseitigen Interessen. Sollte sie auch versuchen, in dem Konflikt aktiv zu vermitteln, und etwa eine Konferenz einberufen?

Nein, das sollte die Schweiz nicht tun, denn das ist nicht ihre Aufgabe. Sie ist aber sehr gut darin, einzelne Botschaften von einer Seite auf die andere zu übermitteln, schnell und effizient. Sowohl die Amerikaner wie auch die Iraner anerkennen das. Aber eine aktive Rolle als Vermittlerin kann die Schweiz nicht einnehmen.

Weiten wir zum Schluss den Fokus noch aus: Nicht nur im Iran, auch im Irak und im Libanon gab es zuletzt Massenproteste gegen die Landesregierungen. Erleben wir eine zweite Welle des ‹Arabischen Frühlings›? 

Die Bewegungen sind unabhängig voneinander entstanden, aber es gibt zum Beispiel im Irak und im Libanon durchaus Gemeinsamkeiten: Die Leute wehren sich gegen ein altes Regime, das die Pfründe unter Gleichgesinnten verteilt. In beiden Ländern sind die Regimes entlang der konfessionellen Linien gestaltet. Wenn zum Beispiel irakische Schiiten Posten zu besetzen haben, bevorzugen sie irakische Schiiten. Im Libanon ist das sehr ähnlich.

Das heisst: Wer schon einen Posten innehat, verteilt andere Posten an seine Verwandten, Freunde, Parteigänger oder Glaubensbrüder. Der Protest richtet sich gegen diese Art von System. Die Frage ist, ob man das ändern kann.



Und, kann man?

Vorläufig sieht es zumindest nicht so aus. Denn trotz dieser Strassenproteste bleibt sich, zumindest im Irak und im Libanon, bisher ziemlich alles gleich. Von daher gibt es schon Parallelen zum ‹Arabischen Frühling› von 2011, der ist ja damals im Sande verlaufen oder hat sogar in einer Katastrophe geendet. Und ich sehe keine Anzeichen, dass es dieses Mal besser herauskommen könnte. Auch wenn andere Beobachter sagen, dass vor allem die junge Generation in Bagdad diesmal wirklich anders und geschlossen vorgehe und einen Plan habe, bleibe ich bei meiner Schwarzmalerei. Auch wenn ich da gern unrecht hätte.

Im Irak wurde zudem der Abzug aller US-Truppen beschlossen …

… vom Parlament, ja, und der Regierungschef hat das auch gesagt. Aber die USA beachten das ja einfach nicht!

Genau. Es passiert ja bislang noch nichts.

Es ist eine eigenartige Situation. Die Amerikaner wollen alles beim Alten belassen, weil es ihnen egal ist, was die Bevölkerung will. Bis sie dann wieder nur als Besatzer wahrgenommen werden und nicht als Partner im Kampf gegen den gemeinsamen Feind, den sogenannten Islamischen Staat (IS).

Aber einmal angenommen, die Amerikaner würden ihre Truppen tatsächlich abziehen: Was würde das für den Irak bedeuten?

Das ist schwierig zu sagen. Die Amerikaner haben massgeblich dazu beigetragen, dass die Terrororganisation IS zurückgedrängt werden konnte. Doch auch die vom Iran unterstützten Milizen waren daran beteiligt. Würden die Amerikaner abziehen – könnten die iranischen Milizen dann die Lücke füllen? Oder stossen sie schon an ihre Grenzen? Das ist schwer vorauszusehen.



Vor allem die jungen Iraker wehren sich gegen den Einfluss sowohl der Amerikaner als auch der Iraner – und trotzdem droht nun genau ihr Land, in den Konflikt dieser beiden Antipoden hineingezogen zu werden, oder?

Die Gefahr ist vorhanden, dass der Irak zum Schauplatz eines Stellvertreterkrieges zwischen dem Iran und den USA wird. Aber man muss wissen, all diese Milizen haben sich ja nicht von sich aus dort eingenistet, sondern die irakische Regierung heisst sie willkommen und hat sie in ihre eigene Armee integriert.

Das Absurde ist ja: Die Amerikaner sind seit 2003 im Irak präsent und haben insgesamt die gigantische Summe von 2'000 Milliarden Dollar investiert. Weil aber wahnsinnig viel davon – genau wie vom Ölreichtum – in der Korruption versickert ist, haben wir 17 Jahre später die Situation, dass die irakische Regierung nicht imstande war, eine eigene Armee aufzustellen, um die Sicherheit der eigenen Bürger zu gewährleisten.

Auch scheint es nicht gelungen, genügend von jenem Geld den Bürgern zugutekommen zu lassen, um die Volksseele zu beruhigen.

Genau. Das ist absolut unverständlich. Eine Tragödie und ein Zeichen dafür, wie immens das Problem der Korruption und der Ineffizienz im Irak ist.

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