«Kick-off» mit Fragezeichen Cassis will den Schleier um die Ukraine-Konferenz etwas lüften

Von Gil Bieler

20.6.2022

Er und Sommaruga kommen nach Lugano – aber wer noch? Bundespräsident Ignazio Cassis am WEF in Davos.
Er und Sommaruga kommen nach Lugano – aber wer noch? Bundespräsident Ignazio Cassis am WEF in Davos.
Bild: Keystone

Nur noch zwei Wochen, dann beginnt in Lugano die internationale Ukraine-Konferenz. Statt Klarheit überwiegen noch die Fragezeichen: Wer kommt, wann und wo wird getagt? Ein Überblick. 

Von Gil Bieler

20.6.2022

Bundespräsident Ignazio Cassis holt die Weltpolitik ins Tessin: Am 4. und 5. Juli wird in Lugano darüber diskutiert, wie die Ukraine dereinst – wenn die Waffen schweigen – wiederaufgebaut werden soll.

Am Montag, knapp zwei Wochen vor Beginn der «Ukraine Recovery», wollen die Tessiner Behörden und das Eidgenössische Aussendepartement (EDA) über den Stand der Vorbereitungen informieren. Klärungsbedarf besteht in der Tat, wie die folgende Übersicht zeigt.

Die Teilnehmer*innen

«Hochrangige Vertreterinnen und Vertreter aus rund 40 Ländern und von 20 internationalen Organisationen» werden in Lugano erwartet, teilte der Bundesrat mit. Auch Bundesrätin Simonetta Sommaruga wird teilnehmen und zwar bei einem Panel für Infrastruktur.

Konkrete Namen von Staats- und Regierungschefs sind noch nicht bestätigt, gemunkelt wird aber über die Teilnahme des deutschen Bundeskanzlers Olaf Scholz, des französischen Präsidenten Emmanuel Macron und des britischen Premierministers Boris Johnson.

Offen ist auch, ob der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj nach Lugano kommt. Wohl eher weniger. Es wäre seine erste Auslandsreise seit Beginn des russischen Angriffskriegs auf sein Land. Denkbar ist, dass er sich erneut von Premierminister Denys Schmyhal vertreten lässt, der auch schon das Weltwirtschaftsforum in Davos besucht hatte. Diese Option brachte zumindest Bundespräsident Ignazio Cassis ins Spiel.

«Die Ukraine ist mit der Schweiz Ko-Organisatorin der Konferenz», ergänzt EDA-Sprecherin Elisa Raggi auf Anfrage. Allein deshalb werde «eine hochrangige Delegation der ukrainischen Regierung» vor Ort präsent sein.

In Lugano mit dabei sein werden der ukrainische Ministerpräsident Denys Schmyhal und Aussenminister Dmytro Kuleba. Auch der ukrainische Transportminister Oleksandr Kubrakov wird dort erwartet.

Ferner wird die Teilnahme von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen erwartet.

Russland dagegen, das ist bereits bekannt, wird wie schon beim WEF nicht dabei sein.

Einladungen gingen auch an 18 internationale Organisationen raus, darunter Nato, Internationaler Währungsfonds IWF, Weltbank und die Organisation für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (OECD). Das zeigt: Es wird im Tessin um viel Geld gehen.

Das Ziel

Die Konferenz in Lugano findet am 4./5. Juli, statt und wird die fünfte internationale Ukraine-Konferenz sein – aufgrund des Krieges aber unter gänzlich anderen Vorzeichen stehen als jene der Vorjahre. Bei den Vorgängeranlässen ab 2017 ging es vor allem darum, Reformbemühungen der Ukraine auf den Prüfstand zu stellen, etwa bei der Vorantreibung der Demokratisierung, Dezentralisierung und Digitalisierung.

Die Konferenz in Lugano dagegen soll als «Kickoff» für den Wiederaufbau der Ukraine dienen, «wenn der Krieg vorbei ist und die Waffen wieder schweigen», sagte Cassis.

Wiederaufbau der Ukraine soll in Lugano angestossen werden

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Was soll an der internationalen Ukraine-Konferenz erreicht werden, die Anfang Juli in Lugano geplant ist? Bundespräsident Ignazio Cassis hat dazu einige Details bekanntgegeben.

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Konkret werde unter anderem diskutiert, welche Prinzipien und Methoden beim Wiederaufbau Anwendung finden, ergänzt die EDA-Sprecherin: «Den Abschluss der Veranstaltung bildet eine ‹Lugano-Erklärung› mit den wichtigsten Ergebnissen der Konferenz.»

Die Kosten für den Wiederaufbau werden genauso enorm sein wie die Zerstörung im Land. Eine fortlaufende Aufrechnung der Kiyiv School of Economics geht Stand 8. Juni von einem Schaden von rund 104 Milliarden Dollar aus, der allein an Gebäuden und Infrastruktur entstanden ist. Mitsamt der wirtschaftlichen Einbussen betrage der Schaden über 500 Milliarden Dollar, sagte Präsident Wolodymyr Selenskyj in einer Videoansprache am WEF.

Selenskyj hofft darauf, dass in Lugano ein innovatives Finanzierungsmodell auf den Weg gebracht werde: Demnach sollen Länder, Städte und sogar Unternehmen eine Art Patenschaft für ganz spezifische Projekte in der Ukraine übernehmen, die sie dann finanzieren.

Wie viel Geld die Schweiz der Ukraine zusagen wird, soll noch vor der Konferenz definiert werden, stellte Cassis weiter in Aussicht.

Die Sicherheit

Wegen der erwarteten namhaften Teilnehmer*innen hat der Bundesrat die Konferenz am 10. Juni als «ausserordentliches Ereignis» eingestuft. Dies erlaubt es, die Sicherheitskosten aufzuteilen – wobei der Bund mit 80 Prozent den Löwenanteil übernimmt. Den Steuerzahlenden sollen dadurch aber keine Mehrkosten entstehen, das Geld solle innerhalb des Eidgenössischen Polizei- und Justizdepartements kompensiert werden. 

Ausserdem bietet der Bundesrat bis zu 1600 Armeeangehörige auf. Sie sollen die Tessiner Kantonspolizei unterstützen, indem sie Tagungsorte beschützen und den Luftraum überwachen. Auch die Luftwaffe wird dafür aufgeboten. Der Luftraum über Lugano darf vor, während und nach der Konferenz nur eingeschränkt genutzt werden. Das gelte maximal vom 1. bis zum 8. Juli, je nach Bedarf.

Die Gesamtleitung der Durchführung liegt aber bei den Tessiner Behörden.

Die Folgen für die Luganesi

Die Konferenz wird im Kongresszentrum von Lugano durchgeführt sowie «an einigen Nebenschauplätzen, die aus Sicherheitsgründen geheim gehalten werden», teilt EDA-Sprecherin Raggi auf Anfrage mit. 

Wie stark das öffentliche Leben in der Tessiner Metropole dadurch eingeschränkt wird, hänge davon ab, welche Teilnehmer*innen wann vor Ort sein würden, sagte Stadtpräsident Michele Foletti zu SRF. Klar sei, dass gewisse Orte gesperrt würden, wie der Stadtpark Parco Ciano unmittelbar neben dem Kongresszentrum. «Ansonsten wird das städtische Leben aber von diesem Treffen nicht tangiert», prognostiziert der Politiker der Rechtspartei Lega die Ticinesi.

Die Wunschlösung von Foletti wäre es, dass Regierungsvertreter*innen erst am Dienstagmorgen anreisen, um dann die ausgearbeiteten Verträge zu unterzeichnen. «Damit wäre auch das Problem der Hotelsuche gelöst, denn wir haben hier Hochsaison.»

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