Bundesrat besorgtDie Schweiz ist nicht mehr sicher, die Welt erst recht nicht
gbi
9.11.2022 - 15:00
Krieg in der Ukraine, Spannungen zwischen West und Ost, Spionage und Attacken auf die Infrastruktur: Die globale Sicherheitslage hat sich massiv verschlechtert, warnt der Bundesrat. Er will die Prävention verstärken.
gbi
09.11.2022, 15:00
09.11.2022, 15:14
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Dass russische und ukrainische Truppen sich in der Ukraine bekämpfen, wirkt sich auch auf die Schweiz aus: «Die europäische Friedensordnung ist erschüttert worden», hält der Bundesrat in einem Communiqué vom Mittwoch fest. Die Spannungen zwischen westlichen Staaten auf der einen und China sowie Russland auf der anderen Seite nähmen zu, was auf allen möglichen Ebenen zu weitreichenden Folgen führe.
Das sicherheitspolitische Umfeld der Schweiz habe sich insgesamt «nachhaltig verschlechtert und bleibt volatil».
Der Bundesrat hat in seiner Sitzung den jährlichen Bericht zur Beurteilung der Bedrohungslage verabschiedet. Zu den wichtigsten Bedrohungen zählt die Landesregierung:
Terrorismus
Die Bedrohung durch Terrorismus in der Schweiz sei nach wie vor erhöht. «Anschläge durch Einzeltäterinnen und -täter oder Kleingruppen mit geringem logistischem und organisatorischem Aufwand stellen weiterhin die wahrscheinlichste Terrorbedrohung dar», heisst es in der Mitteilung. Insbesondere die Propaganda der Terrorgruppe «Islamischer Staat» spiele dabei eine wichtige Rolle.
Auch Rückkehrer*innen aus Dschihadgebieten stellten eine Bedrohung für die Sicherheit der Schweiz dar; diese müsse aber im Einzelfall geprüft werden.
Spionage
Sorgen bereitet dem Bundesrat der «verbotene Nachrichtendienst», sprich: Spionagetätigkeiten. Kriege und Konflikte sowie wachsende Spannungen zwischen Grossmächten und aufstrebenden Regionalmächten führten weltweit zu einer Intensivierung solcher Spionageaktionen – natürlich auch dank des Internets.
«Ausländische Nachrichtendienste gehen bereits heute in der Schweiz gegen Regimekritikerinnen und -kritiker, Oppositionelle und Angehörige ethnischer oder religiöser Minderheiten vor», hält der Bundesrat fest. Sie spionierten diese Personen aus und setzten sie unter Druck, um sie gefügig zu machen.
In den Niederlanden – und mutmasslich auch in anderen europäischen Ländern – wurde bekannt, dass das chinesische Regime dort illegale «Polizeiposten» betreibt. Eine Anfrage von blue News, ob es auch in der Schweiz entsprechende gibt, ist beim Nachrichtendienst des Bundes (NDB) zur Stunde noch hängig.
Besonders das internationale Genf stehe im Fokus von Spionageakten. Mehrere europäische Staaten hätten aufgrund des russischen Angriffskriegs auch russische Nachrichtendienstoffiziere ausgewiesen. Die Schweiz werde versuchen, deren Einreise zu verhindern.
Angriffe auf kritische Infrastruktur
Im virtuellen Raum geht die grösste Bedrohung für kritische Infrastrukturen von kriminellen Gruppierungen aus. Der Bundesrat beobachtet einen starken Anstieg erfolgreicher Angriffe mit Verschlüsselungsschadsoftware in der Schweiz. Dabei gehe es den Täter*innen meist um Geld. Das schliesse andere Motive aber nicht aus: «Gewalttätig-extremistische, terroristische, nachrichtendienstliche oder machtpolitische Motive sind auch möglich.»
Die Corona-Pandemie habe die Digitalisierung vorangetrieben, was aber «häufig auf Kosten der Sicherheit geschah». Damit hätten die Risiken bei der Nutzung digitaler Lösungen zugenommen, auch bei kritischen Infrastrukturen.
Der Krieg in der Ukraine habe aufgezeigt, dass Angriffe auf Infrastruktur nicht nur im Cyberraum erfolgen, sondern auch in der «realen Welt». Potenziell seien durch den Krieg in der Ukraine direkte Auswirkungen auf die Schweiz denkbar, das heftig umkämpfte ukrainische Atomkraftwerk Saporischschja sei hierfür ein Beispiel.
Massenvernichtungswaffen
Zur Weiterverbreitung nuklearer, biologischer oder chemischer Waffen (NBC-Proliferation) heisst es in dem Bericht, dass Massenvernichtungswaffen und deren Trägermittel unter den Grossmächten wieder an Bedeutung gewinnen.
«Ausländische Akteure versuchen weiterhin, in der Schweiz Material zugunsten von Massenvernichtungswaffenprogrammen oder zur Herstellung von Trägersystemen zu beschaffen», schreibt der Bundesrat. Genauere Details dazu werden freilich nicht genannt.
Erwähnt werden in dem Bericht Tätigkeiten der Regierungen von Russland, China und des Irans. Auch das nordkoreanische Regime habe «wohl zwei Waffendesigns entwickelt», so der Bundesrat. Eines basiere auf Plutonium und könnte als «Zünder» einer Wasserstoffbombe auf Interkontinentalraketen zum Einsatz kommen, das andere basiere auf Uran und sei für den Einsatz in der Region konzipiert.
Nordkorea zündet offenbar Interkontinentalrakete
Nordkorea hat am Donnerstag erneut mehrere ballistische Raketen abgefeuert. Militärvertreter Südkoreas und Japans vermuten, dass dabei auch eine Interkontinentalrakete gezündet wurde.
09.11.2022
Extremismus
Im Bereich des gewalttätigen Extremismus gehe in der Schweiz die Bedrohung weiterhin von den links- und rechtsextremen Szenen aus. Das Risiko für Radikalisierung und gewalttätigen Extremismus steige wegen der gesellschaftlichen Fragmentierung und Polarisierung weiter an. Diese gehe auch mit wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen einher.
Von einem «neuen Gewaltpotenzial» spricht der Bundesrat in Bezug auf die radikalen Gegner*innen der Corona-Massnahmen, die sich im Laufe der Pandemie formiert hätten. Dieser «gewalttätige Corona-Extremismus» umfasse Personen, Gruppen oder Organisationen, die Gewalttaten verüben, fördern oder befürworten. Seit der Rückkehr zur normalen Lage gemäss Epidemiengesetz habe sich die Szene zwar beruhigt, bleibe aber aktiv.
Die Lageentwicklung zeigt laut dem Bundesrat, dass die Kompetenzen zur sicherheitspolitischen Früherkennung weiterentwickelt werden müssten, auch müssten die Aufgaben im Verbund verschiedener Bundesstellen noch umfassender und systematischer verfolgt werden.