Bezirksgericht Bülach Mann missbraucht zwei Mädchen sexuell – ins Gefängnis muss er nicht

Von Jennifer Furer, Bülach

15.7.2020

Der Prozess fand am Mittwoch vor dem Bezirksgericht Bülach statt.
Der Prozess fand am Mittwoch vor dem Bezirksgericht Bülach statt.
Keystone

Ein 33-Jähriger hat an zwei minderjährigen Mädchen sexuelle Handlungen vollzogen. Selbst der Staatsanwalt forderte eine vergleichsweise milde Bestrafung. Grund: die verminderte Intelligenz des Mannes.

Laut schnaufend kommt der Beschuldigte in Jeans, hellblauem Poloshirt und mit schwarzem Cap im Warteraum des Bezirksgerichts Bülach an. Er hat sich einige Minuten verspätet. Sein Verteidiger, der Staatsanwalt und die Richter warten bereits auf ihn. «Entschuldigung, ich konnte heute kaum schlafen», sagt der Mann nervös, bevor er den Gerichtssaal betritt.

Die Aufregung ist dem Beschuldigten auch anzumerken, als er zur Befragung nach vorne gebeten wird und auf einem Stuhl vor den drei Richtern Platz nimmt. Unsicher beantwortet er die Fragen des vorsitzenden Richters. Immer wieder blickt er zu seinem Verteidiger. Es scheint, als wolle er sicherstellen, alles richtigzumachen.

Alles richtig machen wollte der Beschuldigte wohl auch, nachdem er seine Taten begangen hatte, als ihm bewusst wurde, was er getan hatte und dass es nicht richtig gewesen war. Der 33-Jährige sitzt an diesem Mittwoch nur vor Gericht, weil er sich selbst angezeigt hat. Die Opfer, zwei Mädchen im Alter zwischen sechs und acht Jahren, sind den Justizbehörden bis heute unbekannt.

Mädchen auf Strasse angesprochen

Eine Tat soll der Mann, der von einer IV-Rente lebt, vor knapp zwei Jahren begangen haben. Laut Anklage hat er das Mädchen auf der Strasse angesprochen, sie in eine Unterführung geführt und dann sexuelle Handlungen an ihr vollzogen. Er habe dem Mädchen das Küssen beibringen wollen, heisst es in der Anklage.

Er habe sie geküsst und dabei mit beiden Händen am Gesäss berührt, sagte der Beschuldigte aus. Dann habe er das Mädchen in die Luft gehoben, aber wieder auf den Boden getan, als dieses sagte, dass es dies nicht möchte. Dabei habe der Beschuldigte ihr absichtlich mit seiner Hand über der Hose an den Vaginalbereich gegriffen.

Die zweite Tat ereignete sich gut ein Jahr später. Gemäss Anklageschrift, die sich auf die Aussagen des Beschuldigten stützt, stand er bei einer Ludothek, als ein etwa sechsjähriges Mädchen auf dem Trottoir vorbeilief. Er habe es vor einer Garageneinfahrt angesprochen und gebeten, mit ihm mitzukommen.

Vorbestraft und Kontaktverbot

Er habe das Mädchen gebeten, die Augen zu schliessen und den Mund zu öffnen. Als das Mädchen seine Augen schloss, küsste der Beschuldigte es und drang mit der Zunge in dessen Mund ein. Dabei habe er mit beiden Händen den Po des Mädchens angefasst, heisst es in der Anklage.

Die zweite Tat ereignete sich, obwohl der Beschuldigte bereits nach der ersten Tat ein Kontaktverbot zu Kindern auferlegt erhalten hatte. Zudem: Bereits im Jahr 2015 wurde der Mann wegen eines ähnlichen Vorfalls verurteilt.

Als der vorsitzende Richter den Beschuldigten am Mittwoch zu seiner Person und seinen Taten befragt, zeigt sich der 33-Jährige gesprächig.

«Die sexuellen Handlungen wollten Sie eigentlich mit ihrer Frau vollziehen. Schlussendlich haben Sie diese trotzdem an Kindern durchgeführt. Wieso mussten diese herhalten?»

«Es ist psychologisch gesehen so: Meine Frau hat mich wie ein Kind behandelt. Ich musste immer nach den Entscheidungen meiner Frau handeln. Sie hat mir immer gesagt, was ich zu tun habe, als wäre ich selbst ein kleines Kind. Ich fühlte mich nicht als Erwachsener ernst genommen.»

«Haben Sie diese Einsicht oder hat das Ihr Therapeut gesagt?»

«Mein Therapeut.»

Sohn und Ehefrau

Er sehe sein Fehlverhalten aber selbst ein. Er habe mentale Probleme, jetzt sei es aber schon viel besser geworden, sagt der Beschuldigte weiter. Als der vorsitzende Richter den Beschuldigten auf dessen Sohn anspricht, sagt er, dass er kein sexuelles Interesse an ihm habe.

«Wieso haben Sie nicht die Dienstleistungen einer Prostituierten beansprucht, um Ihr sexuelles Verlangen zu stillen?»

«Das hätte ich tun können, da haben Sie recht. Aber das hätte meine Frau sehr verletzt. Sie meint sonst schon, dass ich sie nicht liebe.»

«Und das mit den Kindern verletzt sie nicht?»

«Doch, noch mehr. Sie hat nach den Vorfällen beinahe die Scheidung eingereicht.»

«Was machen Sie denn in Zukunft, wenn Ihre Frau keinen Sex haben möchte?»

«Wir haben es jetzt besser als je zuvor, wir gehen mehr aufeinander zu. Und wenn sie nicht da ist oder nicht möchte, schaue ich Pornos oder nehme mir selbst Zeit für mich.»

Pädophilie, Epilepsie und Intelligenzverminderung

«Wir dürfen die Hoffnung in ihn nicht aufgeben», sagt der Staatsanwaltschaft in seinem Plädoyer. Er fordert unter anderem eine Verurteilung zu einer bedingten Freiheitsstrafe von sieben Monaten, die zugunsten einer ambulanten Therapie aufgeschoben werden soll.

Der Beschuldigte leidet laut einem Gutachten an Pädophilie, Epilepsie und einer Intelligenzverminderung. Bei der Geburt hat er zu wenig Sauerstoff bekommen, was zu hirnorganischen Schäden geführt hat.

«Wir dürfen das Leben eines Menschen mit einer Intelligenzverminderung nicht einfach so zerstören», sagt der Staatsanwalt. «Wir müssen alle uns zur Verfügung stehenden Massnahmen ergreifen, um ihn zu stabilisieren.»

«Im Gefängnis würde er untergehen»

Auch der Verteidiger des Anwaltes bittet das Gericht um eine «verhältnismässige und geeignete Lösung» für seinen Mandanten. Er fordert unter anderem eine viermonatige Freiheitsstrafe, die zugunsten einer ambulanten Therapie aufgeschoben werden soll.

«Im Gefängnis würde mein Mandant untergehen», sagt der Verteidiger in seinem Plädoyer. Dies wäre fatal für seine Zukunft. «Mein Mandant ist auf dem Weg der Besserung. Das darf man nicht aufs Spiel setzen.»

Seit Januar dieses Jahres habe der Beschuldigte eine Therapiemöglichkeit gefunden, die seinen Fähigkeiten entspreche. Da der 33-Jährige bis anhin keine Therapie gehabt habe, müsse man ihm die Chance geben, sich zu verbessern.

Auch auf einen Widerruf der Vorstrafe sei zu verzichten, so der Verteidiger. «Er und seine Familie können sich das nicht leisten. Es würde ihn aus dem Setting, das erfolgreich anschlägt, rausreissen.»

«Nutzen Sie die Chance»

Gleicher Meinung sind die drei Richter. Sie verurteilen den Mann zu einer bedingten Freiheitsstrafe von acht Monaten, die zugunsten einer ambulanten Therapie aufgeschoben wird. Zudem muss er eine Busse von 100 Franken und einen Teil der Verfahrenskosten zahlen. Die bedingte Vorstrafe wird nicht widerrufen, hingegen wird ein DNA-Profil erstellt.

Ausserdem spricht das Gericht ein Kontakt- und Rayonverbot aus, damit sich der Beschuldigte keinen Kindern mehr nähern oder sie ansprechen kann. Seinen Sohn darf er weiterhin zur Schule bringen – aber nur auf direktem Weg.

«Tiefer können wir auch nicht gehen», sagt der vorsitzende Richter. Denn das würde die Bevölkerung nicht verstehen. «Wir sind ihnen aber sehr entgegengekommen.» Das Gericht sei überzeugt, dass der 33-Jährige sich auf dem Weg der Besserung und allenfalls auch Einsicht befinde.

«Sie haben jetzt die Chance, da raus zu kommen. Nutzen Sie diese», sagt der Richter dem Beschuldigten. Mit einem Lächeln verlässt dieser den Gerichtssaal. Dabei meint auch der Staatsanwalt beim Abschied: «Ich will Sie nicht nochmals in meinem Büro sehen müssen.»

Zurück zur Startseite