Drohende Rezession Wie schlimm trifft die Krise die Schweizer Wirtschaft?

Von Gil Bieler

16.4.2020

Behördlich geschlossen: Der Lockdown hinterlässt unübersehbare Spuren in der Schweizer Wirtschaft.
Behördlich geschlossen: Der Lockdown hinterlässt unübersehbare Spuren in der Schweizer Wirtschaft.
Bild: Keystone

Die Kurzarbeitszahlen «explodieren», ganze Branchen stehen still – die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise sind massiv. Dennoch will Konjunkturforscher Yngve Abrahamsen nicht vom Schlimmsten ausgehen.

Die Warnung des Internationalen Währungsfonds IWF ist dramatisch: Wegen der Corona-Krise droht der Welt die schlimmste Rezession seit rund hundert Jahren. Doch was da genau auf uns zukommt, lässt sich selbst für Experten «nur mit einer ziemlich grossen Schwankungsbreite» erahnen, sagt Yngve Abrahamsen. Er arbeitet als Ökonom bei der KOF Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich.

Zwar stehe bereits fest, dass die Krise nicht so schnell ausgestanden sein werde. Aber ihr Ausmass hänge massgeblich davon ab, wie schnell die Neuinfektionen gesenkt und eine Impfung respektive Medikamente gegen das Virus bereitgestellt werden könnten.

Da vieles ungewiss ist, legte die KOF kürzlich vier verschiedene Szenarien zur Entwicklung in der Schweiz vor. Laut diesen entsteht der hiesigen Wirtschaft zwischen März und Juni ein Verlust der Wertschöpfung von 22 bis 35 Milliarden Franken – je nach Verlauf der Pandemie. Wobei Abrahamsen derzeit zum positiveren Szenario tendiert. «Ich gehöre zu den Optimisten», sagt er zu «Bluewin».



Ihn stimme zuversichtlich, dass die Zahl der Neuinfektionen derzeit sinke. Und auch wenn bereits enorm viele Unternehmen Kurzarbeit beantragt hätten, habe die Vergangenheit gezeigt, dass nicht jedes am Ende auch davon Gebrauch mache – oder den zugesagten Umfang nicht vollumfänglich ausschöpfe.

Vorsichtig optimistisch trotz steigender Arbeitslosigkeit

Die Kurzarbeit zählt zu den bevorzugten Kriseninstrumenten des Bundesrats. Und sie ist offenbar bitter nötig: Wirtschaftsminister Guy Parmelin sprach vor den Medien jüngst von einer «Explosion» der Gesuche: Rund 30 Prozent der Angestellten oder 1,5 Millionen Menschen sind schon von Kurzarbeit betroffen. Und obwohl so der Arbeitslosigkeit vorgebeugt werden sollte, steigt diese Quote weiter an: Parmelin warnte vor bis zu sieben Prozent Arbeitslosigkeit. Ein Schreckensszenario?

Der KOF-Experte betrachtet die Entwicklung differenziert: «Natürlich gibt es Betriebe, die jetzt schliessen, weil sie keine Möglichkeit sehen, wieder auf einen grünen Zweig zu kommen.» Doch gebe es auch eine natürliche Fluktuation: Die Stellen von Arbeitnehmern, die schon gekündigt hätten oder in Rente gegangen seien, würden derzeit nicht neu besetzt. Jedes Jahr würden sich allein 2,5 Prozent der Erwerbstätigen in den Ruhestand verabschieden – würden ihre Stellen nicht neu besetzt, treibe das die Arbeitslosigkeit in entsprechendem Ausmass nach oben.

Doch Abrahamsen ist überzeugt: Kehrte dereinst wieder Normalität ein, sollte sich die Arbeitslosigkeit in rund einem Jahr wieder auf dem Vor-Krisen-Niveau einpendeln.

«Irgendjemand muss die Rechnung bezahlen»

Das bisherige Krisenmanagement des Bundes bewertet der Ökonom als gut: «Der Wirtschaft wird schnell und unbürokratisch geholfen, das Geld fliesst – das schafft Vertrauen und gibt den Leuten eine Perspektive.» Dass sich Unternehmer mit den Notkrediten verschulden, sei unschön, aber eine bessere Lösung lasse sich nicht ohne Weiteres finden: «Irgendjemand muss ja diese Rechnung am Ende bezahlen. Für die Kredite, die nicht zurückgezahlt werden können, ist es der allgemeine Steuerzahler.»



Für Abrahamsen wäre es allenfalls denkbar, dass einzelne Branchen – etwa Eventveranstalter – durch allgemeine Steuermittel getragen würden. «Das geht aber nur für eine kleine Gruppe. Die Öffentlichkeit kann zum Beispiel nicht die ganze Hotellerie- oder Tourismusbranche finanzieren.»

Und wie bewertet er den Ruf nach einem Mieterlass für KMU, der immer lauter wird? «Das wäre ein adäquates Mittel», findet Abrahamsen. Er könne natürlich verstehen, dass Liegenschaftsbesitzer sich gegen jegliche Ausfälle zur Wehr setzten. «Allerdings muss man auch sehen: Wenn ein Mieter jetzt Konkurs anmelden muss und der Besitzer das Geschäft neu vermieten will, muss er den Preis senken, damit sich im Moment überhaupt jemand einmietet.»

Könnten sich Mieter und Vermieter auf eine Mietreduktion oder einen Aufschub einigen, wäre das die beste Lösung. «Dass der Vermieter seinen Teil beiträgt, ist ökonomisch nur gerecht.»

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