Freitod-Begleitung «Also, macht es gut!»

md

25.10.2019

Ehefrau: «Ich empfand es als Geschenk, dass ich auf diese Art und Weise von meinem Mann Abschied nehmen konnten.» (Symbolbild)
Ehefrau: «Ich empfand es als Geschenk, dass ich auf diese Art und Weise von meinem Mann Abschied nehmen konnten.» (Symbolbild)
Bild: Getty Images

Ein Ehemann ist schwer erkrankt und beendet sein Leben mit Sterbehilfe. Seine Frau erzählt, weshalb sein geplanter Tod und das Abschiednehmen nicht nur traurig waren.

Im Alter von 60 Jahren erhielt mein Mann die Diagnose Nierentumor. Die betroffene Niere wurde operativ entfernt, eine Chemotherapie nicht für nötig befunden. Danach ging es ihm viele Jahre lang gut, erst als er fast 80 war, musste er wieder gegen diverse gesundheitliche Probleme ankämpfen.

So funktionierte seine Blase nicht mehr richtig und er musste sich einer Rückenoperation unterziehen. Nach diesem Eingriff ging es ihm sehr schlecht, er hatte praktisch ständig Schmerzen.

Rund 20 Jahre nach der ersten Krebsdiagnose stellte man dann leider fest, dass er einen Tumor in der Lunge hatte. Wieder wurde eine grosse Operation vorgeschlagen. Doch mein Mann hatte genug, er lehnte ab.

Meiner Meinung nach hat er richtig entschieden. Danach verschlechterte sich sein Zustand rapide. Bald funktionierte seine Blase gar nicht mehr und er erhielt einen Katheter, der alle zwei Monate gewechselt werden musste. Seine Schmerzen wurden immer schlimmer und irgendwann hielt er es nicht mehr aus.

Ein Pflegeheim kommt nicht infrage

Im November 2017 entschied er sich definitiv für eine Freitodbegleitung mit Exit. Wir waren beide seit einigen Jahren Mitglied. Ich habe Parkinson, was mit den Jahren nicht besser werden wird. Für uns beide stand und steht fest: Ein Pflegeheim kommt nicht infrage.

Genau dort wäre mein Mann jedoch letztlich hingekommen und ich hätte ihn nie mehr nach Hause holen können. Den Termin für die Freitodbegleitung legte er fest auf den 18. Januar 2018. Zuerst habe ich ihn nicht verstanden, warum wollte er noch so lange warten und wochenlang leiden? Aber im Nachhinein erwies sich dieser Entscheid als das Beste, was uns hätte passieren können.



Wir konnten in dieser Zeit viele Gespräche führen, alles Unausgesprochene untereinander und auch mit unserer Tochter bereinigen. Sein nahender Termin stand dabei keineswegs ständig im Vordergrund und wir mussten nicht dauernd denken, jetzt ist es dann so weit. Im Gegenteil, diese letzten Wochen mit ihm waren schön und bereichernd für uns. Mein Mann wurde immer ruhiger und ruhiger.

Am 27. Dezember hätte sein Katheter gewechselt werden müssen, aber es stellte sich heraus, dass dieser festgewachsen war. Beim Versuch ihn zu entfernen, schrie er vor Schmerzen und schlug um sich, es war grauenhaft. Ich teilte dem zuständigen Arzt mit, dass mein Mann bald einen Termin mit Exit vereinbart hatte, worauf er einverstanden war, den Katheter zu belassen. Während dem Telefonat mit der Pflegefachfrau, welche die Infusion legen würde, rief mein Mann im Hintergrund «Gälled, Sie sind dann pünktlich!» Bei ihrem Erscheinen am Tag der Freitodbegleitung meinte sie: «Schauen Sie, jetzt bin ich sogar noch 15 Minuten zu früh.»

«Ja, ich bin parat»

Mit ihrer Art hat sie die ganze Situation aufgelockert und uns viel Nervosität genommen. Der Freitodbegleiter hatte währenddessen das Protokoll vorbereitet und mein Mann nochmals per Unterschrift bekräftigt, dass er heute sterben wolle. Als der Begleiter ihn fragte, ob er bereit sei, meinte er: «Ja, ich bin parat.» Beim Verlassen des Raumes schaute mein Mann, der kaum mehr gehen konnte, zurück, strahlte uns an und sagte: «Also, macht es gut!»



Ich hatte ihn schon lange nicht mehr so unbeschwert gesehen. Von Angst keine Spur. Er legte sich auf das Bett, ich und unsere Tochter setzten uns neben ihn. Das Zimmer hatten wir mit Duftlampen, Blumen und Kerzen geschmückt. Die Stimmung war unheimlich feierlich. Wir hielten ihn beide an den Händen, die Tochter sagte zu ihm: «Danke, dass du mein Vater warst.» Der Begleiter hatte uns mitgeteilt, dass es mit der Infusion relativ schnell gehen würde, bis er einschläft.

Als mein Mann das Rädchen der Infusion geöffnet hatte, sagte er noch: «Ja, so cheibe schnell geht das jetzt auch …», aber bevor er den Satz beenden konnte, gähnte er zweimal ganz tief wie vor dem Einschlafen und war weg. Meine Tochter und ich bekamen gar nicht mit, was rund um uns geschah. Zu dritt bildeten wir auf dem Bett eine kleine Einheit. Die ruhige, friedliche Atmosphäre war ein extrem schönes Gefühl.

Keine «Hauruck-Aktion»

Wir empfanden es heute als Geschenk, dass wir auf diese Art und Weise von ihm Abschied nehmen konnten. Weil das Sterben nicht eine «Hauruck-Aktion» war, sondern wir uns Zeit genommen haben. Sollte meine Krankheit schlimmer werden und ich unerträgliche Schmerzen bekomme, bin ich froh, wenn auch ich die Option einer Freitodbegleitung habe. Ob ich es dann aber ebenso machen werde wie mein Mann, da bin ich mir nicht sicher.

Jetzt, einige Monate später, geht es mir sehr gut. Ich habe keine Hemmungen, das zu sagen, auch wenn manche vielleicht geschockt darüber sind. Dadurch, dass wir alles so regeln konnten, fühle ich mich richtiggehend privilegiert. Mein Mann war an seinem letzten Tag völlig gelöst und froh, erlöst zu werden. Es gibt für mich nichts zu hadern und ich bin nach seinem Tod nie in ein Loch gefallen. Wichtig für die Verarbeitung war, dass wir uns im Vorfeld alles sagen konnten, was gesagt werden musste. Wir waren uns einig: «Ich lasse dich los und du lässt mich los.»

Nach 60 gemeinsamen Jahren war dieses Loslassen extrem wichtig. Erst nachdem mein Mann gestorben ist, habe ich gemerkt, was für einen Riesenrucksack ich in der vergangenen Zeit herumgetragen habe. Mittlerweile geht es mir gesundheitlich viel besser und ich kann wieder nach vorne schauen und auch Pläne für mich machen.

Ich stehe oft vor dem Foto meines Mannes und danke ihm dafür, dass er uns mit seinem Entscheid vor vielem beschützt hat. Auch heute noch spüre ich, dass er bei mir ist, das ist ein ermutigendes Gefühl.

Dieser Text erschienen zuerst im Magazin der Sterbeorganisation Exit.

Diese Stellen sind rund um die Uhr für Menschen in suizidalen Krisen und für ihr Umfeld da:

Beratungstelefon der Dargebotenen Hand: Telefon 143 www.143.ch

Beratungstelefon von Pro Juventute (für Kinder und Jugendliche): Telefon 147 www.147.ch

Weitere Adressen und Informationen: www.reden-kann-retten.ch

Adressen für Menschen, die jemanden durch Suizid verloren haben:

Refugium – Verein für Hinterbliebene nach Suizid: www.verein-refugium.ch Nebelmeer – Perspektiven nach dem Suizid eines Elternteils: www.nebelmeer.net

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