Aktfotograf Stefan Rappo «Es geht mir nicht um Intimität im Sinne von Nacktheit»

Bruno Bötschi

1.9.2024

Der Freiburger Stefan Rappo arbeitet seit Jahren als selbstständiger Fotograf in Paris. Ein Gespräch über sein neustes Buch, ein Shooting in Tokio mit Tränen und warum Aktfotografie seine grosse Leidenschaft ist.

Bruno Bötschi

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Vor fünf Jahren rückte Stefan Rappo für seinen Bildband «Nude» die Schlangenfrau Nina Burri unbekleidet ins rechte Licht.
  • Dieser Tage ist das neuste Werk des Freiburger Fotografen erschienen, der seit mehreren Jahren in Paris lebt und arbeitet.
  • Der Bildband «Tezz» widmet sich der Verbindung zwischen zwei Menschen – dem Model Tezz und dem Fotografen Rappo.
  • «Ich behaupte jetzt einmal, bei meinem neuen Buch steht die Aktfotografie nicht so sehr im Vordergrund. Es geht mehr um das Model Tezz als Person, also wie sie sich ausdrückt und wie ich sie quasi auf ihrer Reise begleite», sagt Rappo im Interview mit blue News.

Stefan Rappo, früher konstruierten Sie Forstgeräte in der Firma Ihrer Familie, heute sind Sie ein international gefragter Fotograf. Wie kam es dazu?

Ich habe eine Berufslehre als Landmaschinenmechaniker gemacht und besuchte später eine Abendschule in Bern, um Maschinentechniker TS zu werden. Danach half ich eine Zeit lang in unserem Familienbetrieb an der Entwicklung von Forstgeräten mit. Die Fotografie interessierte mich bereits in jungen Jahren. Ich hatte jedoch das Gefühl, ich sei zu wenig kreativ.

Wie ging es danach weiter?

Während einer Auszeit besuchte ich eine Fotografieschule in Toulouse. Danach plante ich, in die Schweiz zurückzukehren – doch es kam alles anders. Stattdessen zog ich auf Anraten meines damaligen Lehrers direkt nach Paris, um dort als Fotoassistent zu arbeiten – ich war fast acht Jahre lang erster Assistent des deutschen Modefotografen Peter Lindbergh. Seit fünf Jahren arbeite ich nun in Paris als freischaffender Fotograf.

Was fasziniert Sie am Genre der Aktfotografie?

Ich fing schon früh mit der Aktfotografie an – anfangs jedoch mehr im klassischen Stil, also körperbetonter und sexyer. Dabei war es mir immer wichtig, eine gewisse Grenze nicht zu überschreiten und die Bilder nicht billig wirken zu lassen.

Wie würden Sie Ihre Art von Aktfotografie beschreiben?

Mit den Jahren veränderte ich meine Herangehensweise total. Heute fotografiere Aktbilder so, als würde ich ein normales Porträt machen, bei dem ein Mensch im Vordergrund steht – natürlich und authentisch. Meine Bilder sind gut lesbar und weisen eine Klarheit auf, da ich mich gern auf das Wesentliche beschränke. Trotzdem würde ich mich nicht als Aktfotografen bezeichnen, sondern einfach als Fotografen.

Wann fotografieren Sie farbig und wann schwarz-weiss?

Bei Auftragsarbeiten ist in der Regel vorgegeben, ob die Bilder in Farbe oder schwarz-weiss gemacht werden – man passt sich dem Konzept der Kundschaft an. Bei meinen persönlichen Arbeiten, wie zum Beispiel bei meinem neuen Buch «Tezz», entscheide ich immer erst nach dem Shooting. Grundsätzlich schaue ich mir die Fotos zuerst in Farbe an. Bin ich mit dem Resultat unzufrieden, sehe ich mir die Bilder danach auch noch in Schwarz-Weiss an. Am Ende behalte ich jene Version, die mir besser gefällt.

Was unterscheidet Ihr neustes Werk von anderen Aktfotografie-Büchern?

Ich behaupte jetzt einmal, bei meinem neuen Buch «Tezz» steht die Aktfotografie nicht so sehr im Vordergrund. Es geht mehr um das Model Tezz als Person, also wie sie sich ausdrückt und wie ich sie quasi auf ihrer Reise begleite.

Tezz und ich sehen das Buch deshalb auch als gemeinsames Projekt. Tezz hat die Texte geschrieben, und ich habe ihr dabei alle Freiheiten gelassen. Sie wählte die Bilder selber aus, zu denen sie etwas schreiben wollte. Danach haben wir die Texte möglichst harmonisch ins Layout eingebaut.

Was verbindet Sie mit dem Model Tezz, dass Sie sich entschieden haben, während mehr als zwei Jahren zusammen ein Buch zu realisieren?

Ich habe Tezz zum ersten Mal vor drei Jahren auf der Insel Ibiza fotografiert. Von der ersten Sekunde an haben wir uns gut verstanden, und unsere Arbeitsweisen haben hervorragend harmoniert. Tezz benötigt nur wenige Anweisungen und wirkt beim Posen immer authentisch. Anders gesagt, es ist weniger ein Posen, sondern mehr ein Ausdruck ihres Selbst.

Stefan Rappo ist ein Schweizer Fotograf aus Plaffeien FR. Er lebt und arbeitet seit mehreren Jahren in Paris. Er war fast acht Jahre als erster Assistent des bekannten deutschen Modefotografen Peter Lindbergh tätig.
Stefan Rappo ist ein Schweizer Fotograf aus Plaffeien FR. Er lebt und arbeitet seit mehreren Jahren in Paris. Er war fast acht Jahre als erster Assistent des bekannten deutschen Modefotografen Peter Lindbergh tätig.
Bild: zVg

Bei diesem ersten Shooting haben wir unglaublich viele tolle Bilder gemacht, sodass wir uns entschieden haben, ein weiteres Shooting auf Teneriffa durchzuführen. Danach erkannten wir das wirkliche Potenzial in unseren Bildern. Später arbeiteten wir gezielt auf die Produktion eines Buches hin und reisten in der Folge auch nach Südafrika und in die Normandie.

Die Verbindung zwischen Tezz und mir beruht sicherlich darauf, dass wir eine gemeinsame Vorstellung von Fotografie teilen, aber auch darauf, dass wir uns menschlich gut verstehen. Das ist für mich als Fotograf äusserst wichtig, um ein solches Buchprojekt realisieren zu können.

Welche Momente haben Sie während der Fotoshootings für das Buch am meisten beeindruckt?

Meine Aktfotografie entsteht oft in beeindruckenden Landschaften, und das fasziniert mich immer wieder aufs Neue. Wir waren häufig sehr früh am Morgen unterwegs zu den Locations. Die Stimmungen, die wir dort vorgefunden haben, waren einfach unglaublich. Es waren auch nur selten andere Menschen dort.

Solche einsamen Momente geniesse ich sehr. Ich nehme mir dann auch immer etwas Zeit, um die Landschaft auf mich wirken zu lassen. Am allermeisten beeindruckt hat mich jedoch, wie harmonisch die Shootings mit Tezz abgelaufen sind. Unter solchen Bedingungen zu arbeiten, ist ein Traum für jeden Fotografen.

Wie viel Zeit brauchen Sie für ein Aktfoto?

Ich rechne die Zeit nie pro Foto, sondern denke meistens in Serien. In einer Serie bleiben am Ende 10 bis 20 Fotos übrig, die ich behalte. Dafür benötige ich etwa zwei bis drei Stunden. Dazu muss man wissen, dass ich immer sehr viele Bilder pro Shooting mache, manchmal bis zu 5000 Stück.

Das hat auch damit zu tun, dass ich viel in Bewegung fotografiere und selten nach einer statischen Pose suche. Ich mag die sogenannten Bilder zwischen den Bildern, weil dabei oft etwas entsteht, was man nicht einfangen kann, wenn alles statisch ablaufen würde.

Reden Sie mit ihrem Gegenüber während des Fotografierens?

In der Regel kommuniziere ich vor dem Shooting recht viel mit meinen Models. Es ist mir wichtig, dass sie verstehen, worum es mir bei meinen Bildern geht, damit sie aktiv in diese Richtung mitarbeiten können. Hin und wieder zeige ich auch einmal selber vor, was ich im Kopf habe, oder verwende Mood-Bilder zur Veranschaulichung.

Während des eigentlichen Shootings spreche ich eher weniger und lasse den Models viel Freiheit. Ich greife erst dann ein, wenn mir ein Aspekt auffällt, den ich gern vertiefen möchte oder wenn das Shooting ins Stocken gerät und ich spüre, dass ein kreativer Input nötig ist.

Gibt es Bilder, die Sie nicht veröffentlichen?

Ich veröffentliche nur Bilder, die ich auch gut finde, und die zu meinen anderen Arbeiten passen. Das hat jetzt aber nichts mit den Aktbildern zu tun, sondern das halte ich auch bei meinen anderen Fotografien so. Man sagt immer, dass das Niveau eines Portfolios so gut wie das schlechteste Bild ist, das man zeigt.

Der Bildband «Tezz» von Stefan Rappo widmet sich der Verbindung zwischen zwei Menschen: dem Fotografen und dem Model.
Der Bildband «Tezz» von Stefan Rappo widmet sich der Verbindung zwischen zwei Menschen: dem Fotografen und dem Model.
Bild: Stefan Rappo

Im Übrigen zeige ich die Bilder immer zuerst meinen Modellen, bevor ich sie veröffentliche. Das baut zusätzliches Vertrauen während des Shootings auf, weil die Models wissen, dass ich keine Bilder herausgebe, mit denen sie nicht einverstanden sind.

Aktfotografie soll nicht das Ziel haben, die Betrachterin oder den Betrachter sexuell zu erregen. Wie intim erleben Sie die Aktshootings?

Es gibt sicherlich Aktfotos, bei denen genau das im Fokus steht, und auch Aktfotografen, die in diese Richtung arbeiten. Bei mir ist das jedoch nicht der Fall. Für mich steht immer im Vordergrund, ein gutes Bild zu machen, bei dem der Mensch und die Emotionen im Mittelpunkt stehen.

Es kann durchaus vorkommen, dass Aktfotografie oder auch Porträtfotografie sehr intim sind. Dabei geht es mir jedoch nicht um Intimität im Sinne von Nacktheit, sondern vielmehr darum, dass man von jemandem etwas Persönliches erhält, das man auf Bildern festhalten darf, zu dem man sonst vielleicht keinen Zugang hätte.

Haben Sie dafür ein Beispiel?

Ich habe einmal in Tokio ein Porträt von einem Model in einem Hotelzimmer gemacht, und plötzlich fing die Frau an zu weinen. Ich wusste nicht, warum, und war mir anfangs auch unsicher, ob ich weiter fotografieren durfte.

Die Frau gab mir danach durch ein Zeichen ihr Einverständnis dazu. Für mich war das eines der intimsten Shootings, das ich je machen durfte. Nach dem Shooting erzählte mir das Model, dass sie vor Kurzem ihren Vater verloren habe und sie das Shooting nutzen wollte, um ihren Emotionen freien Lauf zu lassen.

Was möchten Sie mit Ihren Fotografien bei den Menschen auslösen?

Als ich mit der Fotografie angefangen habe, habe ich mir nie die Frage gestellt, was ich bei anderen Menschen auslösen möchte. Vielmehr ging es darum, was die Fotografie in mir auslöst – und dabei spreche ich nicht nur vom Endprodukt, sondern auch von dem Moment, in dem man fotografiert. Dieser Moment kann unglaublich intensiv sein. Ich gebe zu, man wird fast ein wenig süchtig nach diesen emotionalen Momenten – ähnlich wie ein Musiker, der süchtig nach Konzerten vor Publikum ist.

«Ich habe Tezz zum ersten Mal vor drei Jahren auf der Insel Ibiza fotografiert. Von der ersten Sekunde an haben wir uns gut verstanden, und unsere Arbeitsweisen haben hervorragend harmoniert»: Fotograf Stefan Rappo über die Zusammenarbeit mit Model Tezz.
«Ich habe Tezz zum ersten Mal vor drei Jahren auf der Insel Ibiza fotografiert. Von der ersten Sekunde an haben wir uns gut verstanden, und unsere Arbeitsweisen haben hervorragend harmoniert»: Fotograf Stefan Rappo über die Zusammenarbeit mit Model Tezz.
Bild: Stefan Rappo

Beim Projekt «Tezz» hatte ich viele solcher Momente, in denen die Emotionen beim Fotografieren besonders stark waren. Mein Ziel war es, diese Emotionen und die Energie, die von Tezz ausging, in den Bildern einzufangen. Ziel des Buches ist nun, diese unglaublichen Momente so gut wie möglich an den Betrachter meiner Bilder weiterzugeben und sie mit ihnen zu teilen.

Wen oder was findet ein Mann, der beruflich die schönsten Menschen der Welt fotografieren darf, selbst aussergewöhnlich schön?

Schöne Menschen zu fotografieren, ist nicht unangenehm. Aber mir ist es wichtig, mich nicht nur auf äussere Schönheit zu beschränken. Man muss keinen schönen Menschen fotografieren, um einen aussergewöhnlich schönen Moment zu erleben.

Abgesehen davon finde ich natürlich meine Heimat, das Sense-Oberland im Kanton Freiburg, aussergewöhnlich schön. Im Sommer an der Sense zu grillieren ist für mich, auch nach all den Jahren, immer noch etwas ganz Wunderbares. Ausserdem bin ich gern mit dem Bike unterwegs oder wandere auf meinem Lieblingsberg, die Spitzflue.

«Tezz», 192 Seiten, 135 Bilder von Stefan Rappo und Texten von Künstlerin Tezz in englischer Sprache, erschienen bei Edition Belle Étoile, Preis: 58 Euro


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