Kolumne Warum mir das grassierende Yoga-Fieber auf die Nerven geht

Marianne Siegenthaler

12.8.2018

Yoga ist harte Arbeit - das sollen alle sehen.
Yoga ist harte Arbeit - das sollen alle sehen.
Bild: Getty Images

Channeling, Energiearbeit oder Meditation – früher nannte man das Esoterik, heute heisst das «Holistic Lifestyle». Die Anhängerschaft ist dieselbe: Es sind zum grössten Teil Frauen. Sehr angesagt in Sachen Spiritualitäts-Upgrading ist zurzeit Yoga.

«Yoga bedeutet Vereinigung und das Zusammenbringen von Körper, Geist und Seele, welches uns zu unserer eigenen Mitte führt.» Meine Kollegin, die ich zufällig in der Migi am Bio-Gemüse-Gestell angetroffen habe, kommt offenbar direkt von der Yoga-Stunde: Lockeres Outfit und obligate Yogamatte unter dem Arm. Und noch so gerne erklärt sie mir, was Yoga ist, wie es geht und was es bringen soll. «Der Atem folgt der Bewegung, die Energie folgt der Aufmerksamkeit.» Hä? Das sei denn auch der Ort, schwärmt sie, wo man nichts sein muss, sondern nur sein darf. Und bevor ich mich unter den Worthülsen wegducken und verdrücken kann, gibt sie mir noch einen Rat mit auf den Weg: «Wenn wir aufmerksam sind, handeln wir auch achtsam.»

Ganz offensichtlich ist sie auf der Suche nach sich selbst und hat als Mittel zum Zweck  Yoga entdeckt – wie Millionen andere auch. Und zwar richtiges Yoga. Also nicht einfach eine Art Gymnastik mit indischem Touch. Nein. Da gehören unbedingt auch geistige Übungen mit dazu. Wer also den Herabschauenden Hund einfach nur gegen die bürobedingten Rückenschmerzen übt, der ist in der Yogagruppe am falschen Platz. Der soll doch ins Altersturnen. Oder in die Physiotherapie. Yoga ist eine Philosophie. Eine Religion. Oder zumindest eine Lebensschule. Nicht die Fragen: «Was soll ich heute kochen?» oder «Was zieh ich heute an?» stellen sich Yoga-Fans täglich, nein, es ist die Sinnfrage: «Wer bin ich – und wer will ich werden?», die sie umtreibt.

Egoismus heisst heute Achtsamkeit

Um eine Antwort darauf zu finden, wählen sie das für sie Passende aus dem riesigen Angebot an Yoga-Kursen aus – und schon geht’s fürschi mit der Achtsamkeit. Denn Achtsamkeit und Yoga gehören zusammen, wie mir eine andere Kollegin, auch sie glühende Yoga-Jüngerin, erklärt hat. Hab’s kurz nachgeschaut. Achtsam sein bedeutet, dass man unmittelbar und direkt in Kontakt ist mit dem, was ist, ohne Wertung, ohne zu interpretieren – was immer das heissen mag. Jedenfalls erforscht man zu diesem Zweck, wie Körper und Geist zusammenspielen. So findet man angeblich zu seiner Ganzheit zurück. Aber nur wenn man sich selbst gegenüber wirklich achtsam ist. Kurz: Das eigene Wohlbefinden steht also ganz vorne. Egoismus nannte man das früher. Achtsamkeit klingt da doch einiges positiver. Und man muss auch nicht zugeben, dass man keine Lust hat zu irgendwas, sondern es entspricht einfach nicht dem momentanen Bedürfnis beispielsweise dem Kollegen beim Zügeln zu helfen. Tja, fein raus.

Yoga ist ein Riesengeschäft. Kein Reiseunternehmen, kein Wellness-Hotel und kein Kreuzfahrtschiff, das nicht auch noch Yoga im Angebot hat – natürlich angepasst auf die individuellen Bedürfnisse, also Yoga für Schwangere, Gestresste, Kinder, Bauch-Beine-Po, Paare, Frauen mit Kinderwagen (wirklich, das heisst BuggyYoga)  – und sogar Ziegen. Nein, die Ziegen machen kein Yoga. Beim so genannten «Goat Yoga» laufen kleine Ziegen zwischen den Yogis hin und her. Wozu? Die Tiere sind freundlich und mögen den Kontakt mit Menschen. Zwischen Übungen wie dem «Kamel» oder dem «friedvollen Krokodil» darf man deshalb auch streicheln und kuscheln mit echten Ziegen. So soll Goat Yoga enorm entspannen und Glücksgefühle auslösen. Da stören denn auch ein paar Ziegenkötchen kaum. Arme Ziegen, denke ich mir, die hätten doch Besseres verdient. Und da ist die New Yorker Gesundheitsbehörde ganz meiner Meinung: Sie haben die Erlaubnis für Goat-Yoga-Kurse verweigert.

Yoga ist Arbeit. Und das soll jeder sehen

Es sind hauptsächlich Frauen, die Yoga praktizieren Ja, genau. Sie «machen» nicht Yoga, so wie man Pilates oder ähnliches macht, sie «praktizieren» Yoga. Das klingt anstrengend, tönt nach Arbeit, und das ist es ja auch. Körperarbeit. Und Arbeit an Geist und Seele. Und das soll auch jeder sehen. Outdoor-Yoga nennt sich dann das, und so verrenkt man sich gemeinsam oder auch alleine in Parks und Badis, im Botanischen Garten oder an der Seepromenade. Yogamatte ausrollen und loslegen. Hauptsache, es hat Publikum. Und das muss dann auf den entspannenden Blick auf den See verzichten, weil an vorderster Front ein paar Frauen im Bikini den «Herabschauenden Hund» praktizieren. Und dem Publikum Einblicke an Orte geben, die sonst nur ihr Gynäkologe oder der Liebhaber sieht. Wollen wir das wirklich sehen? Nein danke.

Diese Insta-mässige Selbstdarstellung ist der eine Aspekt, der mich nervt. Der andere ist die Sprache, der typische Jargon, den Yoga-Fans verwenden. Sätze wie «Wenn du selbst zu dem wirst, was überall ist, erkennst du das, was überall ist» sind für mich reine Phrasendrescherei. Bisher konnte mir jedenfalls noch niemand erklären, was da gemeint ist. Und so kann man nur staunen, wie Frauen, die mit beiden Beinen mitten im Leben stehen und manche (Lebens-)Krise gemeistert haben, mit Sätzen wie «Spiritualität heisst für mich, im Jetzt zu leben» um sich werfen. Da frage ich mich doch ernsthaft: Wo haben denn die Frauen die ganze Zeit vorher gelebt?

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