Märkte, Mayas und Vulkane Der schlafende Gigant in El Salvador

Andreas Drouve, dpa

19.10.2019

El Salvador ist ein kleines, hübsches Land in Zentralamerika. Neben charmanten Orten, Zeugnissen der Maya und Kaffee- und Vulkanlandschaften fasziniert vor allem – der Alltag der Menschen.

Héctor Aguirre kann sich ein Leben ohne das schwarze Getränk kaum vorstellen. «Seit meinem zweiten Lebensjahr trinke ich Kaffee», sagt der 28-Jährige. «Hier gibt man Kleinkindern Fläschchen mit Kaffee, nicht mit Milch.»

Heute verdient Aguirre mit dem Heissgetränk sein Geld, auf der Farm El Carmen Estate im Hochland El Salvadors. An diesem Tag zeigt er den Besuchern des Landguts am Rand seines Heimatortes Ataco die Lager, Maschinen und Fliessbänder mit der Qualitätsauslese. Dort sitzen Frauen, die voll konzentriert die guten Bohnen von den schlechten trennen. Handarbeit unter Neonlicht. Was daraus wird, präsentiert Aguirre im Anschluss: Spitzenkaffee.

So mancher hat vielleicht schon Kaffee aus El Salvador getrunken. Doch die wenigsten kennen das kleine Land in Mittelamerika aus eigener Anschauung. Als Reiseziel bietet es auf kleiner Fläche eine aussergewöhnliche Vielfalt abseits ausgetretener Touristenpfade.

Kolonialer Charme und Kleinkunst

Ataco, eines der schönsten Dörfer des Landes, wirkt herausgeputzt und bodenständig zugleich. Schauwert haben zum Beispiel die bunten, zeitgenössische Wandmalereien. Und der Zentralplatz mit seinen Hibiskussträuchern und der Kirche Inmaculada Concepción.

Hier ist der Tourismus auf dem Vormarsch, wie überall in El Salvador – wenn auch auf überschaubarem Niveau. Kunsthandwerksläden, kleine Galerien und die Webwerkstatt Casa de los Telares heissen Gäste willkommen.

Ein schlafender Gigant: Vulkan Izalco in der Region Santa Ana.
Ein schlafender Gigant: Vulkan Izalco in der Region Santa Ana.
Bild: iStock

Noch ansehnlicher als Ataco ist Suchitoto im Herzen des Landes. Die Fassaden strahlen in Orange, Blau und Grün um die Wette. Sorgsam drapierte Blumentöpfe bilden hübsche Fotomotive. Vom Hauptplatz führt der Weg zu einer Frauenvereinigung, dahinter befindet sich wiederum eine Initiative gegen häusliche Gewalt.

Die Vorsitzende Ana María Menjíbar, 65, nimmt kein Blatt vor den Mund. Sie beklagt den anhaltenden Machismus und ruft Frauen dazu auf, die Stimme zu erheben und selbst aktiv zu werden. So entstand auch die Werkstatt, der zehn Frauen aus umliegenden Gemeinden angehören.



Wer durch die kopfsteingepflasterten Gassen Suchitotos streift, entdeckt neben Hauseingängen öfters Graffiti mit dem Nationalvogel Torogoz. Prangt der Vogel an der Fassade, bedeutet das: Hier gibt es keine häusliche Gewalt – eine Kampagne der Frauenvereinigung.

Die rettende Asche des Vulkans

In der Hauptstadt San Salvador geht es naturgemäss trubelig zu. Zigaretten- und Kaugummiverkäufer mit Bauchläden kämpfen im Verkehr um ihr tägliches Auskommen. Schuhmacher werkeln in winzigsten Stuben. Die Freiluftstände reichen bis zum Nationalpalast und zum Platz vor der Kathedrale. In deren Krypta liegt der heilige Óscar Romero begraben, die nahe Kirche El Rosario lockt mit symmetrischen, modernen Buntglasfenstern.

Vielen Bauten in El Salvador haben Vulkanausbrüche zugesetzt. In einem Fall war dies keine Katastrophe: Den Ascheschichten des Vulkans Loma Caldera ist es zu verdanken, dass Joya de Cerén, ein Mayadorf aus dem 7. Jahrhundert nach Christus, bis zur zufälligen Wiederentdeckung 1976 wie in einer Blase erhalten blieb. Die Bewohner des Dorfes hatten sich rechtzeitig retten können.

Wer das einzige Weltkulturerbe des Landes besichtigt, darf jedoch keine Tempel wie in Mexiko und Guatemala erwarten. «In Joya de Cerén lebte die niedere soziale Klasse der Maya, die Landwirtschaft betrieb», erklärt Guide Dionisio Mejía, 43. Entsprechend bescheiden kommen die Gebäudereste unter Schutzdächern daher.

Ein grausames Ritual

Als klein, aber fein lassen sich auch die Zeugnisse der Maya in anderen archäologischen Parks beschreiben. Tazumal, das mehr als ein Jahrtausend lang bewohnt wurde, hat kulturelle Einflüsse aus dem heutigen Mexiko.

Verstörend ist der Überzug aus Zement über dem eigentlichen Baumaterial aus Vulkangestein. Auch der Opferaltar blieb nicht verschont. In den 1940er Jahren entschied sich der US-Archäologe Stanley Boggs für diese Massnahme des Erhalts – ein Beispiel für gut gemeint, aber verheerend umgesetzt.



Das angeschlossene Museum gibt Aufschluss über die schaurige Verehrung des Gottes Xipe Totec. Ihm zu Ehren wurde beim Fest Tlacaxipehualiztli ein Kriegsgefangener gehäutet. Priester versahen daraufhin ein Bildnis der Gottheit mit der neuen Hautschicht.

Auf den höchsten Punkt El Salvadors

Und dann sind da noch die Vulkane. Über der Hauptstadt thront der gleichnamige San Salvador, ein schlafender Gigant. Ein grösserer Kraftakt ist die Besteigung des Santa Ana, mit 2381 Metern der höchste Vulkan des Landes.

Für die geführte Wanderung vom Besucherzentrum im Park Cerro Verde aus sind zwei Stunden zu veranschlagen. Der harmlose Aufstieg führt durch Wald und Gesträuch, über Felsen, Wurzelwerk und Geröll.

Die Aussicht vom Kraterrand ist spektakulär. Die Farben der Steilwände reichen von Pechschwarz bis Schwefelgelb. Der See in der Tiefe leuchtet smaragdgrün. Gase zischen aus Spalten. Über dem Wasser wabern Dämpfe. Der Wind modelliert sie zu Säulen und jagt sie schliesslich in die Wolken. Nach dem Aufstieg freut man sich auf eine Rast im Tal – und kräftigen Hochland-Kaffee für neue Energie.

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