Städtetour Mit einem Ex-Terroristen durch Belfast

dpa

25.2.2020

Peadar Whelan zeigt Touristen Belfast – hier sind es Gewehre der IRA im «Irisch-Republikanischen Geschichtsmuseum». 
Peadar Whelan zeigt Touristen Belfast – hier sind es Gewehre der IRA im «Irisch-Republikanischen Geschichtsmuseum». 
Source: Christoph Driessen / dpa 

Die nordirische Hauptstadt Belfast lässt sich mit ehemaligen Terroristen erkunden. Von unterirdischen Friedhofsmauern, einem IRA-Souvenirshop und dem meistbombardierten Hotel der Welt.

Peadar Whelan war früher bei der IRA. Viele würden sagen: Er war Terrorist. Er selbst sagt, er sei ein «Freiwilliger» gewesen. Oder ein «Aktivist».

16 Jahre verbrachte er im Gefängnis, weil er Ende der 70er Jahre versuchte, einen britischen Polizisten zu töten. «Ich bereue nichts», sagt er heute.

Während er das ausspricht, steht er auf dem Milltown Cemetery in West-Belfast. Soweit das Auge reicht, reihen sich Kreuze und Grabsteine aneinander. Auf dem Friedhof wurden die bekanntesten IRA-Männer beerdigt. Zum Beispiel Bobby Sands, der sich im Gefängnis zu Tode gehungert hatte.

Peadar Whelan hat seine Zuhörer zu einer ganz besonderen Stelle geführt: dem New Republican Plot, einer abgegrenzten Grab- und Gedenkstätte für IRA-Leute. Hier liegt auch Sands. «Sie wurden alle im aktiven Dienst getötet», sagt Whelan. Er selbst hat überlebt. Heute führt er Touristen an Orte des «republikanischen Widerstands», was sich von der Republik Irland im Süden der Insel ableitet. Republikaner streiten für ein geeintes, unabhängiges Irland.

Politik statt Religion führte zum Krieg

Die in Deutschland verwendeten Begriffe Katholiken und Protestanten für die beiden verfeindeten Lager sind im Grunde irreführend, denn sie legen eine religiöse Auseinandersetzung nahe. Es handelt sich aber viel eher um einen politischen Konflikt.



Whelan sieht mit seinem zerfurchten Gesicht deutlich älter aus als 62 Jahre. Die «Unruhen» oder «Wirren», wie der bewaffnete Konflikt mit 3'500 Toten verharmlosend genannt wird, hat ihn gezeichnet. Einprägsam ist ein Abstecher in die von Katholiken bewohnte Bombay Street. Die Rückseiten der kleinen Reihenhäuser sind hier mit Gitterkäfigen versehen – zum Schutz gegen Molotowcocktails, die aus dem gegenüberliegenden Protestantenviertel hinübergeschleudert werden könnten. Beide Bezirke werden von einer riesigen Mauer abgeschirmt.

Solche kilometerlangen und bis zu acht Meter hohen «Friedenslinien» zerteilen die Stadt noch immer wie zu Zeiten des Bürgerkriegs. An einigen Stellen ermöglichen Tore den Durchgang, doch abends werden sie verschlossen. Auf dem städtischen Friedhof trennt eine unterirdische Wand sogar die Gräber der Katholiken und Protestanten.

Keine Reue beim Gedanken an die Opfer

Whelan führt seine Begleiter in den Souvenirshop von Sinn Fein, der pro-irischen Partei, die früher der politische Arm der IRA war. Hier kann man sich als Andenken Poster, Anstecker und Tassen mit den Gesichtern von IRA- und Sinn-Fein-Helden mitnehmen.

Souvenirshop von Sinn Fein: Die Partei war früher der politische Arm der Terrororganisation IRA. 
Souvenirshop von Sinn Fein: Die Partei war früher der politische Arm der Terrororganisation IRA. 
Source: Fáilte Feirste Thiar / dpa

Mit pietätvoll gesenkter Stimme spricht Whelan über IRA-Kameraden, die beim Bau von Bomben durch vorzeitige Explosionen zu Tode kamen. «Tragisch» nennt er das. Gingen die Bomben hingegen dort hoch, wo die IRA es beabsichtigte, war die Aktion in seinen Augen «erfolgreich». Dann erwähnt er die Opfer mit keinem Wort. Gerade dadurch aber ermöglicht die Tour einen Einblick in ein völlig anderes Denken.

Auch die «andere Seite» bietet Touren an

Die gleiche Stadtwanderung mit vertauschten politischen Vorzeichen kann man durch ein Protestantenviertel buchen. Wieder führt der Guide – er heisst Paul McCann – die Besucher zu Gedenkstätten, nur erinnern sie jetzt an pro-britische Unionisten oder Loyalisten. «Das Massaker der IRA an Unschuldigen» steht über einer Plakatwand, und auf einem schwarzen Grabstein prangt in goldenen Buchstaben die Inschrift: «Im Gedenken an fünf unschuldige Protestanten, hier abgeschlachtet von einer republikanischen Mörderbande.» Statt irischer Flaggen flattern britische Union Jacks über den Erinnerungssteinen.

Protestant Paul McCann vor einer politischen Wandmalerei in Belfast – auch er bietet Stadtführungen auf den Spuren des Nordirlandkonflikts an. 
Protestant Paul McCann vor einer politischen Wandmalerei in Belfast – auch er bietet Stadtführungen auf den Spuren des Nordirlandkonflikts an. 
Source: Christoph Driessen / dpa

Eines fällt auf: Wenn man mit McCann über die Sandy Row läuft, die Strasse, in der er sein ganzes Leben verbracht hat, wird er ständig gegrüsst oder sogar umarmt. Genauso ist es auch, wenn Peadar Whelan durch seine republikanischen Heimatstrassen zieht. Die Gemeinschaft ist ein warmes Nest. Aber sie steht eben auch deshalb so eng zusammen, weil es immer noch einen gemeinsamen Gegner gibt.

Belfast ist bis heute eine hoch politisierte Stadt. Fast überall stösst man auf Gedenkstätten, Erinnerungsplaketten und Wandgemälde. Hat sich gar nichts geändert? Das zu glauben, wäre falsch. Umfragen zufolge hält heute nur noch eine kleine Minderheit der Nordiren Gewalt für ein legitimes Mittel der Politik.

Verständigung beim Guinness-Bier

Ein Freitagabend in der Bar des «Europa Hotel» im Zentrum von Belfast. Das säulengeschmückte Hochhaus führt den inoffiziellen Beinamen «meistbombardiertes Hotel der Welt», weil es von seiner Eröffnung im Jahr 1971 bis zum Waffenstillstand von 1994 mehr als 30 Mal von der IRA bombardiert wurde.



An diesem Abend feiern in der Bar drei Brüder den 50. Geburtstag des Jüngsten, zusammen mit einem Schwager und zwei Freunden. Im Verlauf des Abends kommen sie mit einem Mann vom Nachbartisch ins Gespräch. Er ist ein Protestant, wie sich herausstellt, Edward. Früher hätte man gesagt: einer von der anderen Seite. Doch die Feiernden spendieren Edward ein Guinness nach dem anderen. Der Abend endet mit vielfachen Umarmungen und Erinnerungsfotos. «Im Grunde wollen wir doch alle das gleiche», sagt Edward. «Wir wollen, dass unsere Kinder in einer besseren Welt leben.»

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