Analyse des grossen Kanzler-Kampfs Mit nur 5 Worten lässt Weidel Jauch und alle Kandidaten erstarren

Sven Ziegler

16.2.2025

Scholz, Habeck, Merz und Weidel am Sonntagabend. 
Scholz, Habeck, Merz und Weidel am Sonntagabend. 
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Die vier Kanzlerkandidaten Deutschlands stellen sich am Sonntagabend im grossen Duell den Fragen der Moderatoren. blue News liefert dir die wichtigsten Aussagen in der Übersicht.

Sven Ziegler

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Am Sonntagabend duellieren sich Olaf Scholz, Friedrich Merz, Alice Weidel und Robert Habeck. 
  • Das Thema Migration beschäftigt die Kandidaten, viel Zoff gibt es beim Ukraine-Krieg.
  • blue News fasst die wichtigsten Punkte der Debatte zusammen.

Wild, teilweise ungeordnet und zwischendurch mal laut. Die zweite Kanzler-Debatte im deutschen Fernsehen am Sonntagabend hat es in sich. Anders als noch vor einer Woche sind nicht nur Olaf Scholz und Friedrich Merz zu Gast. Auch AfD-Chefin Alice Weidel und Grünen-Chef Robert Habeck sind vor Ort.

Während 2 Stunden debattieren die vier Kanzlerkandidaten über die grossen Themen, kämpfen um jede Stimme. Moderiert wird das Format von Nachrichten-Moderatorin Pinar Atalay und Moderator Günther Jauch.

blue News fasst die wichtigsten Punkte für dich zusammen.

Nach 10 Minuten zoffen sich Weidel und Scholz zum ersten Mal

Lange lässt Jauch den Elefanten nicht im Raum stehen: Das Thema Migration treibe die Deutschen weiter um, nicht nur wegen des Anschlags in München. Warum Scholz vor drei Jahren angekündigt habe, härter abzuschieben und trotzdem nicht mal jeder 10. abgewiesene Flüchtling abgewiesen werde, will Jauch wissen. Scholz sagt, die Abschiebungen hätten bereits um 70 Prozent zugenommen. «Aber es ist klar, das ist nicht genug, wir müssen weiter vorwärtsmachen.» 

Friedrich Merz ist damit nicht einverstanden: «Es fehlt der politische Wille und Scholz scheitert an seiner eigenen Regierung.» In die gleiche Kerbe schlägt Weidel: «Wir werden die illegale Migration stoppen und Straftäter und Illegale konsequent abschieben», verspricht sie. 

Alice Weidel steht an diesem Abend immer wieder im Fokus. 
Alice Weidel steht an diesem Abend immer wieder im Fokus. 
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Merz wird erneut auf die Zusammenarbeit mit der AfD angesprochen. Er habe, so Jauch, in einem Interview einst vor der AfD gewarnt, «man werde von einer Natter erwürgt. Wie sehr hängt diese Natter denn schon an Ihrem Hals?» «Gar nicht, Herr Jauch. Wir werden mit dieser Partei nicht zusammen arbeiten.» 

Dann erhitzen sich die Gemüter ein erstes Mal – rund 10 Minuten sind seit dem Start vergangen. Scholz greift die «Vogelschiss»-Debatte auf. AfD-Ehrenpräsident Alexander Gauland bezeichnete 2018 Hitler und den Holocaust als «Vogelschiss». Scholz sagt, er wolle damit aufzeigen, wie die AfD ticke. Weidel antwortet empört: «Ich finde diesen Vergleich ungeheuerlich. Das ist ein unverschämtes Framing meiner Partei und von Millionen Wähler», sagt Weidel. «Ich weise das um jeden Preis zurück. Schauen Sie, Sie können mich heute Abend beleidigen, wie Sie wollen. Es trifft mich überhaupt nicht.»

Weidel legt sich mit allen an – und erstaunt mit nur 5 Worten

Alice Weidel setzt vor allem auf Konfrontation. 
Alice Weidel setzt vor allem auf Konfrontation. 
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Alice Weidel steht immer wieder im Fokus. So etwa beim Thema Binnenwirtschaft. Weidel nutzt die Gelegenheit, um ausführlich für die politischen Positionen der AfD zu werben. Anschliessend erhält Habeck das Wort. Noch bevor er die von Moderatorin Atalay gestellte Frage zur Wirtschaft beantwortet, weist er darauf hin, dass Journalisten parallel eine Überprüfung der Aussagen Weidels vornehmen. Atalay fordert ihn auf: «Sie können das jetzt hier klarstellen.» Doch Habeck entgegnet: «Nene, dann komme ich ja nicht mehr zum Reden.»

Überhaupt kracht es zwischen Weidel und Habeck mehrmals. Etwa, als es um das Thema Energie geht. «Sie haben die Energie teurer gemacht», schiesst Weidel gegen Habeck. «Ja, schöne Grüsse nach Moskau. Sie unterwerfen sich ja Putin, der die Ukraine überfallen hat. Da können Sie auch gleich hingehen und sagen: ‹Ein bisschen Unterdrückung im eigenen Land ist schon okay, die Ukraine soll sich nicht so anstellen.›» Darauf antwortet Weidel mit ernsthafter Miene: «Sieht (US-Vizepräsident) J.D. Vance auch so.» Ungläubige Blicke der anderen Kandidaten folgen, selbst Jauch ist für einen Moment still. Genauer auf den Satz eingegangen wird aber nicht. 

Scholz attackiert Weidel mehrmals. Als sie ihm vorwirft, Unternehmen würden wegen seiner Wirtschaft pleite geben und sie habe konkrete Pläne vorgestellt, antwortet er: «Nö, ich höre von Ihnen keine Vorschläge, nur heisse Luft. Sie weichen die ganze Zeit aus, nur heisse Luft.» Als Weidel danach das Gespräch erneut auf die Migration lenkt, sagt Scholz: «Ah, wir sprechen doch von Energie und Sie sind wieder bei der Migration, klar.»

Dass Weidel das Thema Migration nicht lassen kann, belustigt sogar Günther Jauch. Als die AfD-Chefin erklären will, weshalb Wohnraum in Deutschland immer teurer wird, wirft Jauch ein: «Lassen Sie mich raten, wegen der Migration.» Weidel antwortet knapp: «Nein, Herr Jauch, das will ich gar nicht sagen.» 

Weidels Wohnsitz in der Schweiz wird ebenfalls kurz zum Thema: «Meine Frau ist Schweizerin, das ist richtig», sagt die AfD-Chefin. «Gemeldet bin ich in Deutschland, und ich bezahle alle meine Steuern in Deutschland.»

Im grossen «Stern»-Faktencheck kommt Weidel nicht gut weg. Die Faktenprüfer des Magazins stellen fest, dass mehrere Aussagen der AfD-Chefin komplett falsch sind. So stimmt es etwa nicht, dass Deutschland die weltweit höchsten Energiepreise hat. Auch die Aussage, dass eine Taurus-Lieferung Deutschland zur Kriegspartei machen würde, stimmt in ihrer Absolutheit nicht.

Scholz schiesst scharf Richtung Trump – dann wird Merz laut

Die Rede von J.D. Vance an der Münchner Sicherheitskonferenz wird ebenfalls zum Thema. Schon zu Beginn in der Einführungsrunde sprechen die Kandidat*innen über das Thema. So sagt Merz etwa, er werde trotz der Rede des US-Vizepräsidenten nicht mit der AfD zusammenarbeiten. «Ich verbitte mir die Einmischung von Aussen.»

Auch Scholz schiesst scharf gegen Trump. Washington könne nicht mit Moskau an einen Tisch sitzen und über die Ukraine verhandeln, ohne Europa mit einzubeziehen. Als Jauch nachfragt, wie viel Europa denn noch zu sagen habe, sagt Scholz: «Ja, sehr viel. Natürlich haben wir etwas zu sagen. Wir geben Milliarden aus, auch für die Flüchtlinge. Sicherheitsgarantien gibt es nicht ohne Europa, ob Trump das will oder nicht.» 

Olaf Scholz schiesst am Sonntag scharf Richtung USA. 
Olaf Scholz schiesst am Sonntag scharf Richtung USA. 
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Weidel sagt, diese Wahl entscheide «über Krieg und Frieden.» Merz habe gefordert, deutsche Waffensysteme in die Ukraine zu liefern. «Deutsche Waffensysteme kommen mit deutschen Soldaten, die in die Ukraine müssten und Deutschland zur Kriegspartei machen würden.»

Es kommt zum seltenen Schulterschluss der Kandidaten. Habeck und Merz reagieren ungläubig, nach nicht mal 30 Sekunden grätschen rein. «Stopp, Frau Weidel, so geht das nicht. Das ist eine Lüge», antwortet Merz. «Niemand hat gesagt, und ich glaube, in diesem Punkt sind wir uns alle einig: Es kommt nicht in Frage, dass wir deutsche Truppen in die Ukraine entsenden, um am Krieg teilzunehmen», führt Habeck aus.

Dann wird Merz lauter. «Frau Weidel sagt, wir würden nicht neutral wahrgenommen. Ja, das ist so, wir sind nicht neutral. Gucken sie sich die Bilder an. (...) Und ihre Worte, die sie hier gerade gesprochen haben, sind eine Bestätigung dafür, dass ich alles dafür tun würde, dass sie hier niemals politische Verantwortung bekommen.» Es ist das einzige Mal, dass Merz an diesem Abend so energisch reagiert.

Das Verhalten der Kandidaten

Friedrich Merz und Olaf Scholz treten ähnlich auf wie schon beim Spitzen-Duell am vergangenen Wochenende. Beide geben sich auf, gehen kühl und abgeklärt in den Abend. Wie am vergangenen Wochenende schon sparen sie nicht mit gegenseitigen Angriffen. Merz etwa spricht etwa über die Vereinfachung des Steuersystems. «Sie erwecken einen völligen falschen Eindruck. Als würde jeder Handwerksbetrieb über fünf Millionen Euro verdienen», schiesst Scholz.

Auffallend: Merz hält sich an diesem Abend eher zurück. Während sich die Scholz und Habeck immer wieder mit Weidel in die Haare kriegen, mischt Merz nicht mit. Das Signal nach Aussen ist klar: Merz will demonstrieren, dass er für Stärke steht und seine Energie nicht mit Diskussionen aufwenden will. Wenn Merz spricht, grenzt er sich auffallend oft offensiv von der AfD ab – wohl, um weitere Gerüchte einer möglichen Zusammenarbeit zu verhindern. Ansonsten scheint Merz vor allem bedacht, keine Fehler zu begehen.

Scholz, Habeck, Merz und Weidel mit dem Moderationsduo Atalay und Jauch. 
Scholz, Habeck, Merz und Weidel mit dem Moderationsduo Atalay und Jauch. 
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Weidel setzt vor allem auf Attacke, greift die Programme der anderen Parteien an. Bei eigenen Argumenten weicht sie oft aus. Auf den Vorwurf von Scholz, Mitglieder ihrer Partei würden den Holocaust als «Vogelschiss» bezeichnen, will sie nicht eingehen. «Ich will hier nicht über solche Details sprechen, sondern über Inhalte», sagt sie.

Als sie beim Thema Migration gefragt wird, wie viele Bundespolizisten es denn brauche, um die Grenze zu schliessen, sagt Weidel: «Das weiss ich nicht, ich bin nicht die Bundespolizei. Ich bin Politikerin und bringe Vorschläge.» Erst bei der deutschen Wirtschaft kommt Weidel in Fahrt, spricht über Familienentlastung. Auslandthemen hingegen lässt sie aus, über die Rede von J.D. Vance etwa will sie nicht sprechen.

Robert Habeck hingegen existiert in der Diskussion zunächst fast gar nicht. Der Grünen-Kandidat spricht wenig, wirkt teilweise nach aussen fast ein wenig hilflos. Als Scholz ihm bei einer seiner ersten Antworten zum Thema Migration ins Wort fällt, lässt ihn Habeck ohne Widerrede zu Wort kommen. Das wirkt weniger wie ein Kanzlerkandidat als ein Vizekanzler, der seinem Chef den Vortritt lässt. Wenn Habeck doch mal spricht, verteidigt er vorwiegend die Politik der Ampel-Regierung.

Erst als es um das Thema Energie und Binnenpolitik geht, ist Habeck in seinem Element und kommt langsam in Fahrt. Aussenpolitik liegt dem Grünen-Chef hingegen weniger. Nach rund 30 Minuten ist aber auch Habeck voll dabei, geht auf Konfrontationskurs mit Merz und Weidel. Gegenüber Scholz zeigt er sich trotzdem zurückhaltend. 

So geht es weiter

Das Quadrell war die letzte grosse TV-Debatte vor den Wahlen. Diese finden am kommenden Sonntag statt. Nun sind die Wähler*innen gefordert.

Scholz: «Wie es mit unserer Demokratie weitergeht, das entscheiden wir selbst»

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STORY: Hinweis: Dieser Beitrag wird Ihnen ohne Sprecherkommentar gesendet. «Ein Bekenntnis zum 'Nie wieder' ist daher nicht mit der Unterstützung für die AfD in Einklang zu bringen.» «Deshalb werden wir es nicht akzeptieren, wenn Aussenstehende zugunsten dieser Partei in unsere Demokratie, in unsere Wahlen und in die demokratische Meinungsbildung eingreifen.» «Das gehört sich nicht. Erst recht nicht unter Freunden und Verbündeten. Das weisen wir entschieden zurück. Wie es mit unserer Demokratie weitergeht, das entscheiden wir selbst.» «Diese souveräne Unabhängigkeit muss sich auch in Verhandlungen widerspiegeln. Das bedeutet es, wenn wir sagen: Nichts über die Ukraine ohne die Ukraine.»

15.02.2025