Hightech statt Heidiland In Graubünden entsteht ein kleines Silicon Valley

Von Gil Bieler

29.8.2019

Ein Bergwanderer blickt vom Vorgipfel des Vilan auf das Churer Rheintal.  
Ein Bergwanderer blickt vom Vorgipfel des Vilan auf das Churer Rheintal.  
Archivbild: Keystone

Die meisten dürften mit Graubünden Wintersport und Alpkäse verbinden. Doch der Bergkanton möchte sich auch als Hightech-Zentrum behaupten – lässt sich von ersten Erfolgen sprechen? 

Wer die Nachrichten aus Graubünden aufmerksam verfolgt, dem dürfte es aufgefallen sein: Es tut sich was in der Heimat von Steinböcken und Schellenursli – und zwar in der Technologiebranche.

In Chur ist ein 30 Millionen Franken teures «Innovationszentrum» geplant, in das unter anderem der Software-Gigant Microsoft einziehen will. Die auf Medizinaltechnik spezialisierte Hamilton hat erst im Frühjahr 2018 einen Neubau mit 300 Arbeitsplätzen in Domat/Ems, gleich neben der Ems-Chemie, bezogen – der schon fast voll besetzt ist. Das ging aufgrund des Wachstums schneller als geplant, wie Unternehmenssprecher Lucas Nold «Bluewin» erklärt. Gut 80 der 300 Stellen wurden neu geschaffen.

Und die Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) in Chur bietet seit 2016 den schweizweit einzigartigen Bachelor-Studiengang Photonics an. Dort wird Wissen über lichtbasierte Technologien vermittelt, die für Sensoren, Kameratechnik und anderes mehr genutzt werden. Im Herbst werden die ersten Abgänger ihr Diplom in Empfang nehmen. 

So stellt die HTW Chur den Studiengang Photonics im Internet vor. 

Video: Youtube

Den Eindruck, dass der Hightech-Sektor in Graubünden auf dem Vormarsch ist, bestätigt Eugen Arpagaus, Leiter des kantonalen Amts für Wirtschaft und Tourismus. Wesentlich dazu beitragen würden die einheimischen Unternehmen: Neben der bereits erwähnten Hamilton Bonaduz AG nennt er Ausbauprojekte zweier Technologiefirmen in Chur als Beispiel: der Oblamatik AG sowie der BC-Tech AG.

Die prosperierenden Betriebe tragen laut Arpagaus nicht zuletzt auch dazu bei, dass der Warenexport gesteigert werden konnte: Ein Plus von 12,2 Prozent weist die Eidgenössische Zollverwaltung für 2018 aus. 

Vom Tourismus zum Standort-Marketing

Um Graubünden als Tech- und Industriestandort bekannter zu machen, unterstützt die Regierung auch eine Kommunikationsoffensive mit jährlich bis zu einer Million Franken. Das Ziel: Die Wahrnehmung des Bergkantons zu verändern – «von der Tourismusmarke hin zur (…) Standortmarke», wie es in einer Medienmitteilung aus dem vergangenen Jahr heisst.

«Der Kanton legt den Fokus auf die Anwerbung von technologieorientieren, produktionsnahen Industriebetrieben», sagt auch Arpagaus, «da wir überzeugt sind, in diesem Umfeld einen Mehrwert zu schaffen.»

Im Rheintal – hier die Bündner und St. Galler Seite vom Gonzen bei Sargans aus betrachtet – profitiert am meisten vom Hightech-Boom.
Im Rheintal – hier die Bündner und St. Galler Seite vom Gonzen bei Sargans aus betrachtet – profitiert am meisten vom Hightech-Boom.
Bild: Keystone

Dass der Kanton verstärkt auf Firmen im Hightech-Bereich setzt, kommt nicht von ungefähr: Diese erzielen eine überdurchschnittlich hohe Arbeitsleistung, wie eine Studie des Wirtschaftsforums Graubünden belegt. Die Denkfabrik zählt kantonsweit 382 Betriebe mit 6’052 Mitarbeitern zum Hightech-Sektor, wobei es hierfür keine genaue Definition gibt. In der Studie fallen darunter all jene Betriebe, die in technologisch besonders anspruchsvollen Industriesparten, in der medizinischen respektive naturwissenschaftlichen Forschung oder in der Informations- und Kommunikationstechnologie tätig sind.

Diese 6'052 Mitarbeiter entsprechen zwar nur rund fünf Prozent aller Beschäftigten im Kanton, erwirtschaften aber 22 Prozent der kantonalen Exportwertschöpfung sowie neun Prozent der gesamten Wertschöpfung. Die Zahlen stammen von 2016, neuere gibt es nicht.



Das Spektrum der Produkte «Made in Graubünden» ist breit, wird in der Studie vermerkt. «Es reicht von der Synthese von Kunststoffen mit ganz speziellen Eigenschaften über die Produktion des dreilagigen 'Papiers' für die neuen Schweizer Banknoten bis zur Herstellung von menschenähnlichen Knochen als realitätsnaher Übungsgegenstand für Chirurgen.»

Die Hamilton stellt in Domat/Ems Beatmungsgeräte, Roboter zur Lagerung und Verwaltung medizinischer Substanzen und anderes mehr her, wie Sprecher Nold erklärt. Weil das Geschäft brummt und im Neubau in Domat/Ems bereits der Platz ausgeht, hat sich der Konzern bereits weiteres Bauland gesichert. 

Geografisch ist die Bündner Tech-Branche stark im Rheintal konzentriert. Nur einen Steinwurf vom berühmten Heididorf entfernt entsteht also ein kleiner Hightech-Hub. Dadurch wird die Zentrumsfunktion des Tals weiter verstärkt: Mittlerweile werden dort knapp 49 Prozent des Bündner BIP – also aller Güter, Waren und Dienstleistungen – erwirtschaftet.

Lehren  aus der Vergangenheit gezogen

Der Kanton hat offenbar die Lehren aus dem erfolglosen Anwerbungsversuch einer Chip-Fabrik vor gut zehn Jahren gezogen: Trotz des Engagements der Bündner Wirtschaftsförderer entschied sich die Firma Espros Photonics 2008 für den Standort im Gonzen im sankt-gallischen Sargans, was in Graubünden noch einige Zeit zu reden gab.

Arpagaus zufolge wurde in der Zwischenzeit beim Amt für Wirtschaft und Tourismus eine Neuerung eingeführt, damit Firmen nun einen einzigen Ansprechpartner für all ihre Fragen haben. So wolle man «eine bessere Dienstleistung» erbringen.



Eine prosperierende Hightech-Branche kommt dem Tourismuskanton gelegen: Die Credit Suisse listete Graubünden 2018 in ihrer jährlichen Analyse zur Standortqualität der Kantone nur auf dem 24. Rang. Berücksicht wurden einzig «harte» Indikatoren: die Steuerbelastung der natürlichen und juristischen Personen, die Verfügbarkeit von Hochqualifizierten und Fachkräften sowie die Erreichbarkeit der Bevölkerung, der Beschäftigten und von Flughäfen.

Jedoch räumt die Grossbank ein, dass eine einheitliche Bewertung eines grossen und heterogenen Kantons wie Graubünden schwierig sei. Rheintal, Bündner Herrschaft sowie die Landschaft Davos schneiden denn auch besser ab als das übrige Kantonsgebiet.

Bilder aus der Schweiz

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