Spätestens seit der schwachen EM-Qualifikation reisst die Kritik an Nationaltrainer Murat Yakin nicht ab. Die EM in Deutschland wird für den bald 50-Jährigen die grosse Bewährungsprobe.
Es ist immer eine Momentaufnahme, doch Murat Yakin geniesst bei den Schweizerinnen und Schweizern nur noch wenig Kredit. Das meldet jedenfalls das Onlineportal «Watson» und stützt sich dabei auf eine repräsentative Umfrage, die gemeinsam mit dem Sozialforschungsinstitut Demoscope durchgeführt wurde. Demnach antworteten 63 Prozent aller Befragten auf die Frage, ob Yakin der richtige Trainer für das Schweizer Nationalteam sei, mit «Nein». Nur ein Viertel bejahte die Frage, 12 Prozent enthielten sich.
Nun könnte man über die Fragestellung, die mit nur drei Auswahlmöglichkeiten ein klares Resultat provozierte, und über die Expertise der Befragten diskutieren. Bekannt ist auch, dass gerade vor einer EM oder WM viele es immer besser wissen wollen als der Nationaltrainer. Etwas erstaunlich ist allerdings, wie schnell die Stimmung im letzten Jahr gegen Yakin kippte.
Als dieser kurz nach der erfolgreichen EM 2021 zum Nationaltrainer ernannt wurde, wurde dies weitgehend positiv aufgenommen. Das lag wohl auch daran, dass er ganz anders auftrat als sein Vorgänger. Im Gegensatz zum oft verbissen und unnahbar wirkenden Vladimir Petkovic ist Yakin offen, macht auch mal Spässe, sucht die Nähe zu den Fans. Vor den Heimspielen geht er jeweils die Fankurve entlang, winkt den treuen Anhängern zu und lauscht den «Muri, Muri, Muri»-Sprechchören.
Schwache Kommunikation, dubiose Geschäfte
Über die Gründe für den drastischen Sympathieverlust des Trainers lässt sich lange spekulieren. Ein Knackpunkt war sicher der WM-Achtelfinal 2022 gegen Portugal, als Yakin mit Aufstellung und System daneben lag und die Schweiz mit 1:6 abgestraft wurde. Viele hätten diesen Fauxpas verschmerzen können, wären die Leistungen in der anschliessenden EM-Qualifikation nicht so schwach gewesen. In dieser sicherte sich die Schweiz als punktschlechteste der direkt qualifizierten Mannschaften einen Platz an der Endrunde.
Im Sport sind immer noch die Resultate der wichtigste Massstab. Stimmen diese nicht mehr, wird alles hinterfragt und Dinge, über die vorher hinweggesehen wurde, rücken ins Zentrum. Zum Beispiel Yakins Kommunikationsschwäche. Der Trainer drückt sich nicht immer souverän aus, geht auf Fragen nicht oder nur teilweise ein oder verliert sich in Floskeln. Ein souveräner Auftritt in der Öffentlichkeit ist zwar kein Muss, aber die Befürchtung wächst, dass Yakin auch innerhalb der Mannschaft nicht immer die richtigen Worte findet.
Für Stirnrunzeln sorgte schliesslich die Erwähnung von Yakins Namen in einem Gerichtsfall kurz vor der Endrunde. Zwar hatte sich der Nationalcoach nichts zuschulden kommen lassen, doch weil er die Herausgabe beschlagnahmter Uhren verlangt hatte, kamen dubiose Kontakte ans Licht. Yakin wies darauf hin, dass dies vor seiner Zeit als Nationaltrainer gewesen sei und er seither keinen Kontakt mehr mit dem Beschuldigten gehabt habe. Seinem Image hat die Episode allerdings nicht geholfen.
Yakins eigener Weg
Ob ihm dies besonders wichtig ist, darf bezweifelt werden. Yakin, der seit über drei Jahrzehnten als Spieler und nun als Trainer in der Öffentlichkeit steht, ist Kritik gewohnt. So schnell bringt ihn nichts aus der Ruhe. Er müsse sich einzig auf seinen Weg konzentrieren, sagte er kürzlich in einem Interview mit Keystone-SDA. «Dieser war noch nie einfach in meinem Leben.»
Yakin stammt aus einer Einwandererfamilie und wuchs in ärmlichen Verhältnissen auf. Seine Mutter heiratete nach dem Tod ihres ersten Mannes, mit dem sie sechs Kinder hatte, ein zweites Mal. Aus dieser Ehe gingen die Söhne Murat und Hakan hervor. Nach der Trennung der Eltern war die Mutter auf Sozialhilfe angewiesen, und Murat musste als älterer Bruder viel Verantwortung übernehmen, war zum Beispiel meist dabei, wenn es um Elterngespräche für Hakan in der Schule ging.
Seine Mutter, die ihre Söhne damals mit dem Dreirad im Training besuchte und dadurch schweizweit bekannt wurde, verstarb im letzten Jahr. Sie habe ihm mitgegeben, nicht immer alles so ernst zu nehmen, sagte Yakin. Das hat er bereits als Spieler gelebt. So legte er sich mit Trainern an, die von ihm mehr Einsatz im Training verlangten, oder provozierte bei Fenerbahce einen vorzeitigen Abgang, weshalb er fast eine ganze Saison verpasste. Schon damals hiess es oft: Yakin gegen den Rest.
Mit auslaufendem Vertrag ins Turnier
Seit August 2021 ist Yakin Schweizer Nationaltrainer; so lange war er davor nie bei einem Klub geblieben. Dabei hat er durchaus Erfolge gefeiert: Mit Thun stieg er auf, Luzern führte er auf den 2. Platz und in den Cupfinal, mit Basel wurde er zweimal Meister und feierte internationale Erfolge. Trotzdem trennten sich die Wege jeweils spätestens nach zwei Jahren.
Auch der Schweizerische Fussballverband musste nach der knapp geschafften EM-Qualifikation prüfen, ob die Zusammenarbeit weitergeführt werden soll. «Wir dürfen die negative Entwicklung der Mannschaft nicht unterschätzen», hatte Nationalmannschaftsdirektor Pierluigi Tami im November gesagt. Dann wurde Yakin als Trainer bestätigt, und im Frühling erhielt er sogar ein Angebot zur Vertragsverlängerung. Dass er diese ablehnte, zeigt einmal mehr den «eigenen Weg», von dem Yakin spricht. Er will sich beweisen – und Argumente für einen schönen neuen Vertrag sammeln.
Und die öffentliche Meinung? Auch sie hängt stark vom Abschneiden an der EM ab. Feiert die Schweiz Erfolge, dürfte das Barometer schnell in die andere Richtung ausschlagen. Das war zuletzt im Eishockey der Fall, als Trainer Patrick Fischer ebenfalls mit wenig Kredit in die WM startete. Nach dem Gewinn der Silbermedaille ist seine Position gefestigter denn je. Es ist immer eine Momentaufnahme.