In einer fünfteiligen Serie blickt «Bluewin» auf aussergewöhnliche Tellerwäscher-Karrieren von heutigen Fussball-Stars. Teil 4: Romelu Lukaku. Als Kind hatte Romelu Lukaku fast gar nichts. Es fehlte an Geld, Strom und heissem Wasser. Aber was er hatte, war die feste Überzeugung, etwas aus seinem unglaublichen Talent zu bewerkstelligen. Und das tat er.
«Ich kann mich noch an den genauen Moment erinnern, an dem ich wusste, dass wir pleite waren», schreibt Romelu Lukaku bei «The Players Tribune». «Ich sehe immer noch meine Mutter, wie sie mit diesem Ausdruck im Gesicht am Kühlschrank steht. Sie mischte meine Milch mit Wasser, weil es sonst nicht für die ganze Woche reichen würde.»
Romelu Lukaku wächst im belgischen Wintam, zwischen Brüssel und Antwerpen auf. Er ist in Belgien geboren, seine Eltern stammen aber aus dem Kongo. Etwas, das er von klein auf zu spüren bekommt. Schon bei Juniorenspielen wollen die Eltern der anderen Kinder seine ID sehen. «Wie alt bist du? In welchem Jahr wurdest du geboren?», wird er aufgrund seiner unnatürlichen Körpergrösse und Schnelligkeit immer und immer wieder gefragt.
«Ich werde euren Sohn zerstören»
«Als ich elf Jahre alt war, versuchte mich ein Elternteil der gegnerischen Mannschaft daran zu hindern, auf den Platz zu laufen», erinnert sich Lukaku. «Ich habe meine ID gezeigt und dachte nur: ‹Jetzt werde ich euren Sohn töten. Das hätte ich sowieso getan, aber jetzt werde ich ihn zerstören. Ihr werdet mit einem weinenden Kind nach Hause fahren.›»
Lukakus Wut und Hunger nach Erfolg ist der prekären finanziellen Lage seiner Familie verschuldet. Er wächst in ärmlichen Verhältnissen auf und schwört sich schon als kleines Kind, dass er so schnell wie möglich für seine Familie sorgen wird. «Ich konnte meine Mutter nicht so leben sehen», erzählt der aktuelle Rekordtorschütze der belgischen Nationalmannschaft.
Die Lukakus hatten kein Auto, keinen Fernseher und häufig auch kein heisses Wasser oder Strom. «Wenn ich duschen wollte, musste meine Mutter heisses Wasser auf dem Ofen kochen, dass ich mir dann im Bad über den Kopf leerte. Wir hatten wochenlang keinen Strom und zum Essen gab es immer Milch und Brot» – bis ihnen irgendwann das Geld für beides ausging und die Kinder beim Bäcker Brot für die nächste Woche «ausleihen» mussten. «Wir holten es am Montag und bezahlten es am Freitag», entsinnt sich Lukaku.
Ein Versprechen an den Grossvater
Bereits als Sechsjähriger entscheidet er sich, Fussballer zu werden. «Ich fragte meinen Vater, ab wann man professionell Fussball spielen konnte. Er sagte ‹mit Sechzehn›. Also sagte ich: ‹Okay, dann mit Sechzehn.› Ich wusste, es würde passieren. Punkt.»
Für Lukaku fühlte sich jedes Spiel wie ein Final an, egal ob im Park oder im Kindergarten – er musste gewinnen, schliesslich musste er seine Familie retten. Als er zwölf Jahre alt war, schoss er seine Juniorenmannschaft mit 76 Toren in 34 Spielen zur Meisterschaft. Daraufhin rief ihn sein Grossvater aus dem Kongo an und bat ihn, sich um seine Mutter zu kümmern.
«Er rief mich an und fragte mich: ‹Kannst du mir einen Gefallen machen? Kannst du dich um meine Tochter kümmern?› Ich war verwirrt und sagte: ‹Meine Mutter? Ja klar, es ist alles in Ordnung.› Da sagte er: ‹Nein, du musst für mich auf meine Tochter aufpassen. Kannst du mir das versprechen?› Ich sagte: ‹Ja Grossvater, ich verspreche es.› Fünf Tage später war er tot. Da verstand ich, was er gemeint hatte.»
Dank Wette zum Profivertrag
Durch seine Tore fiel der Stürmer bald den grösseren Klubs auf und wechselte 2006 in die Nachwuchsabteilung des RSC Anderlecht. Zwei Jahre später war er bei der U19. Aber Lukaku sass mehrheitlich auf der Bank und sein 16. Geburtstag kam immer näher. Aus Angst, mit 16 noch immer keinen Profivertrag abgeschlossen zu haben, ging er mit seinem Coach eine Wette ein.
«Ich habe ihm gesagt, dass ich bis im Dezember 25 Tore schiessen würde, wenn er mich spielen liess. Er lachte mich aus und sagte, dass ich wieder auf die Bank müsse, wenn ich es nicht schaffe. Also schlossen wir eine Wette ab. Ich sagte, er müsse der ganzen Mannschaft jeden Tag Pancakes backen, wenn ich es schaffe.» Bereits im November hatte Lukaku seine 25 Treffer erzielt. «Das war die dümmste Wette, die er je eingegangen war. Im Dezember assen wir nur Pancakes.»
Am 13. Mai 2009, seinem 16. Geburtstag, unterschrieb Lukaku seinen ersten Profivertrag beim RSC Anderlecht. Bis zu seinem Debüt musste der 1,90 cm grosse Stürmer nicht lange warten. Am 24. Mai, im Rückspiel des Playoff-Finals gegen Standard Lüttich, wurde er in der 63. Minute eingewechselt. Lukaku hatte es geschafft.