Sprachpfleger Kann «Sinn machen» wirklich Sinn machen?

Von Mark Salvisberg

19.2.2020

Einige eingedeutschte Formulierungen werfen Fragen auf.
Einige eingedeutschte Formulierungen werfen Fragen auf.
Bild: iStock

Soll die Wendung Sinn machen verwendet werden? Nicht gerade ein Sprachjuwel, meint der Sprachpfleger, aber umgangssprachlich gebe es nichts dagegen einzuwenden.

Einer der Konzertfilme der Achtziger stammt von den Talking Heads, er heisst «Stop Making Sense», plump übersetzt etwa «Hör auf, Sinn zu machen». Wenige Jahre später vernahm ich aus dem Mund einer Marketingfrau genau jenes Plumpe: «Ja, so macht es Sinn.» Das liess mich aufhorchen. Denn bis dahin hat etwas stets von sich aus einen Sinn ergeben beziehungsweise: Es hatte einen Sinn. Dass nun plötzlich ein Sinn, eine Bedeutung gemacht, also quasi hergestellt werden soll, war schon überraschend.

Hollywood und Wall Street strahlen aus

Die englische Sprache wird aufgrund ihrer Einfachheit zu unser aller gefühlten zweiten Muttersprache, Nebenwirkungen inklusive: Vor zig Jahren fragte man einen Sportler beim Interview, wie er sich fühle nach seinem ersten Sieg und angesichts dieses Erfolgs – oder was das für ein Gefühl sei, eine Medaille gewonnen zu haben. Und heute? «Wie fühlt es sich an, gewonnen zu haben?», «Wie fühlt sich der Sieg an?» «How does it feel?» lässt grüssen ...



Unter sich anfühlen ist «eigentlich» nur das rein Haptische gemeint, also das manuelle Berühren. Ein Sieg kann sich somit nicht anfühlen. Der Umgangssprache ist das aber egal, sie hat bereits den ersten Schritt getan, und in wenigen Jahren wird «sich anfühlen» wohl auch im übertragenen Sinn als Alternative für «sich fühlen» im Wörterbuch figurieren.

Das Karussell der Eindeutschung dreht sich weiter

Hat diese oder jene Bergsteigerin nicht zu viel Risiko genommen? Auch so eine «Neuentwicklung». Früher hiess das: Sie ist viel Risiko eingegangen, hat viel Risiko auf sich beziehungsweise in Kauf genommen. Schon wieder funkte das Englische hinein: Aus to take a risk wurde Risiko nehmen. Ich persönlich würde ohnehin dazu raten, das elegantere riskieren zu verwenden.



Folgendes Wort hat es wie Sinn machen ins Wörterbuch geschafft: Dank seiner Expertise sind wir nun einen Schritt weiter. Gemeint ist eigentlich Erfahrung, Fachwissen. Fachwissen heisst auf Englisch expertise. Aber das deutsche Expertise heisst beziehungsweise hiess bis vor Kurzem einzig: Gutachten. Doch wegen des angelsächsischen Einflusses heisst Expertise seit Kurzem auch auf Deutsch zusätzlich: Erfahrung, Fachwissen.

Was kommt als Nächstes?

Vielleicht schafft es die deutsche Variante von «make friends» – Freundschaften schliessen – in den Duden. Dann wird es heissen «In den Ferien machte ich viele Freunde», und später hat man vielleicht mit den Freunden, den gemachten, abgemacht.

Vor allem die Älteren werden über derlei den Kopf schütteln, aber seien wir ehrlich, wen kümmert das in fünfzig Jahren? Die Sprachkarawane zieht weiter. Vergeht genug Zeit, macht eben alles Sinn.

Zur Person: Mark Salvisberg war unter anderem als Werbetexter unterwegs. Der Absolvent der Korrektorenschmiede PBS überarbeitet heute
täglich journalistische Texte bei einer grösseren Tageszeitung.

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